„Wir sprachen über all diese poetischen Dinge“Im Gespräch mit Renzo Piano, Renzo Piano Building Workshop, Genua/I
Am 14. September 2017 wird Renzo Piano Achtzig. Dieses Datum und die Eröffnung seines jüngsten – und in Spanien ersten – Projekts in Santander war der Anlass, uns mit dem Altmeister vor Ort, also im neueröffneten Centro Botín zu treffen. Wir sprachen natürlich über das Gebäude, den Stellenwert des Öffentlichen und das Gewicht des Handwerklichen in der Architektur. Aber auch darüber, was der Genueser nach seinem achtzigsten Geburtstag für sich und sein Team geplant hat.
Lieber Renzo Piano, es sind nur noch zwei Tage bis zur Eröffnung des Centro Botín: Sind Sie mit allem zufrieden?
Renzo Piano: (lacht) Ach wissen Sie, gerade ein Gebäude wie dieses hier, also ein öffentlicher Bau, braucht so seine Zeit, um im urbanen Alltag, im Alltag der Gemeinschaft anzukommen. Jetzt, wo das Gebäude noch ohne Menschen ist, kann ich nicht sagen, ob es mir gefällt … Natürlich mag ich es sehr, aber es ist ein gravierender Unterschied zwischen jetzt und Samstagmorgen, wenn wir die Türen öffnen und die Menschen in ihr neues Haus strömen. Wenn sie wie selbstverständlich Besitz nehmen von der Plaza arriba, ihrem Platz … Ich hoffe, sie werden strömen!
Diese Dimension der Architektur, dass sich Menschen in einem Haus bewegen, war schon immer etwas, was ich liebe und was immer schon Teil meiner Architektur ist. Und die ist eine ganze Menge, aber sicher nicht statisch!
Was ist die zentrale Idee, die dem Entwurf zugrunde liegt?
Die zentrale Idee meines Gebäudes ist, ein integraler Bestandteil des Paseo [der Uferpromenade; Be. K.] zu sein. Die kleine, sehr zivilisierte Stadt Santander hat ihren Zauber auch auf Grund des wechselhaften Wetters. Regnet es, sind die Straßen wie leergefegt. Aber sobald der Regen stoppt, kommen hunderte Menschen hier an den Paseo, um zu schlendern, um miteinander zu sprechen, um sich auszutauschen. Und mit dem Centro können sie das auch, wenn es regnet: unter der Plaza arriba oder auf ihr, durch das Glasdach geschützt.
Bevor wir hier gebaut haben war der Paseo von der Stadt durch eine breite Straße abgeschnitten. Zudem war die Promenade durch den Fährhafen hier beendet. Da standen Lkws und Frachtgut auf riesigen Parkplätzen. Wir wollten mit dem Centro auf dieser Abstellfläche Anfang und Ende der Promenade definieren. Von hier aus sollten in Zukunft – und die ist heute erreicht – die Menschen ihre Spaziergänge beginnen und beenden.
War das auch der Grund dafür, den Neubau vom Boden zu heben?
Ja, denn nur so war es möglich, die Menschen bis zum Wasser spazieren zu lassen, von der Stadt kommend bis zur Wasserkante. Und wir haben hier zudem einen Ort unterhalb des Centro geschaffen, der flexibel zu nutzen ist ... auch bei Regen! Aber lassen Sie mich noch abschließend Ihre erste Frage beantworten: Ob ich zufrieden sein kann, wird erst am Tag der Eröffnung zu sagen sein. Aber jetzt, hier im Haus fühle ich mich sehr zufrieden. Natürlich wird immer noch an den Stellen justiert, wo ich nicht so glücklich bin. Das sind aber keine großen Sachen, eher die kleinen Details.
Was kann ich mir darunter vorstellen? Oberflächenmaniküre?
