Extrem bauen für Extremsportler
Die neue Schutzhütte auf dem Mont Blanc

„Der Bau einer Schutzhütte im Hochgebirge ist eine Herausforderung im Angesicht der Naturgesetze, der – gleich der Besteigung eines Berggipfels – in Abschnitten und bis ins kleinste Detail geplant und vorbereitet werden muß, um den Erfolg garantieren zu können“, beschreibt Christophe de Laage, Mitbegründer von DécaLaage Architecture in Chamonix, die Herausforderung beim Bau dieses einzigartigen Gebäudes. „Ein derartiges Projekt ist mit einem sehr hohen Risiko und einem extremen finanziellen und menschlichen Engagement verbunden, sodass es sehr viele vorbereitende Etappen fordert.” Entworfen und geplant wurde der Neubau für die Refuge du Goûter von dem Holzbauingenieur Thomas Büchi und dem Architekten Hervé Dessimoz, beide aus Genf.

Auf dem Dach der Welt

Die neue Schutzhütte am Aiguille du Goûter kragt über eine Felswand von rund 700 m Höhe und 800 m Länge aus. Auf einer Höhe von 3 835 m liegt sie 1000 m höher als die kürzlich fertig gestellte Monte Rosa Hütte bei Zermatt. Aufgrund der großen Anzahl der

Alpinisten, die diese Route der Besteigung des Mont Blancs wählen, war das alte Gebäude aus dem Jahr 1962 trotz der Erweiterung aus den 1990er Jahren nicht mehr ausreichend. Deshalb entschloss sich der fran-

zösische Alpenverein (Féderation française des clubs alpins et de montagne – FFCAM), den Bau einer neuen, größeren und besser adaptierten Schutzhütte in Auftrag zu geben. Die nach Südwesten orientierte und 1 000 m unterhalb des Gipfels gelegene Hütte bildet für die Bergsteiger die letzte Station vor der Gipfelbesteigung und damit die Möglichkeit, sich für die letzte Etappe vorzubereiten und zu organisieren oder im Notfall Rettungs-teams zu bilden. Das neue Gebäude liegt 200 m oberhalb der bestehenden Hütte und unterhalb des schneebedeckten Grades an

einer flächenmäßig größeren und besser

geeigneten Stelle. Groupe H und DécaLaage Architecture entschlossen sich, die Orientierung des Gebäudes so zu verändern, dass nur ein geringst möglicher Teil der Gebäudefassaden, nämlich die Nordostseite, über längere Zeiträume von der Schneewehe bedeckt wird.

Ein silbernes Ei

Die Windkanaltests bestätigten, was man bereits durch Beobachtungen vor Ort angenommen hatte, nämlich, dass die Eiform aufgrund ihres geringen Windwiderstandes hier die geeignetste Gebäudeform ist. Dadurch entsteht das ideale Verhältnis zwischen dem Gebäudevolumen und seiner Außenfläche, wodurch wiederum der Wärmekoeffizient

optimiert wird. Die Ingenieure von Charpente Concept übersetzten die Eiform in eine baubare Struktur mit elliptischen Grundrissen, deren Ränder in insgesamt 32 gerade Segmente unterteilt sind.

Die Tragstruktur des symmetrischen und sich nach oben und unten verjüngenden
Gebäudes ist in der Folge von 128 trapez-

förmigen oder rechteckigen Paneelen eingehüllt. Jedes einzelne Paneel wurde so entworfen und vorgefertigt, dass es per Helikopter eingeflogen werden konnte und dessen maximale  Tragkraft von 550 kg nicht überschritten wurde. Auf diese Weise sollte auch die Transportenergie als im Bau versteckte „graue Energie” minimiert werden. Dennoch entfielen in der Ökobilanz allein 440 t CO2 auf Helikopterflüge. Insgesamt wurden ca. 534 t CO2 für den Bau berechnet, inklusive Betrieb und späterem Rückbau. Aus diesem Grund entschieden sich die Architekten und Tragwerksplaner für eine ausgeklügelte Holzleichtbaukonstruktion, um Ressourcen und Energie zu sparen.

Langwieriger Bauprozess

Die Errichtung des Gebäudes dauerte insgesamt drei Jahre und begann im Frühjahr 2010 mit der Terrassierung und der Konstruktion der Basisplattform. Bis zur Fertigstellung des Gebäudes 2012 wurde in genau festgelegten, jährlichen Planungsabschnitten im Frühjahr und Sommer über jeweils ungefähr fünf Monate gearbeitet. Wichtig war, neben der Verwendung von leich­ten, vorgefertigten Bauteilen, die Möglichkeit, diese mit gängigen Werkzeugen einfach zu montieren.

