Fondation Jérôme Seydoux-Pathé, Paris/FR
Für die neue Fondation Jérôme Seydoux-Pathé entwarf Renzo Piano Building Workshop eine amorphe Gebäudeform. Die Umsetzung und Herstellung der Hülle stellten die Architekten vor Herausforderungen, die sie mit einem digitalen Entwurfswerkzeug von designtoproduction lösten.
Das ursprüngliche Theater wurde 1869 vom Architekten Alphonse Cusin entworfen. Die beeindruckende und für den Ort etwas monumentale Fassade der Obergeschosse
zeigt eine Männerfigur zur Linken und eine Frauenfigur zur Rechten, die das Drama (der Mann) und die Komödie (die Frau) symbolisieren und von Auguste Rodin – damals noch Student an der Kunsthochschule – gestaltet wurden.
1934 wurde das Theater ins Kino “Gaumont Gobelins-Rodin“, ein Teil der Pathé-Gesellschaft, eines der ältesten Kinos der Welt, umgebaut. Nach einem zwischenzeitlichen Umbau 1993 befand sich das Kino in einem nicht mehr sanierungsfähigen Zustand und musste 2003 endgültig seine Tore schließen. 2010 wurde das Gebäude für den Bau der 2006 gegründeten Stiftung Jérôme Seydoux-Pathé abgerissen. Erhalten blieb die 1977 unter Denkmalschutz gestellte und von Renzo Piano Building Workshop (RPBW) vollständig restaurierte Straßenfassade mit den für Paris typischen Gusseisenstützen im Eingangsbereich.
Die Fenster- und Balkonöffnungen dieses innen komplett ausgehöhlten Bauteils wurden so wie das Glasdach vollständig erneuert.
Einzigartige Form
Die Zusammenarbeit von Pathé und Renzo Piano geht bereits auf den Bau des Pathé Lingotto in der ehemaligen Fiat Lingotto Autofabrik in Turin zurück. Sophie Seydoux, die Stiftungsvorsitzende, sah außerdem in der Renovierung und Erweiterung der Morgan Library in New York, die von den Architekten zwischen 2000 und 2006 realisiert wurde, ein gelungenes Vorbild für die Intentionen der Stiftung. Renzo Piano wollte mit dem Entwurf nicht nur den Anforderungen der Stiftung gerecht werden, sondern einen Gebäudekörper entwickeln, der gleichzeitig die Licht- und Belüftungssituation für die benachbarten und zum Innenhof orientierten Wohnungen verbessern sollte.
Die organische Form des Gebäudes entstand also durch die Optimierung des Sonneneinfalls für die Nachbargebäude, die mit einer orthogonalen Geometrie nicht hätte erreicht werden können.
Während das alte Théâtre des Gobelins beinahe den gesamten Innenhof einnahm, rückt das neue Gebäudevolumen im Norden deutlich von der Grundstücksgrenze ab und dockt nur an drei Stellen an den bestehenden, blinden Feuermauern der Nachbargebäude an. Durch die zusätzliche Krümmung der Nordfassade und den Abriss der Feuermauern zwischen den Innenhofflügeln, konnte viel Licht in die bereits bestehenden Höfe geholt werden. Das kleinere Gebäudevolumen und das Abfallen der schmaleren Ostfassade erlaubte die Gestaltung eines zur Stiftung gehörenden Gartens, der auch über den bestehenden Zugang an der Rue Primatice erreicht werden kann.
Raumprogramm
Das Raumprogramm des Neubaus war zu Planungsbeginn noch nicht definitiv festgelegt. Die tatsächliche Funktionsweise der Fondation kristallisierte sich erst gegen Ende der Planung heraus, wodurch anfänglich eine große Flexibilität gefordert war. Renzo Piano schlug unter anderem den Bau eines Kinosaals als zentrales Element des Gebäudes vor. Entstanden ist ein 2 200 m² großes, siebengeschossiges Gebäude, in dem jeder Ebene eine klare Funktion zugeteilt ist: Der Zugang zum Neubau liegt im Erdgeschoss, das gleichzeitig der Präsentation temporärer Ausstellungen dient. Die Glasfassaden ermöglichen es trotz des relativ engen und tiefen Grundstücks viel natürliches Tageslicht ins Gebäude zu holen. Sie erlauben den Besucher Ausblicke zur Straße, sowie in den begrünten Innenhof. Das Untergeschoss wird vom Kino mit seinen 66 Sitzplätzen und den verschiedenen Nebenräumen eingenommen. Über eine breite Treppe im Eingangsbereich gelangt man in den völlig opaken und hoch gedämmten Ausstellungsraum im 1. OG, in dem in eine permanente Ausstellung rund 200 der insgesamt 400 Filmkameras und Kinoprojektoren zu sehen sind. Die zwei darüber liegenden, ebenfalls opaken und hoch gedämmten Geschosse beherbergen die Archive, während sich im 4. und 5. OG die Büros und der Studiensaal befinden.
Die Treppe im Eingangsbereich an der Avenue des Gobelins ist eine Feuerwehrtreppe, über die die einzelnen Geschosse von der Fassade aus zugänglich sind. Die Angestellten und Besucher gelangen über das an der Südseite gelegene, innenliegende Treppenhaus zu den einzelnen Geschossen.
Tragwerk
Nach dem Abriss des alten Gebäudes wurde der Neubau auf Pfählen fundiert, die aufgrund der vielen unterirdischen Stollen bis zu 23 m in die Tiefe gebohrt werden mussten. Die Tragkonstruktion baut sich auf den Stahlbetonkern der vertikalen Erschließung auf der einen Seite und den Stahlbetonstützen auf der gegenüberliegenden Seite auf. Dazwischen spannen sich Stahltragwerke, die die Bodenplatten tragen. Die Stahlbetonschale der Fassade wirkt aussteifend und garantiert die Festigkeit der auskragenden Decken im Randbereich, sowie die gleichmäßige Verteilung der Lasten der hochbelasteten Decken der Archive auf das restliche Gebäudeskelett.
