Altersgerecht versus
altengerecht

Prof. Dr.-Ing. Gerhard Loeschcke, Karlsruhe zum Thema „Altersgerecht Bauen“

Benötigen wir, wie prognostiziert, 3 Millionen spezifische Seniorenwohnungen? Sind diese nachhaltig sinnvoll? Kaum jemand wünscht sich, im Alter nochmals umziehen zu müssen und dann in ein mit Vorurteilen behaftetes Umfeld – fernab langjähriger sozialer Bindungen. Wenig hilfreich erscheint mir, spezialisierte und spezifische Lösungen suchen zu wollen. Häufig genügt ein generelles Mindestmaß an Barrierefreiheit. Ein Ansatz, der im Übrigen immer stärker in die Bauordnungen Einzug findet.

Wir haben nicht nur eine wachsende Zahl älterer Menschen, sondern blicken auf grundsätzlich stark veränderte und sich verändernde Gesellschaftsbilder einhergehend mit einer Pluralisierung der Haushaltstypen, deren Wohnbedürfnisse gedeckt werden müssen: Wir
stehen vor einem Strukturwandel, welcher einen grundlegend neuen Wohnungsbau erfordert. Jeden Wunsch über Speziallösungen zu erfüllen evoziert zukunftsuntaugliche Entwicklungen. Es gilt, die Chance zu nutzen, den Wohnungsbau fit zu machen, diesem Strukturwandel flexible adäquate Lösungen gegenüberzustellen. Konsequent wäre es, grundsätzlich „altersgerechte“ und nicht spezifisch „altengerechte“ Wohnungen zu schaffen, die für alle Generationen eine größere Bandbreite an Möglichkeiten bereit halten. Altersgerechte Wohnungen zu etablieren betrifft nicht nur den Neubau, sondern auch den Bestand.

Im Gegensatz zu den Nachkriegsbauten erlaubt der heutige Neubau, nicht nur schnell und sparsam die reine Wohnungsnachfrage zu befriedigen. Er muss aber auch erweiterte Wohnbedürfnisse hinsichtlich Fläche und Ausstattung erfüllen, so dass sich die damaligen Regularien für Mindestwohnflächen überlebt haben. So ist der Wunsch nach größeren Räumen selbstverständlich – seien es die Individualräume, Sanitäreinheiten aber auch Verkehrsflächen. 8 m² Fläche für eine Person bzw. 13 m² für zwei lassen sich nicht mehr anbieten. Weil wir hier heute freier sind, ist es eigentlich selbstverständlich, einen Mehrwert im Sinne der Barrierefreiheit zu etablieren. Flexiblere Grundrissstrukturen und technisch adaptierbare Infrastrukturen sind Basis für sich verändernde Wohnbedürfnisse im Lebenszyklus. Generationen- bzw. Altersgerechtigkeit wird damit integraler Bestandteil der Nachhaltigkeit über die Sicherung der Gebrauchstauglichkeit der Immobilie.

Im Zuge von Sanierungen ist gleichermaßen die Ressource Bestandsbau anzugehen und dem altersgerechten Wohnen zuzuführen, und dies vor dem Hintergrund bezahlbarer Mieten. Sicherlich gelingt Barrierefreiheit nicht nach Punkt und Komma: Es gilt, Barrieren zu reduzieren und die Grenzen der Machbarkeit abzuschätzen. Intelligente und ausgleichende Strategien sind baulichen Restriktionen gegenüberzustellen, die auf erster Ebene die Erhöhung der Sicherheit und ergonomische Gebrauchstauglichkeit, auf zweiter die Zugänglichkeit und letztendlich weitgehende Barrierefreiheit verfolgen.

Barrierefreiheit, allein auf die wohnungsinternen Parameter bezogen, greift zu kurz. Jenseits aller Sozialromantik sind Wohnviertel, ist die Nachbarschaft komplementär einzubinden. Pufferflächen erlauben es, selbstregulierende Prozesse anzustoßen und damit urbane
Milieus zu initiieren. Gemeinschaftliche Infrastrukturen neu zu entdecken eröffnet die Chance, fehlende Ressourcen und Funktionen innerhalb der Wohnung auf externe zu überführen und zugleich soziale Barrieren abzubauen: Jenseits der technologischen Ebene lässt sich Altersgerechtigkeit auf humanökologischer Ebene etablieren.

Der Architekt

Gerhard Loeschcke befasst sich als Freier Architekt, Hochschullehrer und Unternehmensberater in Karlsruhe schwerpunktmäßig mit der Architekturanthropologie. Im Fokus stehen Themen aus den Bereichen Architektur im demographischen Wandel, barrierefreies und altersgerechtes Bauen sowie Arbeitsplatzgestaltung. In wissenschaftlichen Beiräten tätig, berät er unter anderem die Industrie zu Produktentwicklungen. Er erarbeitete Parameter für barrierereduziertes Bauen im Bestand – Basis für KfW-Förderungen im Wohn- und Städtebau.

Gerhard Loeschcke ist Autor zahlreicher Fachbücher, Fachbeiträge und ist Obmann bzw. Mitglied einschlägiger DIN-Ausschüsse. Er studierte und promovierte an der TU Berlin.

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