Das würde ich nicht so nennen. Wissen Sie, ich bin Architekt aber – vermutlich familiär geprägt – auch Bauunternehmer. Und so weiß ich, wie wichtig solide Ausführung, gutes Handwerk ist. Gute Architektur hat für mich weniger mit ästhetischen Dingen, weniger mit Perfektion zu tun, insbesondere bei öffentlichen Bauten. Die haben eine zentrale Funktion in der Stadt, die haben eine Mission. Hier sollen sich die Menschen treffen und all die Dinge machen, die Menschen zusammen machen. Und so müssen diese speziellen Gebäude eine ganz besondere Geste haben. Eine Kirche, ein Rathaus, die Universität, die Schule, der Sportplatz, diese Gebäudetypen hatten und haben immer eine zentrale Funktion in unserer zivilisierten Gesellschaft. Und über alles Gestische, allen Stolz hinaus sollten sie immer Würde besitzen.
Aber stimmt das eigentlich: Ist ein Museumsbau, der höchst anspruchsvolle Kunstthemen aufgreift, ein Ort für alle oder nicht eher einer für die Upper-classes?
(lacht) Das ist ein wichtiger Punkt. Aber Sie haben es ja schon bemerkt, das Centro Botín besteht aus verschiedenen Teilen. Hier, wo wir gerade sitzen, ist nicht der Raum für die Kunst, die Sie gerade „sophisticated art“ nannten. Hier ist ein Ort für Kultur ganz allgemein. Es gibt die Kultur mit dem großen und dem kleine „C“. Die mit dem großen „C“ funktioniert tatsächlich nur eingeschränkt, weil sie nur wenige Menschen angeht. Die Kultur, über die wir hier reden wollen und die ich in diesem Gebäude sehe, ist ein Mix aus bildender Kunst, Musik, Lernen, Diskussionen, Zusammentreffen …
Und damit ist Ihr Konzept für das Centro welches?
Oh, hier sollten wir nicht von meinem Konzept sprechen! Ich spreche lieber von der Idee, die ich sofort bekam, als ich das erste Mal diesen Ort hier sah. Ja, ich sollte ein Kunstzentrum bauen, aber Kunst war auch für Emilio [E. Botín, 1934–2014] eher eine allumfassende Kultur; und so ist auch dieser Besprechungsraum hier, in dem wir sitzen, Kunst, weil hier alle nur denkbaren Zusammenkünfte möglich sind.
Aber natürlich haben wir auch Räume für Kunst, haben auf zwei Ebenen Flächen für Ausstellungen, Performances, Video ... Musik?! Und ein Restaurant. Unterhalb der Kunst. Und zwischen diesen definierten Räumen ist öffentlicher, gestalteter Raum für alles Mögliche. Der Mix ist wichtig! Ich denke, hier ist nicht ein Ort nur für Kunst, oder für das, was wir meistens unter Kunst verstehen.
Wenn Sie den Auftrag nicht direkt, sondern über einen Wettbewerb erhalten hätten, wäre das Haus ein anderes geworden?
Generell muss ich sagen, dass wir sehr gerne und auch recht häufig an Wettbewerben teilnehmen. Ich glaube an den Nutzen von Architekturwettbewerben, schließlich bin ich mit einem Wettbewerb zum Centre Pompidou in Paris gestartet. Und auch der Justiz-Palast, ebenfalls in Paris und gerade eben fertiggestellt, ist das Resultat eines Wettbewerbs. Aber! Aber das einzige Problem bei einem Wettbewerb ist, dass ich den Auftraggeber nicht kenne. Ich kann ihm nicht gegenübersitzen und mit ihm dieses Ping-Pong-Fragen-Antworten-Spiel spielen, das am Anfang eines Projekts so hilfreich ist. Im direkten Gegenüber kann der Auftraggeber doch viel konkreter seine Wünsche äußern und mit den Antworten des Architekten abgleichen.
Vielleicht kann man das mit dem Portraitieren vergleichen: Wenn Sie jemanden portraitieren, haben Sie nur ein Gegenüber. Eine Gruppe so zu portraitieren, dass am Ende alle zufrieden sind … Das ist kaum machbar! Aber ich würde nicht sagen, dass dieses Verfahren oder jenes der bessere Weg ist. Sie sind einfach nur verschieden.
Was waren dann die Wünsche des Auftraggebers?
