Energiegewinn als Gestaltungselement
Wohnquartier Hollerstauden, Ingolstadt
Mit einem Energiebügel überspannten die Architekten von bogevischs buero die Gebäuderiegel eines mehrfach ausgezeichneten Quartiers in Ingolstadt. Mit dem Projekt stellten sie außerdem unter Beweis, dass geförderter Wohnungsbau auch mit guter Architektur und geringem Energieverbrauch machbar ist.
Das Quartiersprojekt am Stadtrand von Ingolstadt ist eines von zehn Pilotprojekten aus dem Programm „e % – Energieeffizienter Wohnungsbau“, mit dem in Bayern der effiziente Umgang mit Energie im geförderten Wohnungsbau erprobt und ausgewertet wird. Dabei sollten die Anforderungen der EnEV um 40 bis 60 % unterschritten und zugleich mehr als 50% des Wärmebedarfs aus Sonnenenergie gewonnen werden. Beides, ohne den Kostenrahmen für Sozialwohnungsbau um mehr als 10 % zu überschreiten – eine wahrlich anspruchsvolle Zielsetzung! Dennoch blieben bei dem Projekt Hollerstauden die Mehrkosten für die energetischen Maßnahmen (165 €/m² für die hochwärmedämmende Gebäudehülle und die kontrollierte Wohnraumlüftung) und für ökologische Maßnahmen (173 €/m² für Solarthermie, Pufferspeicher und Regenwassernutzung) in dem gesteckten Rahmen.
Der in einem Plangutachten eingereichte Siegerentwurf von boge-vischs buero sah eine verdichtete Siedlungsform mit kompakten Baukörpern in Holzbauweise vor, die sich zu einem großen V gruppieren. Hofanlagen mit privaten und öffentlichen Freiflächen schaffen Aufenthaltsqualität. Die breiten Laubengänge bieten Raum für Begegnung, unterschiedlich gestaltete und organisierte Treppenanlagen und Balkone lockern die langen Gebäuderiegel auf. Auch die Fassadenverkleidung aus braun lasierten Lärchenholzpaneelen in unterschiedlicher Dichte unterstützt diesen Effekt und lässt die kompakten Riegel offen, leicht und freundlich wirken.
Das Entwurfsthema „Energie sammeln“ wurde von den Architekten konsequent umgesetzt: mit hellen Energiebügeln, die den dunklen Holzfassaden eine elegante Klammer bieten und das Dach mit der Technik für Solarthermie und Lüftung schützend tragen. Die ganzheitliche Verschränkung von Energiekonzept und architektoni-scher Gestaltung erzeugt für die Bewohner ein identitätsstiftendes Gesamtbild der Anlage. In den 2- bis 3-geschossigen Wohnbauten wurden auf 5 750 m² Wohnfläche 81 Wohnungen realisiert, davon 66 öffentlich gefördert, 15 freifinanziert. Die Wohnungsgrößen variieren von 40 bis 105 m². Alle Wohnungen sind barrierefrei ausgestattet nach DIN 18025.
Durch die thermische Trennung von kalten und warmen Gebäudeteilen wurden konstruktive Wärmebrücken konsequent vermieden. Die kalten Bauteile, wie Tiefgarage, Laubengang und Treppe, sind in Stahlbeton ausgeführt. Die warmen Bauteile wurden in Holztafelbauweise erstellt. Für die Außenwandelemente wurden im Werk zunächst 5-lagige massive Wandtafeln aus Brettsperrholz gefertigt. Darauf kam ein 24 cm starker Wandaufbau mit abschließender Lärchenholzschalung. Der so entstandene Hohlraum wurde mit Zellulosedämmung ausgeblasen. Die Wände zu den Laubengängen erhielten aus brandschutztechnischen Gründen außenseitig eine Beplankung mit Gipsfaser- und Faserzementplatten. Der Wandaufbau ist luftdicht ausgeführt. Stichprobenartige Blower Door Tests halfen, diesbezügliche Mängel noch auf der Baustelle zu beseitigen.
Das Energiekonzept
Der Heizenergiebedarf liegt aufgrund der Kompaktheit und der guten Isolierung der Baukörper bei 22,5 kWh/m²a. Die Wärmeversorgung kann daher über die Solarthermieanlage und eine zusätzliche Anbindung an das Fernwärmenetz für Bedarfsspitzen erfolgen. Die Solarkollektoren auf den Dächern der Wohnanlage erwirtschaften mit einer Kollektorfläche von insgesamt 862 m² ca. 57 % der benötigten Heiz- und Warmwasserenergie. Das ist ein jährlicher Energiegewinn von 280 000 bis 300 000 kWh.
