Einheit von Kunst und Technik
Architektur und Design
an der Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart
Es war kein geringerer als Walter Gropius, der 1923 am Bauhaus von der „neuen Ein-
heit von Kunst und Technik“ sprach und damit die Hinwendung der Gestaltung auf die Industrie meinte. Die Einbindung des technischen Studiengangs Architektur in das vielseitige künstlerische Studienangebot der ABK, Stuttgart, fördert den Austausch mit allen freien und angewandten Künsten. Architektur wird als eine künstlerische Disziplin gelehrt, wobei die fundierte Kenntnis der Technik selbstverständlich immer das Fundament ist. An konkreten Semesterbeispielen wird von den Autoren herausgearbeitet, wie durch interdisziplinäre Projektarbeit der Entwurfsprozess als architektonische, künstlerische und technische Einheit gesehen wird.
Architektur und Design
Die Klasse für Entwerfen, Architektur und Design im Studiengang Architektur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart befasst sich mit den Beziehungen von Objekt, Innenraum und Außenraum. Geprägt durch die interdisziplinäre Struktur an der Kunsthochschule, die fachspezifische Zusammensetzung der Mitarbeiter und die Verbindung mit den Werkstätten für Holz, Metall und Kunststoff und dem Digitallabor ist das Ziel der Lehre die Vermittlung ganzheitlicher, sowohl theorie- als auch praxisbezogener Entwurfsmethodik auf der Basis von künstlerischen, technischen und wissenschaftlichen Grundlagen. Die fortschreitende Spezialisierung in den Einzeldisziplinen bedingt größere Aufmerksamkeit bezogen auf die gegenseitigen Abhängigkeiten, denn die Verantwortung für das Ganze wird dem Gestalter nicht abgenommen. Die Themenschwerpunkte sind Aufgaben aus den Bereichen Neubau, Umbau und Sanierung mit Schwerpunkt Raumbildender Ausbau und die damit verbundenen Objektentwürfe.
Interdisziplinäres Arbeiten während des Semesters steht an der ABK für den aktiven Austausch mit Experten projektbezogener Institutionen. Firmenbesichtigungen, Tagesfahrten zu Ausstellungen / Messen, aber auch internationale Exkursionen sowie Kooperationen zu Partnerhochschulen treten hierbei in den Fokus. Die praktische handwerkliche Arbeit wird durch die Werkstätten der Akademie und themenbezogen Industriebetriebe begleitet. Ziel ist eine realitätsnahe Darstellung in Form von Handskizzen, Prototypen und Modellen bis zum Maßstab 1 : 1. Die experimentelle Auseinandersetzung mit neuen Technologien, Materialien und Medien steht hierbei im Vordergrund.
Denkfabrik
Die Firma Lignum Consulting, ein Beratungsunternehmen mit Ingenieurdienstleistungen für die Holz- und Möbelindustrie, hatte sich zum Ziel gesetzt, für die eigenen Mitarbeiter und den expandierenden Betrieb eine kreative, flexible „Denkfabrik“ für Projektarbeit in variablen Teams zu erstellen. Zur Ideenfindung wurde als Semesterentwurf ein Wettbewerb ausgeschrieben. Auf einem Grundstück im Gewerbegebiet von Kupferzell sollte ein „repräsentatives Bürogebäude“ entstehen, zwei Ausbaustufen waren geplant. In der ersten Phase sollten Räumlichkeiten für Arbeitsplätze von ca. 20 Personen realisiert werden. Für Tagungen, Fortbildung etc. sollte das Gebäude bis zu 40 Personen aufnehmen können. Die Gestaltung der umgebenden Freiflächen war wichtiger Bestandteil der Aufgabe. Natürliche Ressourcennutzung, wie die Verwendung von Erdwärme, Regenwasser und Solarenergie, waren erwünscht. Wiederverkaufswert, niedrige Betriebskosten und ressourcenschonende Bauweise waren weitere Kriterien.
Die Aufgabe gliederte sich in die Themenschwerpunkte: Denkfabrik und Repräsentanz – Innenleben – Form, Struktur und Material. Die Studenten waren gefordert, die Ziele in Frage zu stellen, zu modifizieren und in eigene Konzepte umzusetzen. Die Entwurfsaufgabe beinhaltete die gesamte Bandbreite vom Städtebau bis zum Möbel und die Auseinandersetzung mit dem „Charme“ der ländlichen Industriegebiete. Neben dem Raumprogramm befassten sich die Studenten mit den Begriffen Denkfabrik, Repräsentanz, Innenleben, Form, Struktur und Material in Bezug auf Büroarchitektur, Icons und Corporate Architecture. Wie sieht die konkrete Arbeitsplatzgestaltung aus, welchen Anspruch gibt es an das Möbel? Während des Semesterentwurfes standen die Studenten im engen Kontakt zu der Firma Lignum Consulting. Neben einer Firmenbesichtigung vor Ort besuchte die Klasse die Firma VS Möbel in Tauberbischofsheim, um sich von der Produktion bis zum Showroom einen Einblick in die Büromöbelindustrie zu verschaffen. Eine einwöchige Exkursion nach Skandinavien führte nach Stockholm, Malmö und Kopenhagen, wo man sich mit aktueller Holzarchitektur und projektbezogenen Bauten auseinander setzte und auf ortsansässige Büros und Designer traf.