Mit Emilio war das Gespräch sehr leicht und er konnte mir wichtige Dinge sagen. So zum Beispiel, dass er auf keinen Fall wollte, dass das neue Haus auf Kosten des öffentlichen Raums gebaut wird. Aus diesem Grund haben wir das Gebäude zum Fliegen gebracht: Es sollte keinen Ort besetzen! Er sagte mir auch, dass er die Stadt wieder mit dem Meer verbinden wolle. Und darum machten wir den Tunnel. Emilio, leider ist er gestorben, war ein Bankier durch und durch, aber er war auch jemand, der das Meer liebte.
Er war, wie Sie immer noch, Segler?!
Nein, ein Bankier hat eine große Motoryacht! Aber egal, er liebte wie ich das Meer, hier die Lagune. Und er liebte – wie ich auch – das Licht, la luz. Und so merkwürdig das alles klingen mag, ich glaube, er war auch ein großer Romantiker! Ich bin das in gewisser Weise auch und so haben wir in langen Gesprächen immer wieder neue Aspekte gefunden, die wir für diesen Ort, den er sehr liebte, dazunahmen.
Zum Beispiel sprachen wir über das Flirren des Lichts auf dem Wasser, über das Grau des Regenhimmels und all diese auch poetischen Dinge. Auf diese Weise kamen wir zu den Perlmutt-Fliesen, die auf der Fassade mit dem besonderen Licht hier spielen und das Gebäude vibrieren lassen zu bestimmten Tageszeiten. Ich sehe das als einen Flirt des Gebäudes mit dem Wasser, mit dem Meer …
Wir haben übrigens die Fliesen zusammen mit dem Enkel des Mannes gemacht, der zusammen mit Gaudí die Fliesen für den Park Güell in Barcelona gemacht hat … eine schöne Koinzidenz!
Können Sie etwas zur Keramik sagen, die seit Jahrhunderten ein Topos in der spanischen Architektur ist?
Ja, damit haben Sie Recht, die Fliesen findet man häufig hier. Vielleicht nicht so sehr hier im Norden. Ich hatte Emilio das Keramik-Kleid vorgeschlagen, er hat sofort eingewilligt. Das hat mich zuerst gewundert, aber er hat wohl schneller als ich verstanden, dass wir hier mit einem Material spielen können, das einerseits sehr traditionell bestimmt ist, andererseits sehr modern eingesetzt werden kann.
Die Fliesen bestehen aus drei Elementen. Zuerst kommt der keramische Körper, der auf die Fassade aufgeschraubt wird, dann eine Glasur und schließlich das Perlmutt, das für diese wunderbaren Lichteffekte sorgt, dem Volumen Leichtigkeit gibt und ständigen Wechsel. Die Keramiken sind – leider – maschinell produziert, was aber angesichts der Menge anders auch nicht zu leisten gewesen wäre. Schöner aber wäre es ganz sicher in Handarbeit geworden! Die Keramik steht also für Tradition und Moderne zugleich … Ich möchte hier aber kein intellektuelles Spiel betreiben, wir wollten Gefühle ansprechen. Und nicht zuletzt haben wir ja auch ein Material, das im Jahr 3000, wenn hier Ausgrabungen gemacht werden, noch immer seinen Glanz und seine besondere Präsenz haben wird.
Wie sehen Sie das Centro Botín in Ihrem Werk? Wie kohärent ist es mit dem ganzen Werk verknüpft?
Ich mag das Wort Kohärenz. Für mich ist es das Gleiche wie das französische le fil rouge. Ich mag es mehr als die Idee von Stil. Stil ist sehr Vergangenheit, Kohärenz ist Bewegung, Entwicklung etc.
Und doch ist das Centro Botín deutlich ein Renzo Piano. Vielleicht doch Stil, Marke?
Aber nicht, weil es eine besondere Form hat, besondere Materialien etc. Vielleicht findet man ein paar Details, die ich schon einmal gemacht habe. Beim Whitney Museum in New York haben wir eine Straße unter dem Museum hindurchgeführt … Aber das ist hier nicht New York, hier in Santander ist der Straßenraum für die Flaneure gemacht, hier ist alles langsamer.
