Fritz-Kirchhoff-Schauspielschule, Berlin
Die Schauspielschule „Der Kreis“ für Theater, Funk, Film und Fernsehen wurde 1945 von dem Theater- und Filmregisseur Fritz Kirchhoff gegründet. Nachdem die Mieten in Berlin Kreuzberg stark gestiegen waren, musste die private Institution in ein neues Quartier wechseln. Die Architekt:innen von Hütten und Paläste aus Berlin bauten dafür einen Teil der ehemaligen Sarotti-Schokoladenfabrik am Teltowkanal in Berlin Tempelhof um. Das Besondere: Sie nahmen keinerlei dauerhaften Veränderungen am Bestand vor. Die Maßnahmen beschränken sich auf neue Technik und eingestellte, eigenständige Raumboxen für die Unterrichtsräume.
Die Schauspielschule befindet sich im 5. OG der ehemaligen Sarotti-Schokoladenfabrik. Im neuen Technikgeschoss darüber ist die Lüftungsanlage untergebracht
Foto: Oliver Schmidt
Raum-in-Raum-Konzept
Für den Umbau der 350 m² großen Fläche hatten die Architekt:innen ein Budget von 500 000 €. Etwa die Hälfte davon benötigten sie für neue Wasser-, Heizungs- und Elektroleitungen. Mit dem Rest setzten sie ein einfaches Konzept um, allein mit Mitteln des Trockenbaus: vier Raumboxen in einem kaum veränderten Bestand. Hier lernen die Schüler:innen nun schauspielen, tanzen, singen, fechten und mehr. Der Unterricht findet in drei der vier Boxen statt. Sie unterscheiden sich in ihrer Größe, Ausstattung und Atmosphäre. Der große Theatersaal ist mit einer mobilen Bühne und Schwingboden aus Birkensperrholz bestückt. Das Deckenlicht aus unterschiedlich langen Neonröhren soll an einen bewegten Himmel erinnern. „Die Beleuchtung ist hier ein bisschen dramatischer und unterstützt die Funktion des Raumes. Denn hier finden die Aufführungen statt“, erklärt Christian Geyer, Projektleiter für die Schauspielschule bei Hütten und Paläste. Der kleine Saal ist für Tanz und einfache Körperarbeit bestimmt. Hier bilden kreisförmige Neonröhren das Arbeitslicht. Der kleinste Raum ist das Klavierzimmer mit Aussicht auf den alten Schornstein. Sternförmig angeordnete Neonröhren unter der Decke sollen an einen Kronleuchter erinnern. Alle drei Trockenbauboxen eint ihre Farbgestaltung: „Die Innenwelt ist immer weiß, ganz neutral, eine helle Arbeitsatmosphäre. Von außen sind die Kisten lichtgrau, die Schalter sind schwarz“, sagt Frank Schönert, Mitbegründer von Hütten und Paläste. Durch das Grau werden die alten Wände und Träger zum Leuchten gebracht. Dazu trägt auch bei, dass die Architekt:innen die Raumboxen mit einem Abstand zum Stahlbeton-Tragwerk platzierten. „Der Bestand bringt atmosphärisch wahnsinnig viel mit, auch wenn er schmutzig und rau ist. Er wird durch unsere Eingriffe noch hervorgehoben“, so Schönert. Alles Alte haben die Architekt:innen nur abfegen lassen – kein neuer Anstrich, keine abgehängten Decken. Ein starker, in Szene gesetzter Kontrast von Alt und Neu.
Das Modell zeigt das Konzept: eingestellte Raumboxen im kaum
veränderten Bestand
Foto: Hütten & Paläste
Neuer Trockenbau trifft auf alten Massivbau
Der Raum zwischen den drei Unterrichtskisten, in dem der Bestand optisch im Vordergrund steht, ist als offene Zirkulationsfläche konzipiert. Vom Eingang mit Foyer geht er fließend über zum Lehrer:innenzimmer und schließlich zum Aufenthaltsbereich für die Schüler:innen. In einer Gebäudeecke platziert, bietet dieser eine gute Aussicht auf den Kanal und in Richtung Neukölln. Zentral in der Mitte der Bewegungsfläche befindet sich der Fundus, sodass er von allen Klassenzimmern gut zu erreichen ist. „Hier ist der Schatz der ganzen Schule untergebracht“, sagt Schönert und bewegt dabei den silbernen Vorhang, der rund um die multifunktionale Box gezogen werden kann. Geschlossen verbirgt er das Lager, die Requisite sowie eine Teeküche und eine kleine Werkstatt. Im Gegensatz zu den Unterrichtsboxen ist der Fundus nicht als Raum-in-Raum ausgebildet. Er wird durch einfache Trockenbauwände und den Vorhang begrenzt, hat aber keinen eigenen Fußboden und auch keinen Kontakt zur oberen Geschossdecke. Vielmehr soll er Teil des offenen Bewegungsbereichs zwischen den Unterrichtsräumen sein.
