Enrico Fermi School, Turin/IT
In Turin engagieren sich zwei private Stiftungen für die Sanierung baufälliger Schulen. In einem offenen Wettbewerb fordern sie unter anderem, die Schule für die Nachbarschaft zugänglich zu machen. Das junge Team von BDR bureau gewann den Wettbewerb und zeigt beispielhaft, wie man den Bestand der Nachkriegszeit intelligent umbauen kann.
Turin macht Schule
Eine Ausschreibung zum Neu- oder Umbau von Schulgebäuden, vor allem für eine erdbebensichere Ertüchtigung, verläuft in Italien nur selten öffentlich. Daraus entstand bisher keine vorzeigbare, sondern eher eine nüchterne Schularchitektur, mit geringsten Mitteln realisiert. So ist der beklagenswerte Zustand der Bildungsbauten in den letzten Jahren zum Thema einer öffentlich geführten Diskussion geworden – und einer der Gründe für „Torino fa scuola“, ein 2015 gestartetes Pilotprojekt zweier privater Stiftungen zur Erneuerung und Renovierung öffentlicher Schulgebäude in Turin. Unter der Leitung der Turiner Stiftungen Giovanni Agnelli und Compagnia di San Paolo werden vorerst zwei Schulen renoviert, eine aus dem frühen 20. Jahrhundert und die Enrico Fermi Schule, erbaut 1965, der Hochzeit der Nachkriegsmoderne.
Komplexer Eingriff in den Bestand
Die 1965 eröffnete „Scuola secondaria di primo grado Enrico Fermi“ an der Piazza Carlo Giacomini im Stadtteil Nizza Millefonti Millefonti ist nur drei Blocks vom ehemaligen FIAT-Werk „Lingotto“ nur drei Blocks entfernt. Mit dem typisch hellen Sichtbetonskelett, der Ziegelausfachung und der äußeren Keramikfliesenverkleidung stand die Schule für eine Zeit des Aufbruchs im Zuge des italienischen Wirtschaftswunders in den 1960er-Jahren. Diese Typologie ist in Italien weit verbreitet, sodass Anreize geschaffen wurden, weitere baufällige Schulen des Landes umzubauen. Mit dem Umbau in Turin sollte (und konnte) bewiesen werden, dass Umbauten/Sanierungen mit auch knappem Budget möglich sind.
Vom äußeren Charakter der Schule ist seit dem aktuellen Eingriff kaum etwas erhalten geblieben. Das Gebäude wurde bis auf das Stahlbetonskelet und die Ziegel-Betondecken entkernt, energetisch saniert und die Fundamente erdbebensicher verstärkt. Die Schule erscheint nun mit einheitlich verputzten Wänden in rosé von außen, weiß im Innern. Vor die Fassade wurde farblich passend eine Stahlrahmen-Konstruktion gestellt, auf der ein Terrassenboden aus vorgefertigten, selbsttragenden Holzverbundplatten aufgelagert ist. Das erlaubt es den LehrerInnen, den Unterricht auch einmal ins Freie zu verlagern.
Betrachtet man die Bestandspläne, wird einem die Komplexität der Bauaufgabe bewusst. Der Umbau umfasste zusätzliche sanitäre Anlagen, eine neue flexible Bibliothek, die als Auditorium genutzt werden kann und eine Vergrößerung der Sporthalle. Die Mensa wurde vom 1. OG ins Erdgeschoss gelegt und die schmalen Flure wurden durch optionale Räume erweitert. Das Gelände um die Schule wurde abgesenkt, um das Erdgeschoss besser zu belichten und die Eingliederung von Außenflächen zum Gebäude zu ermöglichen.
Eine Gemeinschaftsschule, offen für die Nachbarschaft
Die Verlagerung des Haupteingangs weg von der verkehrsreichen Via Genova zur östlichen, verkehrlich ruhigeren Seite, wird bei den SchülerInnen gut angekommen sein. Der ehemalige Haupteingang führte direkt hinauf in das erste Geschoss der Schule, jetzt wurde der ehemalige Notausgang im Erdgeschoss ausgebaut und damit eine großzügigere und entspanntere Eingangssituation geschaffen. Der anliegende große Parkplatz wurde dem Schulgelände zugeteilt und bildet jetzt einen einladenden Garten.
Lehrer und Stiftungen forderten in dem neuen Schulkonzept u. a. auch mehr Verbundenheit mit der Nachbarschaft. So wurden die dringend benötigten kommunalen Räume für die Gemeinde ins Erdgeschoss der Schule integriert. Als Bürgerzentrum konzipiert, sind in ihm die verschiedenen Funktionen um ein Atrium angeordnet und direkt mit dem Garten verbunden. Im vorher schlecht belichteten Erdgeschoss bilden nun die flexible Bibliothek und das Auditorium, die Kantine und die Turnhalle die hellen, öffentlich zugänglichen Funktionen. Durch die komplexen Eingriffe in den Baubestand ist nicht nur mehr Raum für den Austausch mit der Nachbarschaft geschaffen worden; auch die Fläche für den Schulbetrieb ist gestiegen: Statt der neun Klassen für ca. 200 Schüler ist nach der Renovierung Platz für 300 Schüler. Denn in den vergrößerten Klassenzimmern, die nach Fachbereichen ausgelegt sind, befinden sich nun 25 Sitzplätze. Die vorher dunklen Flure bilden heute, dank Fenstern zu den Klassenräumen, einen optionalen pädagogischen Raum.
