Eine passende BauweiseToleranzen und Passungsberechnungen für Betonfertigteile
Das Bauwesen wird geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher handwerklicher Tätigkeiten, bei denen Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Maßen unvermeidbar sind. Um das pass- und funktionsgerechte Zusammenfügen von Bauwerken und Bauteilen des Roh- und Ausbaus ohne Nacharbeiten zu ermöglichen, sind bereits in der Entwurfs- und Planungsphase Überlegungen zu Toleranzen anzustellen.
Der Betonfertigteilbau bietet aufgrund der Werksfertigung und der damit verbundenen hohen Qualität beste Voraussetzungen für ein passgerechtes Bauen. Hierfür müssen allerdings einige Grundlagen beachtet werden. Dieser Beitrag will den planerischen Umgang mit Toleranzen beim Bauen mit Betonfertigteilen erläutern und die Notwendigkeit für Passungsberechnungen darlegen. Wesentliche Inhalte dieses Beitrags sind dem FDB-Merkblatt „Toleranzen und Passungsberechnungen für Betonfertigteile“[1] entnommen.
Toleranznormen
Beim Bauen mit Betonfertigteilen können folgende Maßabweichungen auftreten:
Jeder einzelne Arbeitsschritt hat Maßabweichungen zur Folge, so dass die Maßgenauigkeit des Bauwerks im fertigen Zustand von den Maßabweichungen der einzelnen Arbeits-
schritte abhängt (vergl. [2]).
Für Toleranzen im Hochbau sind insbesondere zwei Normen zu beachten:
Allgemeine Herstellungstoleranzen für Betonfertigteile sind in DIN 18203-1 angegeben. DIN 18203-1 wurde zwar aus formalen Gründen vom DIN aus dem aktiven Normenbestand genommen, da sie dem Anwendungsbereich der europäischen Produktnormen entgegensteht. Der Inhalt von DIN 18203-1 und somit deren Toleranzwerte entsprechen jedoch weiterhin dem Stand der Technik. Die Anwendung von DIN 18203-1 stellt daher sicher, dass der von allen Beteiligten akzeptierte Herstellungsstandard in Deutschland erhalten bleibt, wodurch die Wahrscheinlichkeit eines passgerechten Bauens erhöht wird. Ein Beispiel für die Herstellungstoleranzen von Balken zeigt Abb. 1.
Betonfertigteile fallen mit dem Einfügen in das Bauwerk in den Anwendungsbereich der DIN 18202. Die Anforderungen in DIN 18202 sind material- und bauartunabhängig und schließen auch Vermessungs- und Montagetoleranzen ein. Eine wesentliche Aufgabe von DIN 18202 ist somit die Sicherstellung der Passung des Gesamtbauwerks sowie die Regelung der Schnittstellen zwischen einzelnen Gewerken und Bauabschnitten.
Folgende Grenzabweichungen für Bauwerke sind in DIN 18202 angegeben:
Es sind sowohl Grenzabweichungen für Längen- oder Querschnittsmaße als auch Grenzwerte für Winkelabweichungen einzuhalten. Es gilt das jeweils strengere Kriterium. Ebenheitsabweichungen an Bauteilen werden getrennt von Grenz- oder Winkelabweichungen betrachtet.
Festlegungen zur Ebenheit von flächenartigen Bauteilen wie Decken- und Wandplatten beziehen sich auf einzelne Bauteile. Höhenversätze bzw. Versprünge zwischen benachbarten Bauteilen werden vom Anwendungsbereich der DIN 18202 ausdrücklich nicht erfasst. Grenzwerte von Höhenversätzen und Versprüngen sowie die jeweils erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen sind vom Planer daher gesondert festzulegen. Hinweise hierzu enthalten [1] und [5].
Toleranznormen stecken einen Erfahrungsbereich ab, der für Bauteile oder Bauwerke durchschnittlicher Ausführungsart und Abmessungen im Rahmen üblicher Sorgfalt vorausgesetzt werden kann. Außerhalb dieses Erfahrungsbereichs sind zulässige Maßabweichungen und die hierfür erforderlichen Messmethoden gesondert festzulegen. Dies gilt auch, wenn höhere Genauigkeiten verlangt werden [4].
