Parkapartments am Belvedere, Wien/AT
Zwischen dem Wiener Schweizergarten und den Gleisen des Wiener Hauptbahnhof realisierte das Architekturbüro Renzo Piano Building Workshop insgesamt 342 Wohnungen und Hotelzimmer im Hotel Andaz Vienna Am Belvedere. Um den Zimmern möglichst viel Ausblick und wenig Lärm zu bieten, wurde die erste Wohnebene in neun Metern Höhe auf Pilotistützen aufgeständert. Das anspruchsvolle statische Konzept dazu stammt von Bollinger + Grohmann.
Der 10 591 m² große Bauplatz in Wien hat im Norden den Schweizergarten. Am östlichen, spitzen Ende beginnt das Arsenal, ein militärischer Komplex des Historismus. Aus der Höhe verspricht dieser Standort einen grandiosen Blick über das „Erste Campus“ von Henke Schreieck (DBZ 03 | 2018), über Park und Schloss Belvedere bis zur Innenstadt. Im Süden aber verläuft am Rand des Grundstücks die Hochleistungstrasse der Österreichischen Bundesbahn in Hochlage: Hier führen 12 Gleise für Personen und vier für Autoreisezüge zum Hauptbahnhof, wo täglich 1 100 Züge halten.
Aufgeständerte Türme am Belvedere
2008 beauftragte die SEESTE Bau das Büro Renzo Piano Building Workshop mit der Planung eines exklusiven Wohn- und Hotelkomplexes. Renzo Piano machte den Grünraum des Schweizergartens zum Leitmotiv: Er sollte als urban verformte Kunstlandschaft unter den aufgeständerten Gebäuden weitergeführt werden. So ließ sich in der Sockelzone ein Freibereich mit Kinderspielplätzen für die Bewohner verwirklichen, der auch Tiefgarageneinfahrten, Zulieferung, Haustechnik, Kellerabteile, Waschküchen, Hundewaschräume und andere dienende Funktionen dezent aufnehmen konnte. Dieser luftige Sockel ermöglicht allen der 342 Parkapartments einen Stadtblick aus Vogelperspektive sowie die räumliche Entfernung zum Verkehrslärm und dem Hauptbahnhof.
Statische Herausforderung gemeistert
Die erste Fensterreihe beginnt erst in einer Höhe von 9 m zwischen dem vierten und sechsten Obergeschoss: So empfinden Passanten das Volumen der bis zu 65 m über dem Sockel schwebenden fünf Türme nicht so massiv, weil sie unter und zwischen den Bauten hindurchsehen können. Statisch war es eine enorme Herausforderung, die vertikalen Lasten der 342 Apartments und der zwei Hoteltürme so leichtfüßig wie möglich ins Erdreich weiterzuleiten. Die Tragwerksplaner von Bollinger + Grohmann Ingenieure hatte u. a. schon bei der Fondation Jérôme Seydoux-Pathé in Paris und den KT Headquarters in Seoul mit den Architekten von Renzo Piano Building Workshop zusammengearbeitet. Das Frankfurter Büro von Bollinger + Grohmann war auch diesmal von Anfang an bei der Konzeption der Statik dabei. Ursprünglich wollte man die Stützen an der Fassade anordnen und die Lasten in einer Auffangkonstruktion abfangen. „Das hätte große Spannweiten erfordert oder dickere Decken benötigt. Im Pilotilevel wäre ein mächtiger Stahlrost von 1,50 bis 1,80 m erforderlich gewesen“, erinnert sich Alexander Heise von Bollinger + Grohmann, Frankfurt a. M. Die Stützenpositionierung in der Garage im Untergeschoss war angesichts der gewünschten Art der Nutzung seitens des Bauherrn zu diesem Zeitpunkt eine weitere Herausforderung. Mit dem Eigentümerwechsel zur SIGNA Gruppe kam auch Bewegung in die Statik. „SIGNA favorisierte eine Lösung mit Stützen,“ so Heise. Diese richtig zu positionieren und zu optimieren war ein Balanceakt, der im Parkhausbereich zum Beispiel zu einer Anpassung der Parkplätze und Verkehrswege an die maßgebende Stützenposition führte. Nach der gemeinsamen Bearbeitung der Genehmigungsplanung wurde dann die Ausführungsplanung im ständigen Austausch mit Frankfurt vom Wiener Büro übernommen. „Die größte Herausforderung war, den architektonischen Gedanken des durchgehenden Geländes und das Konzept der hochgehobenen Türme auch konsequent und elegant durchzusetzen“, so der Wiener Projektleiter Emilio Podreka. Er betont auch die gute Zusammenarbeit mit NMPB Architekten, Pianos Partnern in Wien.