An einer Stelle haben die Architekt:innen den
Bestand doch ertüchtigt: Den Sockel der Außenwand haben sie von
innen gedämmt, um bis Brüstungshöhe eine
höhere thermische
Behaglichkeit zu
erzeugen
Foto: Oliver Schmidt
Trockenbau ermöglicht Reversibilität
Die meisten Einschränkungen für den Umbau ergaben sich aus den Unterrichtsräumen. Für sie gab es spezielle Anforderungen an Fußböden und Behaglichkeit, vor allem aber an die Akustik. Wenn im großen Theatersaal getanzt und gerufen wird, müssen andere Schüler:innen im Klavierraum musizieren und im kleinen Saal flüstern können. „Hier merkt man, dass diese Boxen eine sehr gute Schalldämpfung aufweisen. Nicht nur intern, sondern auch nach außen“, sagt Architekt Frank Schönert im Tanzsaal. „Man schaut durch die Fenster auf die vorgelagerte Autobahn und hört gar nichts.“ Erreicht haben die Planer:innen das, indem sie die Räume als akustisch und klimatisch autarke Einheiten ausgebildet haben. Die Wände, Decken und Böden sind aus speziellen schweren Trockenbauplatten („Silentboard“). Eine Gummischicht unter den Lagerhölzern des Bodens sorgt für die akustische Trennung vom Bestand. Nach Außen sind die Räume mit Schallschutzfenstern abgetrennt, die Luftschicht zwischen Trockenbau und Außenwand sowie akustisch wirksame Vorhänge sorgen für zusätzlichen Schall- und Wärmeschutz. Alle Eingriffe stimmten die Architekt:innen mit den Akustiker:innen von K5 ab. Der Aufwand reichte jedoch nicht ganz aus. Nachträglich werden die Unterrichtsräume nun noch mit Deckenabsorbern ausgestattet. Da die Anschaffung außerhalb des knapp bemessenen Budgets lag, wurden sie erst vor Kurzem durch den Bauherrn genehmigt.
Alle Unterrichtsräume sind als akustisch und klimatisch autarke Raum-in-Raum-Einheiten ausgebildet
Foto: Oliver Schmidt
Ohne den Trockenbau wäre dieser behutsame Umbau nicht möglich gewesen. So können alle Einbauten in dem unter Denkmalschutz stehendem Gebäude wieder zurückgebaut werden. Dennoch – wäre eine Lösung, die den Bestand selbst wärme- und schallschutztechnisch ertüchtigt, nicht naheliegender gewesen? Frank Schönert erklärt: „Es gab mehrere Punkte, die zu unserem Konzept führten. Das eine war der Denkmalschutz. Hinzu kam das knappe Budget. Vor allem stellen wir uns aber bei allen Umbauprojekten die Frage: Was ist architektonisch wirklich notwendig, um das Gebäude mit etwas völlig Neuem füllen zu können? Hier war es das absolute Minimum.“
Der Fundus mit Requisite und Lager ist durch seine zentrale Lage von jedem Unterrichtsraum gut zu erreichen
Foto: Oliver Schmidt
Im Raum zwischen den neuen Unterrichtsräumen trifft Neu auf Alt. Die Decken und Wände des alten Gebäudes ließen die Architekt:innen unverändert
Foto: Oliver Schmidt
Die lichtgrauen Raumboxen sind mit Abstand zum alten Stahlbeton-Tragwerk platziert. So wird der Bestand optisch besonders hervorgehoben
Foto: Oliver Schmidt
Grundriss, M 1 : 400
1 Großer Saal
2 Foyer
3 Kleiner Saal
4 Requisite
5 Lager
6 Werkstatt
7 Schüler:innenzimmer
8 Klavierzimmer
9 Lehrer:innenzimmer
Fassadenschnitt, M 1 : 33
Wand
12,5 mm Silentboard
12,5 mm Diamant
100 mm Dämmung
MW-Profil
12,5 mm Diamant
12,5 mm Silentboard
Decke
Direktabhänger
UD-Wandabschlussprofile
CD-Profile 60/27
60 mm Dämmmatte
12,5 mm GKB
12,5 mm Silentboard
Boden
(Flächenelastischer Schwingboden)
21 mm Birkensperrholz, geölt
PE-Folie als Knarrschutzvlies, ca. 20cm überlappend verlegt
20 mm Schwingverteilungsbr., getr. Fichte, gehobelt
55 mm Schwingträger, getr. Fichte, gehobelt
20 mm Elastomere
Dampfbremse
Dämmung im Brüstungsbereich
600 mm mineralische Dämmplatten, dampfdiffusionsoffen
Lehmklebemörtel, reversibel im Brüstungsbereich.
