Neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Berlin
Die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) ist mit rund 1 000 Mitgliedern einer der größten Kunstvereine Deutschlands. Bislang befanden sich dessen Galerie und Büros etwas abseits der üblichen Touristenströme in Kreuzberg. Nach einer Kündigung mussten jedoch neue Räume her – die fanden sich im Herzen der Stadt in einem alten Fastfood Restaurant. Das Büro Hütten & Paläste übernahm den behutsamen Umbau, der auch eine Antwort auf den Strukturwandel in unseren Innenstädten bietet.
Weißes Licht, abwaschbare Kacheln, Steinböden und ein leichter Fettgeruch – Fastfood Restaurants gehören zu den unpersönlichen Architekturen in den Zentren unserer Städte, die fast schon symbolisch den Charakter eines Ortes zusammenfassen. Man findet sie dort, wo es viele Menschen eilig haben. An Ausfallstraßen und Autobahnen, in Einkaufsstraßen, Bahnhöfen und an belebten Plätzen. Die Karl-Liebknecht-Straße in Berlin ist so ein Ort des Transits, der nicht nur den Alexanderplatz mit dem Schloßplatz verbindet, sondern als Teil der B2 und B5 auch im Kreuz der Nord-Süd- und Ost-Nord-Achse Deutschlands liegt. Selbst für Berliner Verhältnisse ist hier zu jeder Tageszeit sehr viel los.
Zentrale Lage: Das Gebäude, in dem sich die neue nGbK befindet, ist nur einen Steinwurf vom Alexanderplatz entfernt
Foto: Studio Bowie
Das hat der McDonalds Filiale im 1. OG des Hochhauskomplexes in der Nr. 11 bis 13 jedoch während der Corona-Pandemie wenig genützt: Ohne Touristen ist ein touristischer Ort nicht mehr lukrativ zu betreiben, der internationale Konzern musste die Segel streichen. Was einem anderen Akteur die seltene Gelegenheit gab, die Gunst der Lage zu nutzen: „Das Gebäude gehört der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft WBM“, sagt Frank Schönert, Co-Gründer des Berliner Architekturbüros Hütten & Paläste, das den Zuschlag für den Umbau der Filiale erhielt. „Eine kulturelle Nutzung kam für sie durchaus infrage.“ Wie es der Zufall so wollte, war der Berliner Kunstverein nGbK kurz zuvor von einem neuen Investor rüde auf die Straße gesetzt worden. Nach 30 Jahren in den gleichen Räumen sah der basisdemokratisch organisierte Verein das jedoch auch als Chance, seine gewachsene Bedeutung für den Kulturbetrieb der Hauptstadt durch einen Ortswechsel zu unterstreichen. „Um förderfähig zu sein, musste der Verein den Umbau ausschreiben. Aus dem geladenen Wettbewerb ging dann unser Büro als Sieger hervor.“
Kaum kaschierter Rohbau: Die Holzrahmenverschalungen sind in der musealen Zone mit gepresstem Stroh gedämmt und mit Ton verspachtelt, was zu einer sehr angenehmen Raumatmosphäre führt
Foto: Thomas Bruns
Das Konzept sei an sich sehr einfach, jedoch sehr bewusst auf die Bedürfnisse des Vereins abgestimmt gewesen: „Zwei Faktoren standen im Vordergrund“, erinnert sich Frank Schönert. „Zum einen bedingt die basisdemokratische Organisation des Vereins, dass jedes Mitglied Vorschläge für Ausstellungen einbringen kann. Deshalb folgen auf reine Wandhängungen vielleicht als nächstes raumgreifende Installation oder multimediale Inhalte – alle mit sehr unterschiedlichem Platz-, Beleuchtungs- und Präsentationsbedarf. Deshalb wollten wir die Räume so flexibel wie möglich gestalten.“ Und auch die Mitglieder selbst sollten die Räume so vielfältig wie möglich nutzen können – neben der Galerie sind auf den 700 m² auch die Geschäftsstelle des Vereins sowie Schalträume für Seminare, Tagungen oder Workshops untergebracht.