Filigrane Stahlbrücken
Das Hotel Andaz ist auf zwei Türme verteilt, die auf jeder Ebene mit Brücken verbunden sind. Dadurch kommt es mit je einem Erschließungskern aus. Damit die Brücken optisch nicht so massiv wirken, wurde eine schlanke Brückenkonstruktion aus Stahl mit Zugdiagonalen gewählt. Die Brücken sind zu je zwei bis drei Geschossen mit Diagonalen zusammengefasst und verschwenkt: Das heißt, sie sind im Grundriss zwar parallel, aber gegeneinander versetzt angeordnet. Auf diese Weise bleiben Durchblicke erhalten und die Türme sind als eigenständige Bauteile sichtbar. Aufgrund ihrer Geometrie und Höhe haben die Türme unterschiedliche Steifigkeiten und Verformungsverhalten. Daher wurden die Brücken mittels Gleit- und Festlagern an den Rändern der Stahlbetondecken befestigt. Jeweils zwei „Finger“ sind gelenkig und verschieblich auf Stahl-einbauteilen gelagert. So können Differenzverformungen durch Windlasten und Erdbeben gut aufgenommen werden.
Kompaktes Kern-Paar
Auch im Sockel der Wohntürme sollten die Stützen, die die vertikalen Lasten abtragen, so zart wie möglich sein. Die Tragwerksplaner teilten die Lasten der einzelnen Türme auf einige wenige Wandscheiben in den Wohnungen und je ein kompaktes, massives Kern-Paar auf, das auch die vertikale Erschließung aufnimmt. Diese Stahlbetonkerne übernehmen die horizontalen Lasten ebenso wie die Windlasten, außerdem die vollen Schubkräfte und Biegemomente und steifen das Gebäude aus. Die Stahlbetonbodenplatte im Kernbereich ist bis zu 1,60 m dick, der vertikale Lastabtrag in den Baugrund erfolgt über knapp 650 Pfähle mit einem Durchmesser von 90 cm, die etwa 24 m tief in den Boden reichen.
Pilotistützen aus hochfestem Schleuderbeton
Ergänzt werden diese Kerne im Sockelbereich durch einen „Stützenwald“ auf einer Gartenlandschaft, die von 3:0 Landschaftsarchitektur als urbane, künstliche Hügeltopografie gestaltet wurde. Deren geländemodellierende Unterkonstruktion ist aus Holz, die triangulierte Flächen bildet. „Für Beton hätten man ohnehin eine Schalung zimmern müssen, so haben wir von vornherein eine Unterkonstruktion gewählt“, so Tragwerksplaner Heise, „das spart Gewicht.“ Die Konstruktion ist auf die Lasten optimiert. An der Spitze wurde mit einer hohen Erdaufschüttung das Gelände modelliert. Der Rest ist, je nach Bedarf, mit Erde beschüttet, Gräsern und Bäumen bepflanzt und mit Sportbelag, Kinderspielplätzen und Bänken abwechslungsreich gestaltet.
Aus diesem Gelände ragen nun die Pilotistützen wie hohe Baumstämme aus dem Rasen. Sie sind aus hochfestem Schleuderbeton mit besonderen Zuschlagsstoffen und einem Bewehrungsdurchmesser von 40 mm ausgeführt. Die Pilotistützen haben perfekt glatte Oberflächen, sind bis zu 20 m hoch, sehr schlank und quasi organisch, weil sich ihre Durchmesser je nach Lastfall unterscheiden: Sie betragen zwischen 20 und 60 cm. Als Pendant zur triangulierten Fläche der Unterkonstruktion der Gartenlandschaft zeigt sich die Deckenuntersicht der darüber liegenden Geschosse: dreieckige Eternitplatten auf einer Unterkonstruktion aus Aluminium.