Im ersten Bauabschnitt wurde eine parallel zur Felskante gelegene Grundfläche von 200 m² in Form von zwei Terrassen geschaffen. Die zwei Plateaus mit einem Höhenunterschied von 3,40 m konnten erst nach der Enteisung des Gesteins angelegt werden. Die Fundamente, die nach langjährigen Vorstudien

exakt berechnet werden konnten, sind so ausgelegt, dass das Gebäude Windstärken bis zu 280 km/h standhalten kann. Insgesamt wurden in die nordöstlich orientierte, höher gelegene und größere Plattform sowie in die südwestlich orientierte, tiefer gelegene Plattform 69 Pfähle 8 m tief in das Gestein getrieben. Dies war notwendig, um unter der 4 m dicken, instabilen, oberen Gesteinsschicht bis zu dem unter 0 °C liegenden Dauerfrostboden vorzudringen, der die Stabilität und damit die Sicherheit des Gebäudes garantieren konnte. Die Hohlräume um die als einfaches oder dreieckförmiges Fachwerk ausgeführten Stahlpfähle wurden mit Zement gefüllt, um Wasseransammlungen zu verhindern und die Gesamtstruktur zu verstärken. Die Gesamtmenge des benötigten Zements belief sich auf weniger als 10 m³, womit auch hier das vom Helikopter zu transportierende Gewicht auf ein Minimum reduziert werden konnte.

Tragwerk

Über der tiefer gelegenen Terrasse sorgt eine Stahlfachwerkkonstruktion dafür, dass das Niveau des Schutzhüttenbodens erreicht wird. Es trägt gleichzeitig die Serviceeinrichtungen und die außenliegende periphere Galerie. Über dieser komplexen Grundstruktur baut sich der aus einem Gitter aus Balken und Windaussteifungen aufgebaute Boden des Gebäudes auf. Die Fertigstellung der nicht mit dem Schnee in Kontakt tretenden Basis bildete das Ende des ersten Bauabschnitts.

Während der zweiten Bauphase von Mai bis Oktober 2011 galt es, das Holzfachwerk, die Decken und die Gebäudehülle aufzubauen. Die Schutzhütte wurde in der Konstruktion und im Betrieb als nachhaltiges Gebäude konzipiert. Sie ist zu 90 % aus Fichtenholz bzw. Douglaskiefer erstellt. Die insgesamt rund 150 t Holz stammen mehrheitlich aus den Wäldern der Region.

Um eine möglichst leichte und dennoch resistente Konstruktion zu gewährleisten, entwarfen die Ingenieure eine Struktur aus verleimten Brettschichthölzern, wodurch das Gesamtvolumen um 20 bis 30 % gegenüber einer Massivbauweise verringert werden konnte. Zudem wurde das Holz für die Brettschichtkonstruktion vor dem Verleimen auf gleichmäßigen Wuchs und Fehler gescannt. Auf diese Weise konnten die Bemessungen der Tragkonstruktion minimiert und schon bei der Herstellung der Brettschichtholzträger 60 % Material eingespart werden.

Die primäre Tragstruktur des Fachwerks mit den Stützen, Balken und diagonalen Windaussteifungen baut auf die Fußbodenkonstruktion des Erdgeschosses auf. Eine sekundäre Struktur besteht aus den Ringbalken der Decken, die über schräge Stützen miteinander verbunden sind und außen die charakteristischen Facetten der Fassade erzeugen.

Montage

Alle Teile des Holzfachwerks wurden mit größter Präzision vormontiert, um die Umweltbelastungen und das Abfallvolumen vor Ort so gering wie möglich zu halten. Dank eines von Charpente Concept speziell entwickelten Systems aus Stäben und Schraubbolzen, konnten die Holzelemente vor Ort problemlos zusammengesetzt werden, wobei Verbindungen entstanden, die dem Widerstand von Schweißnähten bei Stahlkonstruktionen gleichkommen. Zusätzlich garantiert dieses Bausystem den geforderten Brand-

widerstand von 60 Minuten.

Bei den Geschossdecken im Innenraum wurden auf allen drei Ebenen schalldämmende Brettsperrholz-Rippendecken von lignotrend verbaut. Sie sorgen für eine angenehme Ruhequalität zwischen Gäste-, Schlafraum und Technik-ebene. Die Holzdecken bestehen aus selbsttragenden Hohlkassetten, deren Oberflächen bereits in der Vorfertigung beidseitig fertiggestellt wurden. Auch ihre Größe und Verteilung wurden an die Lastkapazität des Hubschraubers angepasst. In manchen Räumen wurde die Holzdecken aus brandtechnischen Gründen mit Gipskartonplatten verkleidet, die Decke im Gemeinschaftsraum wurde für die Akustik im Raum an der Unterseite mit Lamellen versehen.