Stadtschaufenster: Die urbane Zone orientiert sich zum Alexanderplatz und lässt viel Licht in die Räumlichkeiten, das bei Veranstaltungen und Vorführungen aber auch durch Schiebeelemente an den Fenstern ausgeblendet werden kann
Foto: Thomas Bruns
„Wir haben daher die Fläche zunächst in drei Zonen unterteilt: Den urbanen Raum, der sich zur Hauptstraße orientiert und der zur Kommunikation mit der Stadtgesellschaft einlädt. Hier finden Versammlungen, Vorträge und Seminare statt. Dann, in der dunklen Tiefe der Gebäudemitte, der museale Raum, der in erster Linie für Ausstellungen genutzt wird. Und schließlich im hinteren Teil des Gebäudes die Funktionsräume mit den Arbeitsplätzen für die Beschäftigten und die Geschäftsführende des Vereins.“
Plusräume: Die raumhohen Faltelemente erlauben es den Nutzerinnen und Nutzern, die Galeriefläche im Handumdrehen nach Bedarf anzupassen
Foto: Thomas Bruns
Dass der Verein nur wenig Geld für die Umsetzung der Pläne hatte, sei im Wettbewerbsverfahren tatsächlich ein Vorteil für Hütten & Paläste gewesen. „Unser Entwurf fokussierte sich darauf, die architektonische Substanz bis auf den Rohbau zu reinigen und von störenden Einbauten zu befreien“, sagt Schönert. „Im zweiten Schritt wollten wir dann die vorhandenen Flächen durch mobile Trennwände und einfache, rückbaubare Holzeinbauten so flexibel nutzbar wie möglich machen.“ Insbesondere die urbane und die museale Zone lassen sich dabei durch die Öffnung raumhoher Wandmodule mit Türelementen um sogenannte Plusräume der einen oder anderen Zone zuschalten. So können die 250 m² der Ausstellungsfläche mit einfachen Handgriffen und in wenigen Minuten auf 400 m² erweitert werden, in dem die schallisolierten Wandmodule auf Aluminiumlaufschienen beiseitegeschoben werden.
Vom Eingang aus gesehen reihen sich entlang des Stadtschaufensters zunächst ein Seminarraum, der als Plusraum dient, und ein Veranstaltungsraum, der an der gegenüberliegenden Seite mittels eines Wandmoduls um einen weiteren Plusraum erweitert werden kann, der zur musealen Zone gehört. Rolltore in Seitentaschen erlauben es zudem, die museale Zone bei Veranstaltungen trotz geöffneter Schaltmodule zu sichern – das ist nicht nur praktisch, sondern auch eine Forderung der Versicherung. Seitlich neben dem Eingang und dem Empfangsschalter befindet sich ein weiterer Plusraum, dessen Fenster sich bei Veranstaltungen zur allgemein zugänglichen Außenterrasse öffnen lassen und der bei Veranstaltungen als Bar dienen kann.
Transparenter Umbau: Mit reversiblen Einbauten werden die 700 m² in unterschiedliche Zonen unterteilt, aber nicht streng von einander getrennt
Foto: Thomas Bruns
Dieser Raum ist zur Gebäudemitte hin mit raumhohen Fensterelementen gestaltet. Sind die Vorhänge geöffnet, kann natürliches Tageslicht bis tief in das Gebäude und in die Funktionsräume dringen. Dort schließen die Büroküche und verschiedene Arbeitsplätze an, entlang der rückseitigen Fensterfront befinden sich wiederum ein alter Lastenaufzug, über den auch großformatige Ausstellungsstücke in die erste Etage gelangen, ein Videokonferenzraum, eine Bürobox für die Geschäftsführerin und Archivräume. Auch diese Einbauten sind einfache Holzrahmenelemente mit großzügigen Fensterflächen, die Licht und Sichtbezüge transportieren. Und da sie ohne dauerhafte Verbindungen gefügt sind, lassen sie sich am Ende der Nutzungszeit ganz einfach wieder ausbauen und rezyklieren.
„Das Projekt zeigt, wie ein Umbau mit minimalinvasiven, einfach rückbaubaren Maßnahmen gestaltet werden kann“, sagt Frank Schönert. „Scherzhaft sagen wir auch, dass wir die weltweit erste rigipsfreie Galerie geschaffen haben.“ Die rohen Betonwände sind lediglich in der urbanen und musealen Zone mit Strohbauplatten überdeckt, die auf einer Holzrahmenkonstruktion befestigt wurden. Ein Schicht Papier und eine Schicht Tonspachtel bilden die Oberfläche. „Ich gehe davon aus, dass man die gesamte Konstruktion am Ende ihres Lebenszyklusses kompostieren und dann Kürbisse darauf züchten kann.“ Was diesem Wandaufbau jedoch in erster Linie gelingt, ist ein angenehmes Raumklima, dass nicht einmal entfernt an Frittenbude erinnert, obwohl deren Spuren noch überall vorhanden sind: eine beflieste Säule hier, ein alter TGA-Durchbruch dort – an der rückwärtigen Fensterfront ist sogar noch ein großer, gelber Pommesbogen erhalten. Und auch das ursprüngliche Raumprogramm lässt sich noch am Übergang verschiedener Steinböden ablesen. Das alles passt sehr schön zu einem urbanen Kunstraum Berliner Prägung, der immer schon ein wenig rougher war als im Rest der Republik. Dagegen schaffen die Holzeinbauten mit den Krautplatten als Akustikelementen im oberen Bereich fast schon einen gemütlichen Kontrast, der sich gut zur Büroarbeit eignet.
