„Eine Frage der Haltung“
zum Thema „Leben ohne Barrieren“
Wir brauchen keine „altersgerechte“ Architektur. Erst recht können wir auf „demografiefeste“ Projekte verzichten, die Angebote im
„Silver Living“ unterbreiten. Auch die extra barrierefreie „Seniorenwohnanlage“ sollte der Vergangenheit angehören. Hinter all diesen Begriffen steckt eine Haltung, die unterscheidet. Sie unterscheidet Menschen nach ihrem Alter, nach ihrer körperlichen Verfassung und nach vielen anderen zugeschriebenen oder tatsächlich vorhandenen Merkmalen. Schon mit dem Zusatz „altersgerecht“ schaffen wir eine Kategorie, in der sich – seien wir ehrlich – niemand von uns wiederfinden will. Es ist der Architektur gewordene Seniorenteller.
Doch in unserer Gesellschaft und damit in ihrer Architektur haben wir uns an diese Einteilungen gewöhnt. Meist planen und bauen wir für eine mehr oder weniger scharf umrissene Gruppe von Nutzern: für Singles, für junge Familien, für Ältere oder für Menschen mit Behinderungen. Wir fragen nach spezifischen Bedürfnissen und richten Architektur danach aus. Was ist daran auszusetzen? Erst einmal gar nichts. Verglichen mit früheren Zeiten haben wir hohe Standards erreicht, die Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen ihren Alltag erleichtern. Im Gegensatz zu den Institutionen vergangener Zeiten bieten wir Menschen mit Handicaps heute wohnliche und vergleichsweise komfortable Räume.
Immer besser ausgearbeitete Regelwerke tragen das Erfahrungswissen in die Praxis. DIN-Regeln, VDI-Richtlinien, KFW-Förderbausteine und zahllose weitere Normen und Handlungsempfehlungen lassen kaum Wünsche offen. Und doch haben diese Standards eine Schattenseite: Es entstehen oft Sonderbauten, die manchmal sogar ausgrenzen, die Menschen stigmatisieren.
Daher kann eine alters-, behinderten- oder wem auch immer gerechte Architektur nur eine Übergangslösung sein. Wir brauchen Architektur, die allen Menschen, ganz gleich wie alt, gesund oder eingeschränkt, egal welcher sozialen oder ethnischen Herkunft sie sein mögen, Lebensqualität und Teilhabe ermöglicht. Gute Architektur integriert statt zu separieren.
Der Schlüssel hierzu liegt für mich im Universal Design, wie es in den USA entwickelt und inzwischen weltweit angewendet wird. Hierzulande kennen wir auch den Begriff „Design für alle“. Die Unterschiede sind zu vernachlässigen. Wichtiger ist die gemeinsame Haltung: das Leben aller Menschen durch gute Gestaltung zu vereinfachen. Diese integrierende Strategie ist meines Erachtens der Schlüssel für die Architektur der Zukunft.
Entscheidend bleibt die ästhetische Gestaltung. Die Qualität der Architektur vermittelt ihren Nutzern Anerkennung. Gerade Menschen, die mit Einschränkungen konfrontiert sind, brauchen nicht nur funktionale, sondern vor allem schöne Räume. Universal Design ist keine Strategie für Randgruppen. Vielmehr ist es eine Investition in die Zukunft unsere Gesellschaft, die nicht nur wünschenswert ist. Sie wird bald wirtschaftlich notwendig sein. Wir werden uns die vielen Sonderlösungen schlicht nicht mehr leisten können.
So will ein Vermieter seine langjährigen Bewohner halten und ein möglichst breites Angebot für Menschen unterschiedlichen Alters bieten. Oft zieht man jung ein und erst alt aus. Die Wohnung muss aber für das ganze Leben konzipiert sein. Der viel zitierte und mittlerweile überstrapazierte demografische Wandel wird uns also keine Wahl lassen. Wir brauchen Architektur, die Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen dienen kann. Haben wir dieses Ziel verinnerlicht, werden Barrieren in unserer Architektur keinen Platz mehr haben.
Der Architekt
Eckhard Feddersen (Jg. 1946) baut seit 1973 im sozialen Bereich. Nach Archi-tekturstudium (TU Karlsruhe, USA, TU Berlin) und Assistenz am Fachbereich Architektur der TU Berlin gründete er 1973 sein Architekturbüro in Berlin. Da-neben war er bis 1982 Lehrbeauftragter an der TU Berlin. Eckhard Feddersen war Planungsdirektor für die Bauausstellung Berlin 1999. 2002 gründete er feddersenarchitekten. 2003 initiierte er den „Kompetenzkreis Gesundheit Pflege und Behinderung in Berlin“. 2009 gab er mit Insa Lüdtke den Entwurfsatlas „Wohnen im Alter“ heraus. Er ist auch als Referent, Gutachter und Publizist tätig.