Die Dämmung der Fassadenpaneele, die außen an die Tragstruktur montiert wurden, besteht aus Holzfaserdämmstoff in einer

Dicke von 80 und 240 mm. In der Vorfertigung wurden die Rahmen der insgesamt 55 Velux-Holz-Metall Dachfenster in die Holzpaneele integriert, ebenso wie die Befestigungen der Inox-Fassadenplatten. Auf der Innenseite sind die Paneele mit sichtbaren OSB-Platten verkleidet. Die Bahnen der Außenschale wurden
vor Ort montiert.

Im Bauprozess stellte sich die Montage mittels eines Baukrans und eines außenliegenden Gerüsts als die schnellste und sicher­ste Baumethode heraus. Die Arbeit mit einem Gerüst konnte auch die bündige Schließung der einzelnen Paneele und damit die Wind- und Wasserdichtheit der Gebäudehülle garantieren.


Organisation und Energiekonzept

Der Eingang der Schutzhütte befindet sich auf der Nordseite. Über einen Windfang gelangt man in den Umkleideraum, in dem die Alpinisten auch ihre Ausrüstung aufbewahren können. Von diesem Raum aus führt eine Treppe ins erste Geschoss, wo sich der Gemeinschaftsraum und die Küche befinden und weiter ins zweite und dritte Geschoss zu den Schlafräumen. Der größte Teil des Erdgeschosses wird von den Technikräumen eingenommen. Hier befinden sich unter anderem der Wärmetauscher, die Wiederaufbereitungs-
anlage, die Elektrokästen, die Batterien, die Brandstoffreserven und das mit Rapsöl betriebene Blockheizkraftwerk. Im Nordosten des Gebäudes steht der Anbau für die Wassergewinnung mit seinen sechs jeweils 18 m³ fassenden Zisternen und der darüber liegenden, mit Solarwärme betriebenen Schneeschmelzanlage.

An der Südostseite steht ein Außenbereich mit einer Serviceplattform zur Lagerung und Anlieferung von Gütern mit dem Helikopter zur Verfügung. Der rundum laufende Steg dient dem Abtransport von Verletzten. Die Wohnung des Hüttenpersonals befindet sich im dritten Geschoss, neben einer Servicetreppe, die zum darunterliegenden Küchenbereich und den Lagerräumen und Technikräumen im Erdgeschoss führt.

Fast die gesamte Inneneinrichtung ist aus Fichtenholz. Wände mit Holzlamellen unterteilen die Schlafsäle in mehrere Zonen und sorgen für eine gewisse Intimität. Das Fichtenholz der Möbel, der Akustikdecke im Gruppenraum und die Fensterlaibungen im Speisesaal schaffen eine warme Atmosphäre.

Wie die Monte Rosa Hütte in den Walliser

Alpen ist auch die Schutzhütte du Goûter als energieautarkes Gebäude konzipiert und bezieht seine Energie im Wesentlichen aus der Kraft der Sonne. Die Wärmeenergie für die Schneeschmelzanlage und die Warmwasserproduktion wird über die insgesamt 50 m²
Solarthermiepaneele gewonnen, die in die Dachfläche integriert sind. Die so produzierte Wärmeenergie speist die 50 m² große Fläche der Schneeschmelzanlage an der Ostseite des Gebäudes über Wärmeschlangen und schmilzt den zwischen dem Gletscher und dem Gebäude angehäuften Schnee, wodurch die Wasserversorgung gesichert wird. Das Wasser wird über eine Wärmerückgewinnungsanlage vorgewärmt, die mit dem Gemeinschaftsraum gekoppelt ist, bevor es mit dem gewonnenen Strom aus den Modulen der 97 m² großen Photovoltaikanlage aufgeheizt wird. Zur Wasseraufbereitung des Gebrauchtwassers der Toilettenanlagen griff
das Ingenieursbüro Cabinet Strem auf eine in U-Booten verwendete Technik zurück.
Die wassersparenden Toiletten werden mit Brauchwasser betrieben, das von einer Kleinkläranlage aus den Abwässern des Hüttenbetriebs aufbereitet wird. Durch den Einsatz der „U-Boot-Technik” kann es zudem mehrfach für die WC-Spülung verwendet werden.

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