Toleranznormen sind nicht für ästhetische Anforderungen oder für die Beurteilung des optischen Erscheinungsbildes eines Bauteils oder Bauwerks erarbeitet worden, sondern für den rein technischen Aspekt des pass- und funktionsgerechten Zusammenfügens von Bauteilen. Grenzwerte und geeignete Ausgleichsmaßnahmen zur Erzielung optischer und ästhetischer Anforderungen, die über die rein technischen Anforderungen hinausgehen, sind daher im Einzelfall zu vereinbaren.
Grundsätzlich ist bei der Festlegung „schär-ferer“ Toleranzen zwischen dem technisch Machbaren, den Funktionsanforderungen, dem zusätzlichen Aufwand und den damit verbundenen zusätzlichen Kosten sinnvoll abzuwägen. Den Kostenzuwachs, der durch die Festlegung höherer Genauigkeiten verursacht wird, verdeutlicht Abb. 2.
Fugen
Die Themenbereiche „Toleranzen“ und „Fugen“ berühren sich im Betonfertigteilbau beim Zusammenfügen einzelner Bauteile. Es muss sichergestellt sein, dass Betonfertigteile auf der Baustelle in das Bauwerk eingepasst werden können. Trotz der hohen Herstellungsgenauigkeit von Betonfertigteilen sind geringe Maßabweichungen unvermeidbar. Da diese Maßabweichungen der Fertigteile auf der Baustelle nicht mehr ausgeglichen werden können, müssen entsprechende Fugen vorgesehen werden.
Fugenbreiten zwischen Betonfertigteilen hängen von folgenden Einflussfaktoren ab:
1. Maßabweichungen aus Herstellung und Montage sowie Vermessungs- und Ausführungsungenauigkeiten auf der Baustelle
Die Aufgabe einer Fuge besteht zunächst darin, die unvermeidbaren Maßabweichungen und Ausführungsungenauigkeiten auszugleichen. Maßabweichungen und Ausführungsungenauigkeiten sind zufällige Größen, die sich erst im Laufe des Herstellungs- und Montageprozesses ergeben und somit zum Zeitpunkt der Planung weder vom Vorzeichen noch zahlenmäßig bekannt sind. Daher werden in Toleranznormen [3] und [4] maximale Maßabweichungen, sogenannte Grenzabweichungen, als Vorhaltemaße angegeben.
Es ist in jedem Fall zu prüfen, ob diese Grenzabweichungen den jeweiligen Anforderungen des Bauvorhabens entsprechen oder ob andere Toleranzwerte festgelegt werden müssen.
2. Verformungen bzw. Längenänderungen der Bauteile, z. B. aus Temperaturschwankungen oder Schwinden
Zeit- und lastabhängige Verformungen sind im Zuge der Planung, z. B. bei Passungsberechnungen zu berücksichtigen, wenn sie für das funktionsgerechte Zusammenfügen von Bauteilen von Bedeutung sind. Verformungen werden nicht durch Toleranznormen abgedeckt, sondern müssen objektbezogen im Zuge der statischen Bemessung rechnerisch ermittelt werden, wobei eine rechnerische Ermittlung nur so genau sein kann wie die Genauigkeit der Eingangswerte.
Dabei ist zu beachten, dass sich Wert und Vorzeichen bei einigen Verformungen im Laufe der Nutzungsdauer ändern, z. B. bei Temperaturänderungen, während andere Verformungen, z. B. durch Kriechen und Schwinden irreversibel sind.
3. Verformbarkeit der Fugendichtung
Die maximale Verformbarkeit einer Fugendichtung darf nicht überschritten werden. Grenzwerte für die zulässige Dehnung von Fugendichtstoffen sind z. B. in DIN 18540 [7] mit 25 % zulässiger Gesamtverformung an-gegeben, d. h. dass durch auftretende Verformungen die Breite der Fuge um maximal 25 % gedehnt oder gestaucht werden darf. Bei zu geringen Fugenbreiten wird der Wert von 25 % überschritten, so dass die Gefahr besteht, dass Fugen aufreißen oder zu stark gestaucht werden (siehe auch [8]).