Parkour
Im Bereich Umbau vorhandener Bausubstanz kooperierte das Atelier Schmutz mit Banken in Frankfurt am Main und stellte die Zurückeroberung des urbanen Raumes in Zeiten seiner zunehmenden Besetzung für private und kommerzielle Zwecke in den Fokus des Semesterprojekts. Ein besonderer Aspekt galt dem respektvollen Umgang des „Traceurs“ mit seiner Umgebung und seinen Mitmenschen. Die Zurückeroberung des öffentlichen Raumes sollte exemplarisch am großstädtischen Raum von Frankfurt/Main untersucht werden. Im „Bankenviertel“ sollte der öffentliche urbane Raum im Sinne von „Parkour“ in seiner Materialität umgedeutet werden. „Parkour“ bezieht sich dabei nicht nur auf den eigenen Körper und Geist bzw. den Umgang mit anderen, sondern ist zugleich eine künstlerische Aussage zum öffentlichen und urbanen Raum. Scheinbar festgelegte Funk-tionen wurden aufgebrochen, andere Ebenen oder Gesichter von Material und urbanem Raum aufgezeigt und neu interpretiert. Private bzw. nicht genutzte Dachflächen wurden neu interpretiert. Bestehende, versteckte Ressourcen, Institutionen, private Kunstsammlungen und Archive sollten an außergewöhnlichen Orten wieder öffentlich werden. Entwurfsbegleitende Exkursionen nach Frankfurt und Basel sowie Workshops und der Austausch mit privaten Kunstsammlungen der Banken in Frankfurt unterstützten den Entwurfsprozess.
RaumFahrt
RaumFahrt assoziiert zunächst den Trip in die Unendlichkeit, Raumschiff Enterprise, die Reise zu unbekannten Galaxien. Eisenbahn, Kraftfahrzeuge, Wohnwagen verbinden hingegen Mobilität und „Wohn“-Komfort. Unterwegssein ist nicht nur Distanzüberwindung, sondern mobiler Wohnort auf Zeit. In der Raumfahrt sind die fliegenden Städte noch Zukunftsvision, „swimming towns“ dagegen sind schon Realität. Die Aufgabe umfasste das architektonische Konzept für ein Passagierschiff. Die Entwurfsstrategie sollte sich an der Beantwortung von analytischen Fragen orientieren. Der Entwurf wurde in vier Phasen in festgelegten Zeiträumen bearbeitet: Das Meer vergessen – Sich einschiffen – Die große Überfahrt – Die Ankunft. Einblick in den Schiffsbau erhielten die Studenten durch den Besuch der Meyer Werft in Papenburg mit anschließendem „An Bord gehen” auf der Aida sowie Fachexkursionen nach Köln und Hamburg. Hier wurden die Materialbibliothek „MaterialconneXion“, verschiedene Reedereien, das Hamburger Schiffsinstitut und Schiffsexperten aufgesucht. Gegen Ende des Semesterprojektes führte „Die große Überfahrt“ auf den australischen Kontinent von Brisbane über Sydney nach Melbourne, wo die Studenten am RMIT ihre Schiffsvisionen präsentierten. Nach einem Stopover in Singapur lud die Klasse alle am Projekt Beteiligten zum „Captains Dinner“ an die Akademie in Stuttgart.
(h)„auszeit“
Jede Stadt hat eine Vielzahl von zeitweise ungenutzten privaten oder öffentlichen Flächen. Gründe dieser vorübergehenden „Auszeit“ für die wertvollen städtischen Parzellen sind vielfältiger Natur. Spekulation, Interimsplanungen, Rechtsstreitigkeiten, Finanzierungsprobleme, Restflächen, Flächen im Wartezustand. Auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl von kulturellen Einrichtungen, privaten Initiativen und Stiftungen, die für temporäre Veranstaltungen die innerstädtisch bespielbaren Räume und Flächen nutzen könnten. Bei dieser Entwurfsaufgabe sollten ungenutzte Orte in Wartestellung durch architektonische Interventionen mit zeitlich begrenzten Veranstaltungen und den sich daraus ergebenden Raumbedürfnissen zusammengeführt werden.
Die Aufgabe wurde über verschiedene Stationen definiert: Brachen, Szenografie, Umschichten, Strategie, Auszeit, Baustelle, Showtime, Finissage. Die einzelnen Phasen beschreiben den Weg für den Entwurf und die Realisierung eines temporären Baus, einer räumlichen Inszenierung bis zum strategischen Rückbau und der weiteren Anwendung oder Umnutzung der verwendeten (Bau-) Materialien. Die Beschäftigung mit „fliegenden Bauten“, Nachhaltigkeit, die Auseinandersetzung mit einfachen kostengünstigen Bauweisen, Bauprozessen und die Inszenierung von wandelbaren Räumen bildeten den Schwerpunkt des Entwurfs. Zum Studienprojekt gehörte eine „Ruhr“-Exkursion zur Zeche Zollverein in Essen, ein Besuch der Museumsinsel Hombroich und der Bruder-Klaus-Kapelle in Mernich.