Aber sind die Plusräume auch alltagstauglich oder sind sie lediglich blasse Architekturtheorie, wie es zum Beispiel im Wohnungsbau heute noch leider oft der Fall ist? „Natürlich mussten sich unsere Mitglieder erst in den neuen Räumen zurechtfinden. Aber wir stellen zunehmend fest, dass sie mit jeder neuen Ausstellung die Potenziale ausreizen und in die Kuratierung und Präsentation der Kunst mit einbeziehen“, sagt Annette Maechtel, Geschäftsführerin des Vereins. Insofern sei der Umzug aus Kreuzberg rückblickend betrachtet durchaus ein Gewinn für den Verein. Das neue Umfeld aus Tourismus, Kommerz, offener Obdachlosigkeit und allem anderen, was der nahe Alexanderplatz mit sich bringt, sei auch eine Aufforderung an den Verein, sich künstlerisch und inhaltlich neu zu positionieren und mit neuen Themen auseinanderzusetzen.
Detail Schiebetrennwand, M 1 : 50
Bleibt die Frage, was das Erobern dieser innerstädtisch exponierten Lage durch die Kunst für die Stadtgesellschaft bedeutet – ist das schon eine Art Gegengentrifizierung? „Auf jeden Fall kann man sagen, dass gerade Corona Lücken geschaffen hat, die wir jetzt neu und kreativ bespielen können“, sagt Frank Schönert. „Dafür ist der Umbau mit einfachen, ressourcenschonenden Mitteln ein gutes Instrument, um günstige und nachhaltige Lösungen zu schaffen.“ Als Experimentierfeld zumindest, so viel ist sicher, eignet sich dafür ein Schnellrestaurant in der Innenstadt ebenso gut wie die inzwischen durchsanierten Altbaukieze der Hauptstadt, aus denen die Kunstschaffenden zu großen Teilen längst wieder verdrängt wurden. Angesichts der Schieflage im Einzelhandel und sterbender Innenstädte durchaus eine Entwicklung, die Mut macht.
⇥Jan Ahrenberg/DBZ
Projektdaten
Objekt: SALON NON FINI: neue Räume für die nGbK
Standort: Karl-Liebknechtstr. 11/13, 10178 Berlin
Typologie: Kunstverein mit Ausstellung, Veranstaltung und Geschäftsstelle
Bauherr/Bauherrin: nGbK – neue Gesellschaft für bildende
Kunst e. V., www.ngbk.de
Nutzer/Nutzerin: nGbK – neue Gesellschaft für bildende
Kunst e. V.
Architektur: Hütten & Paläste (Schönert Grau Architekten Part mbB), www.huettenundpalaeste.de
Team: Marianne Rüger (Leitung), Sophia Albrecht, Kristina Sauer, Frank Schönert, Nanni Grau
Bauleitung: Hütten & Paläste, Marianne Rüger
Bauzeit: 11.2022 – 09.2023
Grundstücksgröße: Teil des Berlin Carrés, Berlin Alexanderplatz
Nutzfläche gesamt: 710 m²
Nutzfläche: 670 m²
Technikfläche: 30 m²
Verkehrsfläche: 40 m²
Brutto-Grundfläche: 770 m²
Brutto-Rauminhalt: 3 311 m³
Baukosten (nach DIN 276):
Gesamt brutto: 427 590 € Kostengruppe 300, 400 und 600
Kunst am Bau: Folke Köbberling, Alexa Kreißl
Fachplanung
Tragwerksplanung: Teil des Grundausbau durch WBM
TGA-Planung: HLS Teil des Grundausbau durch WBM, Michael Holke – Elektrotechnik (Beauftragung durch nGbK)
Lichtplanung: H&P mit ERCO
Innenarchitektur: Hütten & Paläste (Schönert Grau Architekten Part mbB)
Akustik: Akustikbüro Krämer + Stegmaier, www.akustik-berlin.de
Brandschutz: Teil des Grundausbau durch WBM
Produkte
Beleuchtung: ERCO, www.erco.com/de
Bodenbeläge: Bestand
Fenster: Schüco, www.schueco.com/de
Innenwände/Trockenbau: iStraw, www.istraw.tech
Software: ArchiCad, www.graphisoft.com
Türen/Tore: Schüco, www.schueco.com/de
Wärmedämmung – Mobile Trennwände: günther, www.karlguenther.de