Zukunftsmodell?
Die Wettbewerbsauslobung für die Enrico Fermi Schule – in der Zusammenarbeit von Stiftungen und Lehrenden ausgearbeitet – soll einen pädagogischen Anstoß für die Weiterentwicklung des italienischen Bildungssystems geben. Die beiden Stiftungen waren an einem modellhaften Prozess interessiert, weshalb sie einen offenen Wettbewerb ausschrieben – laut Gesetz hätten sie als private Institutionen auch einen direkten Auftrag vergeben können. Es war ein offener, zweistufiger Wettbewerb, zu dem in der ersten Phase 177 Beiträge eingereicht wurden. Den Wettbewerb gewann das in Turin ansässige junge Architekturbüro BDR, das 2016 von Alberto Bottero und Simona Della Rocca gegründet wurde. Im September 2019 wurde die für insgesamt 7,3 Mio. € erneuerte Schule termingerecht eingeweiht. Ohne nennenswerte Abstriche konnten Alberto Bottero und Simona Della Rocca ihren Entwurf umsetzen; sogar das Möbeldesign lag in ihren Händen. Es war einer der ersten Aufträge für das frisch gegründete BDR bureau. Der öffentliche und anonyme Wettbewerb animierte eine große Anzahl junger Architekturbüros, am Wettbewerb teilzunehmen (in der zweiten Phase waren drei der ausgewählten Teams unter 35 Jahre alt). Die Auslobung sah zudem im ersten Jahr der Planung eine Beteiligung der Lehrgemeinschaft vor, die die Eingriffe in die vorhandene Bausubstanz mitverfolgen sollte. Die Lehrgemeinschaft, SchülerInnen und die Nachbarschaft nutzen die Schule mit all Ihren Bereicherungen nun so, wie es die ArchitektInnen geplant hatten. NaS
Ein vorbildliches Beispiel für die Wiederverwendung von Bestandsbauten, die nicht mehr die heutigen Ansprüche erfüllen. Kleine Eingriffe mit großer Wirkung öffnen den altmodischen Schulbau nach außen und nach innen und schaffen eine neue, poetische und wohltuend unterspielte Atmosphäre, die weder streng noch übertrieben „kindlich“ ist.« ⇥DBZ Heftpartner Mads Mandrup Hansen und Julian Weyer, C.F. Møller Architects
Baudaten
Projekt: Enrico Fermi School
Adresse: Via Biglieri 19, Turin/IT
Bauherr: Fondazione Agnelli, Compagnia di San Paolo
Eigentümer: Gemeinde Turin
Typologie: Mittelschule mit Bibliothek, Auditorium, Caféteria, Turnhalle, Klassenzimmern und öffentlichen Räumen
Architektur: BDR bureau (Alberto Bottero, Simona Della Rocca), Turin/IT,
www.bdrbureau.com
Tragwerksplanung: Sintecna srl,
www.sintecna.com
HLS: Proeco ss, www.proecoingegneria.com
Bauphysik: Onleco srl, www.onleco.com
Möbeldesign/Art Direktion: BDR bureau
Bauleitung: Sintecna srl
Projektmanager: FCA Partecipazioni S.p.A.
Projektdaten
Grundstücksfläche: 5 579 m²
Bebaute Fläche: 5 096 m²
Bruttovolumen: 16 815 m³
Planungsbeginn: Dezember 2015
Entwurfsphase: Oktober 2017 – März 2018
Bauzeit: Juli 2018 – September 2019
Baukosten: 7,3 Mio €
Kosten pro m²: 2 300 €/m² NGF
Energie Konzept
Außenwand U = 0,21 (0,19-0,24) W/(m²K)
Bodenplatte U = 0,19 W/(m²K)
Dach U = 0,195 W/(m²K)
Fenster Uw = 1,35 W/(m²K)
Verglasung Ug = 1,0 W/(m²K)
Hersteller
Putz: Weber, www.de.weber
Fenster: ALUK Group S.p.A.,
www.aluk.com
Metall-Netze: WOLFSGRUBER S.r.l.,
www.wolfsgruber.it
Türen/Tore: Dierre S.p.A., www.dierre.eu
Terrassenboden: Listotech,
www.listotechdeckingquartz.it
Außenbeleuchtung: LAM 32,
www.lam32.com
Linoleum: Forbo, www.forbo.com
Akustikdecken: Gyproc Saint Gobain, www.saint-gobain-gyproc.com
Sanitär: Azzurra Ceramiche
Licht: LAM 32, www.lam32.com
Trockenbauwände: Gyproc Saint Gobain, www.saint-gobain-gyproc.com
Bänke und Stühle: VS school furniture, www.vs.de
Hocker, kleine Sofas, klappbare Stahltische: Pedrali, www.pedrali.it