Die Pilotistützen kamen als perfekte Fertigteile aus dem Werk. Jede wiegt bis zu 25 t, als Schwertransport mussten sie nachts angeliefert werden. Um sie während des Betonierens der ers-ten Geschossdecke temporär zu halten, wurden sie durch je zwei Abstrebungen stabilisiert. Am Fußende der Stützen gibt es eine Kopfplatte aus Stahl mit einem Zentrierdorn, die mit hochfestem Zement kraftschlüssig mit dem Boden verbunden ist, wo eine Stütze aus Ortbeton die Lasten weiter in die Untergeschosse leitet. Für das Kopfende der Pilotistützen wurde ein spezielles trapezförmiges Stahleinbauteil geplant: In den Wohngeschossen sind die Stützen zur Eingliederung in die Grundrisse als rechteckige, wandartige Stützen ausgeführt. Durch die trapezförmigen Stahleinbauteile werden die hohen Lasten konzentriert und in die deutlich kleineren, runden Querschnitte der Pilotistützen eingeleitet. Rund um die Pilotistützen wurde das zur damaligen Bauzeit größte Gerüst Österreichs errichtet. Dieses war notwendig, um das Frischbetongewicht der ersten Geschossdecken im Bauzustand aufzunehmen. Nach Aushärtung der ersten Decken konnten die weiteren Decken die Belastung des Frischbetons aufnehmen und das Gerüst wurde wieder abgebaut.⇥Isabella Marboe, Wien/AT
Baudaten
Objekt: Parkapartments am Belvedere
Standort: Wien/AT
Typologie: Wohnungsbau und Hotel
Bauherr: SIGNA Gruppe
Nutzer: Wohnen: Eigentumswohnungen Hotel: ANDAZ (Hyatt)
Architekt: Renzo Piano Building Workshop, Paris/FR, www.rpbw.com mit NMPB Architekten, Wien/AT, www.nmpb.at
Mitarbeiter (Team): RPBW: B. Plattner, T. Sahlmann, N. Mecattaf (partner and associates in charge) mit C. Baumann, A. Boucsein, H. Brouta, J. Da Nova,
S. Doerflinger, G. Dumont, M. Forget, T. Gantner,
K. Kaliczca, C. Kimmerle, D. Knecht, S. Lettow, A. Mak, N. Meyer, E. Murphy, J. Pakula, A. Rinderspacher,
P. Rizzotti, G. Rosenzweig, M. Sismondini, E. Volz und M. Bolz, M. Pastorok, A. Thompson; D. Tsagkaropoulos (CGI); O. Aubert, Y. Chaplain, C. Colson, Y. Kyrkos (models)
NMPB: Herbert Pohl (Partner), Andrea Pohl (Hotel), Peter Knoll (Wohnen)
Bauzeit: November 2015 – März 2019
Tragwerksplaner: Bollinger+Grohmann, Frankfurt a. M., www.bollinger-grohmann.com
Lichtplaner: podpod, Wien, www.podpoddesign.at
Innenarchitekt: Carbone&Kacerovsky
Landschaftsarchitekt: 3:0 Landschaftsarchitektur, Wien, www.3zu0.com
Energieplaner: Dr. Pfeiler GmbH, Graz,
www.zt-pfeiler.at
Projektdaten
Grundstücksgröße: 10 951 m²
Grundflächenzahl: 65 000 m²
Brutto-Grundfläche: 77 600 m²
Gebäudehülle
U-Wert Außenwand=0,424 W/(m²K)
Uw-Wert Fenster=0.8 W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung=0.6 W/(m²K)
Hersteller
Fassadenbekleidung: Moeding Keramikfassaden GmbH, www.moeding.de
„Die Wohn- und Hoteltürme schweben, von bis zu 20 m langen und sehr schlanken Schleuderbetonstützen getragen, über den Gemeinschaftsgeschossen und der Landschaft. Die geforderte räumliche Verdichtung erst ab einer gewissen Höhe zu realisieren und den eigentlichen Lebensraum in und um die Gebäude frei und offen zu halten, ist mutig und interessant. Das finden auch andere wie Herzog & de Meuron (Moskau) und Bjarke Ingels (Miami) attraktiv. Wir auch.“ ⇥DBZ Heftpate Knut Stockhusen, sbp, Stuttgart