Während die horizontalen Bauteile und die vertikale Erschließung bereits von RPBW definiert werden konnten, wurde für die Planung und Berechnung der zweifach gekrümmten Schale des Gebäudes Arnold Walz von designtoproduction hinzugezogen. Designtoproduction arbeitete bereits gemeinsam mit Renzo Piano am Bau des Einkaufszentrums Peek & Cloppenburg in Köln und des Paul Klee Zentrums in Bern.
Strukturiertes 3D−Modell
Neben den AutoCAD Zeichnungen entwickelte Renzo Piano ein vereinfachtes 3D-Modell, das die Grundform des neuen Gebäudes festlegte. Die endgültige Geometrie der Schale entstand in einem ständigen Anpassen und Austauschen des mathematischen 3D−Modells von designtoproduction und dem Testen der von RPBW gebauten physischen Modelle in der Umgebung. Ein perfektes, geometrisches Modell war für die Architekten für die Kommunikation und den Austausch mit den ausführenden Firmen wichtig und nahm die anfängliche Angst vor der amorphen Form. Arnold Walz und sein Team schrieben eine Software, die ein strukturiertes 3D-Modell erzeugt, in dem alle Einzelteile und Komponenten benannt und strukturiert sind. Das ist für derartige Planungsaufgaben essentiell, da am Anfang nicht bekannt war, wer die Teile wie produziert. Es ging darum, Softwarewerkzeuge zu erstellen, die es erlaubten den Entwurf so flexibel und veränderbar wie möglich zu halten, um den Optimierungsprozess zu unterstützen, Varianten zu erarbeiten und Änderungen zu ermöglichen. Am Anfang jedes Planungsprozesses ist es laut Walz entscheidend zu überprüfen, ob die bisher entwickelten Werkzeuge auch bei dem neuen Projekt anwendbar sind.
Im Vergleich zu Peek & Cloppenburg musste man für die räumlich komplexe,
bildhauerische Form der Stiftung eine geschlossene Oberfläche mit tangentialen Übergängen der Einzelflächen generieren. Diese geschlossenen Flächen konnten mit herkömmlichen Computerprogrammen wie AutoCad, Microstation, Rhino, etc. nicht erstellt werden. Eine geschlossene Fläche war mathematisch gesehen aber notwendig, um von einer Grundform Offsets nach innen machen zu können, die die verschiedenen Kanten der einzelnen Bauteile wie der Außenkanten der Fassade, der Dämmung, der Betonschale, etc. festlegen zu können. Deshalb griff designtoproduction auf Catia zurück, das primär für die Auto- und Flugzeugtechnik entwickelt wurde. Catia speichert jeden Schritt der miteinander assoziativ verknüpften Entstehungsgeschichte des Projekts, sodass zu jedem Zeitpunkt an jeden Punkt der Projektentwicklung zurückgesprungen werden kann und das gesamte Modell automatisch aktualisiert wird. Das machte eine schnelle Anpassung der Gebäudeform auch zu einem späteren Zeitpunkt des Entwurfs möglich.
Das von designtoproduction strukturierte 3D-Modell bildet das Mastermodell der gesamten Planung, aus dem alle weiteren Module für die Planung, die Kostenberechnung, die Produktion etc. der einzelnen ausführenden Firmen generiert werden konnten. So wurde unter anderem ein Datensatz für die Tragwerksplaner zur statischen Berechnung der Stahlbetonschale erzeugt. Die Firmen übernahmen das Mastermodell direkt und mussten kein neues erarbeiten, was zu einer entscheidenden Zeit- und Kosteneinsparung beitrug. Außerdem konnten so die verschiedenen 3D-Modelle der ausführenden Firmen verglichen und integriert werden, um sicherzugehen, dass es zu keinen Kollisionen kam.
Fassade
Die rund 7 000 Lamellen der Fassade bilden den außenliegenden Sonnenschutz über der Glaskuppel sowie einen visuellen Filter zwischen den benachbarten Wohnungen, den Büros und Studienräumen. Die Lochbleche, die sich in ihrer Geometrie, bedingt durch ihre Position an der Gebäudehaut, alle leicht voneinander unterscheiden, besitzen Transparenzen zwischen 30 und 50 % : auf den nach Süden orientierten und den opaken Bereichen beträgt sie 30 %, während sie an den nördlich orientierten Stellen nach 40 % bis 50 % übergehen. Die Transparenz im opaken Bereich hat eine ästhetische Funktion, um ein verlaufendes, einheitliches und geschlossenes Fassadenbild zu erzeugen. Der genaue Fassadenrhythmus, die Geometrie und Position jeder einzelnen Lamelle wurde mit einem in Rhino generierten Rechenmodell definiert. Um die exakte Orientierung der Lamellen kontrollieren zu können, war es notwendig, darin eine Referenzlinie festzulegen. Die Lamellen wurden so ausgerichtet, dass sie am Rand der Glaskuppel parallel zu diesem
verlaufen. Eine besondere Herausforderung
bildete die genaue Berechnung des gewünschten Lichteinfalls und der Transparenz unter dem Glasdach sowie die Realisierung
der Übergänge zu den Volumen der Ausstülpungen an der Nord- und Südseite.
Michael Koller, Den Haag
www.rpbw.com, Bernard Plattner und Thorsten Sahlmann (partner and associate in charge)
www.berelliniarchitecte.com
7600 Aluminiumlamellen