Fast schon großstädtisch
Stadtkomplettierungsprojekt Stubengasse in Münster mit Städtebaupreis

Es gibt zwei aktuelle Anlässe, über eine Lükkenschließung größeren Stils in der Westfalenmetropole Münster zu schreiben. Der erste – und sicherlich wichtigste – ist der Gewinn des Deutschen Städtebaupreises für das Stadtkomplettierungsprojekt „Stubengasse – Hansecarré“. Der zweite die Eröffnung des deutschlandweit ersten vollautomatischen Fahrradparkhauses am 3. Dezember. Und dann muss man davon schreiben – weil es bisher noch nicht geschah und das Projekt beispielhaft ist auch für andere deutsche Städte.

Wer im Juni 1945 vom Münsteraner Bahnhof im Osten Richtung Westen schaute, konnte die gut 2000 m entfernt liegenden Schutthaufen des Schlosses sehen; die Altstadt lag komplett im Trümmern. Ihr Wiederaufbau – die Kernstadt ist heute gefasst durch die mit Bäumen bepflanzten Reste der ehemaligen Befestigungsanlagen, der Promenade – erfolgte in Teilabschnitten und wurde immer von Prinzipalmarkt aus gedacht. Der steht heute, mit seinen (fast) komplett nachempfundenen Giebelhäusern, beispielhaft für einen gelungenen Wiederaufbau in der frühen Nachkriegs­zeit. Andere Flächen, so auch die heute wieder bebaute Stubengasse warteten länger auf ihre Entdeckung und Wiederbelebung.

Zwar in Teilen schon durch Landschaftsgestaltung und Verkehrsberuhigungen, durch Platz- und Fassadenplanungen „beruhigt“, konnte die Binnenlage mit 1A-Wert erst mit dem zweiphasigen internationalen Architekten- und Investorenwettbewerb 2002 als Ganzes angefasst und in die Form gebracht werden, die sich den Münsteranern seit nunmehr schon einem Jahr bietet. Fritzen + Müller-Giebeler Architekten BDA iIn Arbeitsgemeinschaft mit Prof. Ernst Kasper † und dem Investor Harpen Immobilien sowie mit den Münsteraner Büros Deilmann Architek­ten und Kresing Architekten wurde ein vielteiliges, mulitfunktionales Projekt realisiert; und die letzte freie Innenstadtlage in direkter Nähe zum Prinzipalmarkt geschlossen.

Nun zeichnet sich die Stadt Münster neben Manchem auch durch ein erträgliches Nachtleben aus, der großen Studentenzahl sei Dank. Doch Urbanität war der Verwaltungs- und Kirchenstadt über Jahrzehnte wenn nicht eine diffuse Angstvorstellung so doch etwas Unbekanntes. Mit der Bebauung der Stubengasse, die nur ein Teil der in den letzten Jahren in Angriff genommenen Stadterneuerungen ist, kommt so langsam frischer Wind in die ansonsten gemächlich sich bewegende ehemalige Provinzialhauptstadt.

Die weite, langgestreckte Fläche wurde nicht auf eine Parzellierung irgendwo auf der historischen Zeitschiene angepasst. Sie entwickelt sich in den beiden zentralen Bauvo­lumen in die leicht gekrümmte Platzgestalt ­hinein. Die neuen Plätze und Durchgänge beziehen sich auf Gegenüberliegendes, lenken die Fußgänger und die die Verkehrsräume 2. Ordnung beherrschenden Radfahrer. Die Maßstäblichkeit der Gebäude wird durch die plastische Behandlung der Baukörper erreicht. Die Farbigkeit und Materialität der Fassade soll „eine Interpretation der Stadt“ sein (Architekten), doch am ehesten überzeugt noch, das mit der hellen Muschelkalkfassade ein Kontrapunkt gegen das für Münster typische Ziegelrot gesetzt wurde; was auch bei heutigen Neubauten in der Bischofsstadt nicht üblich ist.

Leider banalisieren die öden Dachaufbauten zur Einhausung der Haustechnik den dynamischen und für Münsteraner Verhältnisse fast schon großstädtisch zu bezeichnenden Gestus der gekurvten Volumen, die mit dem anliegenden „Hansecarré“ einen gekonnten Zweiklang aus modernistisch und zeitgenössisch bilden. Das 140-Betten Hotel, Einzelhandel, Gastronomie, die Hauptstelle der Deutschen Bank sowie die Wohnungen des anliegenden Carrés schaffen einen starken Nukleus für weitere städtebauliche Detail-Entwicklungen am wichtigen Kreuzungspunkt zum südlichen Prinzipalmarkt.

Dass dem Ensemble eine zweigeschossige Tiefgarage für 318 PKW – sowie 130 Dauerparkplätze für Radfahrer – hinzugefügt wurde, vergibt die Chance, die insgesamt verkehrsberuhigte Situation konsequent zuende zu denken. Und beispielsweise die den Platz erschließende, abgasgesättigte Windhorststraße ebenfalls in einen freundlichen Stadtraum zu verwandeln. Be. K.

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