Für die Minimierung von Leitungsverlusten bei der Wärmeversorgung wurden die vier Gebäuderiegel zu zwei Versorgungsabschnitten zusammengefasst, die mit je einem Pufferspeicher ausgestattet sind. Die zusammen mehr als 272 000 l fassenden Stahltanks reichen vom Keller bis zum Dach. Die dafür vorgesehenen Räume wurden nach dem Einbringen der Speicher mit Zellulosedämmung ausgeflockt. Die fast zentimetergenaue Temperaturschichtung in den Schichtspeichern garantiert eine maximale Energieausbeute, da die zugeführte Wärme aus Kollektoren, Heizungsrücklauf und Fernwärme ohne Energieverlust in der gradgenau passenden Schicht eingespeist werden kann. Der Energiegewinn ist am Gebäude selbst ablesbar: Auf einer gebäudehohen LED-Leiste wird der Ladezustand eines der Schichtspeicher auf einer Farbskala von blau bis rot angezeigt.
Das Heizwasser wird mit > 60° C zur Verfügung gestellt. Für jede Wohnung gibt es eine Wohnungsstation, in der das Warmtrinkwasser über einen Wärmetauscher im Durchlaufverfahren erwärmt wird – durch die Wärme-energie aus dem Heizkreislauf. Da das Trink
wassersystem auf diese Weise ohne Warmwasserspeicher auskommt, besteht keine Gefahr von Legionellenbildung. Außerdem wird durch die so erreichten Rücklauftemperaturen von unter 30° C die Effizienz der Solaranlagen gesteigert.
Die Wohnungen sind mit einer kontrollierten Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung zentral belüftet. Dafür wurden auf den Flachdächern der Energiebügel sechs Lüftungsanlagen errichtet. I.S.
Beteiligte
Architekt: bogevischs buero architekten & stadtplaner GmbH, München, www.bogevisch.de
Bauherr: St. Gundekar-Werk, Eichstätt, www.gundekar-werk.de
Fachplaner/Fachingenieure
Bauphysik: PMI Bauphysik, Unterhaching, www.pmi-ing.de
Energiekonzept + HLS: TB Stampfer, Salzburg/AT
TGA-Bauleitung: HLS-Ingenieurbüro Kluge, Eichstätt, www.hls-kluge.de; Frey, Donabauer und Wich Ingenieurgesellschaft für technische Gebäudeausrüstung mbH, Gaimersheim, www.ib-fdw.com
Elektroplanung: Instaplan, Ing. Hans Steurer, Faistenau/AT
Statik: Sailer Stepan und Partner GmbH, München, www.ssp-muc.com
Brandschutz: K33 Architektur+Brandschutz, München, www.k33-architekten.de
Bauleitung: Ingenieurbüro seibold+seibold, Eichstätt, www.seibold-seibold.de
Wissenschaftliche Begleitung: Prof. Georg Sahner, HS Augsburg, Prof. Gerhard Hausladen, TU München, Prof. Gabriele Franger-Huhle, HS Coburg
Energiekonzept
Boden EG: Linoleum, Spachtelung, Zementestrich auf PE-Folie, Trennlage als Dampfsperre, Trittschalldämmung Steinwolle 35 mm, EPS WLG 040 200 mm
Außenwand Laubengang: Faserzementverkleidung, Hinterlüftung/Alu-Unterkonstruktion, Gipsfaserplatte, Holzstegträger 240 mm, Zwischenraum mit Zellulose gedämmt WLG 040, Massivholzwand 5-lagig, Dampfsperre PE-Folie, Gipsfaserplatte
Außenwand Gartenfassade: Holzlattung vertikal Lärche, Unterkonstruktion Stehl-Hohlprofil verzinkt, Fassadenbahn, diffusionsoffen, schlagregendicht, Unterdeckplatte Holzweichfaser, Sparschalung horizontal, Holzstegträger 240 mm, Zwischenraum mit Zellulose ausgefacht WLG 040, Massivholzwand 5-lagig, Gipsfaserplatte
Dach: Kiesschüttung, bituminöse Dachabdichtung 2-lagig, Wärmedämmung PU WLS 024, beidseitig aluminiumkaschiert, 160 mm, Dampfsperre, Dreischichtplatte Fichte, BSH-Träger, Oberseite 2 % geneigt
Fenster: Holzfenster mit 3-Scheiben-Verglasung
Gebäudehülle:
U-Wert Außenwand = 0,15 W/(m²K)
U-Wert Bodenplatte = 0,15 W/(m²K)
U-Wert Dach = 0,16 W/(m²K)
Uw-Wert Fenster = 1,00 W/(m²K)
Luftwechselrate n50 = 0,6/h
Haustechnik: Fernwärme, Sonnenkollektoren, Fläche 862 m², Solarertrag 258 600 kWh/a, Deckungsrate 57 %, Warmwasserwärmebedarf 6 kWh/m²a; Warmwasserversorgung dezentral; 2 Pufferspeicher Volumen 272 m³, Energieverteilung über 2 Kreisläufe;
kontrollierte Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung
Zertifikate/Preise
Europäischer Architekturpreis für Energie + Architektur 2012
Anerkennung des PROM 2012
Anerkennung des Deutschen Holzbaupreises 2013