Es gibt viele Dinge, die meine Arbeiten kohärent machen. Zu nennen ist der Aspekt des handwerklichen Bauens. Wenn man ein Haus handwerklich angemessen, solide gebaut hat, hat man die Welt ein kleines bisschen besser gemacht, denke ich. Also die Welt in Santander zumindest! Und das will ich noch einmal sagen: Bei jedem Gebäude, das wir bisher gemacht haben, wollten wir ein handwerklich gut gemachtes. Das hat mit Moral, mit Würde, mit Stolz und mit gesellschaftlicher Verantwortung zu tun und nichts mit formalen, stilistischen Dingen. Vielleicht mit einer andauernden Suche nach Emotion?
Wo genau kann sich Emotion hier in Szene setzen? Wer führt Regie?
Die Emotion ist auf der Plaza. Ist keine vorhanden, realisieren wir eine – wenn möglich. Hier in Santander haben wir sogar zwei: eine Plaza abaio [unten] und eine Plaza arriba [oben]. Beide sind zwischen der Lehre im Osten und der Kunst im Westen aufgespannt … Ein schönes Bild, wie ich finde, durchaus emotional. Und Regie führen alle die, die hierher kommen. Tagsüber oder auch nachts, die Plazas sind immer und allen zugänglich.
In wenigen Wochen haben Sie das Glück, den achtzigsten Geburtstag feiern zu können. Was denken Sie über die Zukunft des Building Workshops?
(lacht) Eine gute Frage ... Also ich denke immer daran, was kommen mag, aber ich tue das nicht zwanghaft, schon gar nicht mit Sorge oder Angst. Ich habe in den Büros zehn Partner. Mit einigen arbeite ich seit 30, 40 oder mehr Jahren zusammen. Dazu kommen 25 Assoziierte, die meisten viel jünger als ich! Unser Team arbeitet sehr gut zusammen, wir werden von unserer Stiftung lebendig gehalten. In der arbeiten knapp zwanzig junge Architekten aus der ganzen Welt zusammen. Überhaupt ist das Büro voll mit jungen Menschen, es ist ein Kommen und Gehen. Wir sind sehr beweglich, und ich würde sagen, dass das Büro in keiner Weise von einem Boss gesteuert ist. Unsere Struktur ist nicht klassisch oder konservativ, ich vergleiche sie gerne mit dem offenen Leben. Und so glaube ich, dass all die Menschen, mit denen ich so lange gearbeitet habe – und noch lange arbeiten werde! – diesen besonderen Geist des Building Workshops
leben: das Verständnis vom Licht oder vom Handwerklichen als Teil unserer ethischen Grundhaltung. Von daher weiß ich, dass alles gut ist.
Meine letzte Frage: Segeln Sie noch aktiv?
Aber ja! Und ich würde das gerne auch hier in der Bay noch tun, bevor ich am Samstag nach Genua zurückreise. Im Juli segele ich dann auf meinem Boot von Genua nach Korsika, was ich in jedem Sommer mache. Danach schaue ich, wie der Wind steht. Manchmal geht es nach Sizilien oder Sardinien, auch nach Griechenland oder auf die Balearen. Segeln ist mir seit jeher ein großes Vergnügen. Für mich manifestiert sich darin eine Art geistiger Haltung. Beim Segeln entschleunigt sich mein Leben, das ist wichtig in dieser Zeit. Auf dem Boot ist der Wind, sind Geräusche, Gerüche, Bewegung …
... und das Licht!
Und das Licht! Und wie schon gesagt, die Bewegung. Die ist wesentlicher Teil jeder Architektur. Hier in Santander ist das alles möglich, Entschleunigung angesichts der Bay, hoch oben vom Dach oder von einem der gläsernen Stege aus gesehen. Die Menschen können hier langsam sein auf den Treppen, im scheinbaren Labyrinth der Wege. Doch, ich mag dieses Gebäude wirklich sehr!
Mit einem sehr entspannten Renzo Piano unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 21. Juni 2017 in Centro Botín in Santander, das drei Tage später vom spanischen Königspaar feierlich eröffnet wurde.