Abkantungen mit Kantenprofil
Normalputzmörtel bis 1 mm Körnung
Hütten & Paläste
Nanni Grau, Frank Schönert
www.huettenundpalaeste.de
Foto: Stephan Bögel
Less is more. Durch das bewusste Weglassen von abgehängten Decken und mobilen Trennwänden bleibt der ursprüngliche Raum erlebbar. Die frei eingestellten Rauminseln sind weiter durch textile, akustisch wirksame Raumtrennungen unterteilbar – ein gelungenes Beispiel für flexible Raumzonierungen mit geringen Eingriffen und für suffizientes, massevermeidendes Bauen im Bestand.« DBZ Heftpartner Prof. Andreas Betz,
Prof. Jochen Pfau, Prof. Jochen Stopper, TH Rosenheim
Projektdaten
Objekt: Schauspielschule „Der Kreis“, Fritz- Kirchhoff-Schule, Berlin
Standort: Teilestr. 11, 12099 Berlin Tempelhof
Typologie: Schauspielschule/ Theatersaal/ Probenräume
Bauherr: Dietrich Lehmann, Fritz-Kirchoff-Schule
Nutzer/Nutzerin: Schauspielschule „Der Kreis“, Fritz- Kirchhoff-Schule, Berlin
Architektur: Hütten & Paläste, Berlin,
www.huettenundpalaeste.de
Team: Christian Geyer, Franziska Heidecker, Carsten Oppermann, Nanni Grau, Frank Schönert
Bauleitung: Hütten & Paläste, Berlin
Bauzeit: 10.2019 – 10.2021
Nutzfläche gesamt: 365 m²
Nutzfläche: 345 m²
Verkehrsfläche: 20 m²
Brutto-Grundfläche: 390 m²
Brutto-Rauminhalt: 1 635 m³
Baukosten (nach DIN 276):
Gesamt brutto: 371 365 € (KG 300 und 400); (KG 700 = 128 635 € brutto)
Hauptnutzfläche: 1 076 €/m² (KG 300 und 400)
Brutto-Rauminhalt: 227 €/m³ (KG 300 und 400)
Fachplanung
Tragwerksplanung: IB Hahn, Plochingen, www.ibhahn.net
TGA-Planung: DKIPlan, Berlin,
www.dkiplan.de
Lichtplanung: Navid Nouri, Dipl.- Ing. (FH) Elektrotechnik, Berlin
Akustik: Akustikbüro K5 GmbH, Berlin, www.k5-akustik.de
Energieberatung: DKIPlan, Berlin, www.dkiplan.de
Brandschutz: Bärbel Müller Architekt, Berlin
Brandschutzprüfer: Hagen & Partner Prüfingenieure für Brandschutz, Berlin, www.pruefingenieure-brandschutz.de
Herstellerfirmen
Bodenbeläge: TOP-SPORT GmbH, www.topsport-gmbh.de
Türdrücker: FSB, www.fsb.de
Innenwände/Trockenbau: KNAUF, www.knauf.de
WC-Trennwände: Kemmlit,
www.kemmlit.de
Wärmedämmung: Multipor,
www.multipor.de
Fliesen: Villeroy & Boch AG,
www.villeroy-boch.de
Geschichte der Sarotti-Schokoladenfabrik Berlin
Die Sarotti-Schokoladenfabrik befand sich ursprünglich am heutigen Mehringdamm in Berlin Kreuzberg. Als mehr Platz benötigt wurde, baute der Architekt Herrmann Dernburg 1911-12 das neue Werk in Berlin-Tempelhof. Der fünfgeschossige Bau ist ein wichtiges Beispiel für die Entwicklung des modernen Stahlbeton-Skelettbaus. Nach einem Großbrand 1922 lieferte er einen Nachweis für die Widerstandsfähigkeit von Stahlbeton gegen Feuer. Bei den Wiederherstellungsarbeiten kam zudem das neue Betonspritzverfahren zum Einsatz.
2004 verließ schließlich die letzte industrielle Nutzerin, die Firma Nestlé, das Gelände. Mittlerweile hat ein Süßwarenfabrikant aus dem Iran das Werk gekauft. Er interessierte sich vor allem für die alten Maschinen, ertüchtigte den Bau dennoch brandschutztechnisch, sodass er nun kleinteilig, vor allem an Künstler:innen vermietet wird. Ganz oben, im fünften Obergeschoss, in der südöstlichen Ecke, befinden sich nun die Räume der Fritz-Kirchhoff-Schauspielschule, mit bestem Blick auf den Teltow-Kanal.