Da die ersten beiden Einflussfaktoren nicht bei allen Bauteilen gleich sind, können und dürfen, rein technisch betrachtet, verschieden große Fugenbreiten zwischen unterschiedlichen Fertigteilen auftreten. Anders ausgedrückt: Einheitliche Fugenbilder bzw. gleiche Fugenbreiten zwischen allen Fertigteilen sind aus technischer Sicht nicht erforderlich und widersprechen auch dem oben beschriebenen Grundprinzip einer Fuge.
Bei ästhetischen Ansprüchen an ein gleichmäßiges Fugenbild dient die Fuge daher nicht mehr dem Ausgleich von Längenänderungen und Toleranzen, sondern ausschließlich der Erfüllung eben dieser ästhetischen Ansprüche. Da aber auch in diesen Fällen weiterhin zufällige Maßabweichungen und Längenänderungen auftreten und ausgeglichen werden müssen, sind zur Erzielung eines gleichmäßigen Fugenbilds besondere Überlegungen anzustellen (siehe [1] und [5]).
Die hierfür erforderlichen Maßnahmen sind im Einzelfall zu vereinbaren und können das Maß „üblicher handwerklicher Sorgfalt“ übersteigen und somit zusätzliche Kosten verursachen (siehe Abb. 2).
Passungsberechnungen
In Toleranznormen sind Grenzabweichungen für Einzelbauteile festgelegt, mit deren Einhaltung die erforderliche Passung aller Bauteile im Bauwerk nicht automatisch sichergestellt wird. Um das Zusammenfügen von Bauteilen zu gewährleisten und die erforderlichen Fugenbreiten festzulegen, sind Passungsüberlegungen anzustellen bzw. Passungsberechnungen durchzuführen.
Im Zuge dieser Passungsüberlegungen muss geklärt werden, ob die Anwendung der einschlägigen Toleranznormen sinnvoll ist oder ob aus Gründen der Funktion oder der Optik weitergehende bzw. höhere Genauigkeiten verlangt werden müssen. Abstimmungsgespräche über Toleranzen und Schnittstellen zwischen den einzelnen Beteiligten und Gewerken sind daher frühestmöglich durchzuführen.
Es gibt verschiedene Methoden für Passungs-
berechnungen (siehe [1] und [5]):
mit dcomb Gesamtkonstruktionstoleranz
dmax maximale Toleranz in der
gesamten Prozesskette
di jede sonstige Toleranz in der Prozesskette.
Die Wahl der geeigneten Methode sollte nicht willkürlich erfolgen, sondern sich nach den tatsächlichen Begebenheiten richten. Falls viele Prozessschritte in der Hand eines Unternehmens liegen, empfiehlt sich eine Pas-sungsberechnung nach der Methode der statistischen Fehlerfortpflanzung. Werden die einzelnen Arbeitsschritte von jeweils verschiedenen Unternehmen (Bauunternehmung, Fertigteilhersteller und Montageunternehmen) ausgeführt, sollte das Fehlerfortpflanzungsgesetz nur dann angewendet werden, wenn eine rechtzeitige Abstimmung zwischen allen Beteiligten hinsichtlich der Schnittstellen und Toleranzen der einzelnen Gewerke erfolgt.
Bei Passungsberechnungen müssen nicht nur die Herstellungsungenauigkeiten der Fertigteile selbst, sondern auch Vermessungs- und Ausführungsungenauigkeiten des Rohbaus berücksichtigt werden. Eine Vernachlässigung der Ungenauigkeiten der Vorgängergewerke darf nur dann erfolgen, wenn z. B. für die Festlegung der Fugen zwischen Fassadenplatten nach Erstellung des Rohbaus ein Aufmaß durchgeführt und dieses Aufmaß bei der Produktion der Fassadenplatten berücksichtigt wird. Da dies einen erheblichen Einfluss auf den Bauablauf hat, ist die Durchführung solcher Maßnahmen im Vorfeld sorgfältig mit allen Beteiligten abzustimmen.
Die Ergebnisse von Passungsberechnungen zur Ermittlung von Fugenbreiten an Fassadenplatten zeigen Abb. 3 (mit Aufmaß) und Abb. 4 (ohne Aufmaß). Die Fugenbreiten in Abb. 4 sind größer, da hier die Ungenauigkeiten des Rohbaus unbekannt sind und somit bei der Berechnung berücksichtigt werden müssen. Beispiele zu Passungsberechnungen für Betonfertigteile enthält [1].