Faltwerk aus Stein
Domsingschule in Stuttgart

Mit der Fertigstellung der Domsingschule im September 2006 im Herzen von Stuttgart wurde ein langjähriger Wunsch der katholischen Gesamtkirchengemeinde Wirklichkeit. An zentraler Stelle wurde ein repräsentativer moderner Bau geschaffen, der in Punkto Akustik, Offenheit und Ausstattung keine Wünsche offen lässt. Zugleich gelang es dem Architektenteam, das fünfstöckige Gebäude in ein Ensemble aus Gründerzeithäusern und Nachkriegsbebauung einzugliedern. Blickfang ist
die Backsteinfassade, die das Gebäude umschließt und
sich an der Vorderfront mit einer nach außen gewölbten, dreidimensional gekrümmten Fläche abhebt.

Domsingschulen gibt es traditionell vor allem in Bistumssitzen wie Freiburg, Aachen, Würzburg oder Rottenburg. In Stuttgart wollte die katholische Gesamtkirchengemeinde einen zentralen Ort schaffen,
an dem verschiedene Chöre aus dem Bereich der Kirchenmusik proben können. Zuvor war dazu nur an unterschiedlichen Standorten Gelegenheit. Die Schule sollte aber nicht nur Chorraum werden,
sondern auch Begegnungs- und Ausbildungsstätte, in der am Nachmittag die Gesangsschüler betreut werden können. „Wir wollten in
der Stadt präsent sein und ein Zeichen setzen“, sagt Manfred Scherer, Leiter der Bauabteilung der Gesamtkirchengemeinde. Seit zehn Jahren gibt es die Domsingschule als Institution in Stuttgart. Sehr aktive Mitglieder der katholischen Gemeinden prägen die Chöre und das Gemeindeleben.


Die Fassadenidee

Beim Ausschreibungswettbewerb zur Bebauung eines Grundstückes in zentraler Hanglage setzte sich das Team der no w here architekten aus Stuttgart durch. „Unser Ziel war es, das Gebäude in das Straßenbild aus typischen Stuttgarter Gründerzeithäusern zu integrieren“, sagt Architekt Henning Volpp, „und zudem eine homogene Fassade zu schaffen, die alle Räume umschließt und trotzdem Öffnungen für Fenster bereithält“, ergänzt sein Kollege Karl Amann. Ausgehend von dieser Idee wurde in der konzeptionellen Phase eine Fassade geschaffen, die wie eine Haut über alle Räume gestülpt und ausgeformt wird. „Die Idee von einem so genannten Hautlappen gab es schon eine Weile, an diesem Projekt haben wir es dann tatsächlich in die Tat umsetzen können“, erklärt Architekt Amann zufrieden und verdeutlicht das Konzept vor Ort: Der angesprochene Hautlappen ist eine Ziegelhaut, die das fünfstöckige Gebäude wie eine schützende Membran umschließt. „Wir haben einfach ausprobiert und modelliert“, sagt Amann. „An Stellen wo Licht einfallen sollte, sowie an Ein- und Ausgängen, haben wir – wie mit einem Messer – Schlitze eingebracht und die Haut aufgeklappt.“ Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Entstanden sind zum einen runde Ecken und zum anderen halbrunde Öffnungen. Die plastisch wirkende Ziegelwand scheint weich zu werden und verliert ihren – dem Baustoffe eigentlich entsprechenden – harten Charakter. Im Bereich des Laubengangs auf der Straßenseite löst sie sich in eine gitterartige Struktur auf.

In ihrer Gesamtgestalt wirkt das Bauwerk sehr organisch. „Das Gebäude spiegelt mit der geschlossenen Haut den Charakter, den es ausstrahlen soll: nach außen geschlossen, nach innen offen.“ Bei dieser Aussage von Architekt Henning Volpp kann man regelrecht die ständige Auseinandersetzung mit den Charakterzügen des Gebäudes spüren. „Ja, wir hatten mit dem Bauherren einen regen Austausch in der Planungszeit und auch in der Realisierungszeit geführt. Das war ein ständiger Prozess und sehr fruchtbar!“

Knackpunkt bei der Umsetzung der Planungen war – wie so oft
in Stuttgart – das Jonglieren mit dem Bauamt. Durch die besondere Hanglage von vielen Grundstücken in der baden-württembergischen Landeshauptstadt, gilt hier nicht nur die Landesbauordnung, sondern auch eine Ortsbausatzung, die die so genannte Staffelregelung beinhaltet. Darin werden auch die Höhe und der Abstand zum nächst-
liegenden Baugrundstück festgelegt.

Die Problematik hier: Das Grundstück in klassischer Hanglage
war eigentlich zu klein, um die von der Bauherrin geforderte Geschossfläche zu erreichen. Zudem hätte das geltende Planungsrecht im Bezug zu den Nachbargebäuden einen Bruch in den Straßenkontur der Landhausstraße erzeugt. Konzipiert wurde der Bau dann in eine Vorderhaus- und eine Hinterhaushälfte, die im Erdgeschoss
mit einer Foyerspange verbunden ist. Über die Foyerspange öffnet sich ein kleiner Innenhof. Dieser soll die Offenheit nach innen widerspiegeln.

Der hyperbole Paraboloid

Im hinteren Teil des Erdgeschosses befindet sich der kleine Chorsaal mit 80 m², der überwiegend von den Jüngeren genutzt wird. Das Herzstück des Baus ist der große Chorsaal im 1. OG. Dieser kragt an der Straßenfassade und auf der Hofseite über das Erdgeschoss hinaus. Als gestalterisches Element zeigt sich an der Vorderfront eine nach außen gewölbte, dreidimensional gekrümmte Fläche, im Fachjargon „hyperboler Paraboloid“ genannt. „Im Material des Ziegels haben wir exakt den Baustoff gefunden, der für unsere Fassade richtig war“, sagt Karl Amann, während er bei der Hausführung das Endergebnis der verschiedenen Ziegelwandformen zeigt. Eine Spezialfirma aus Hannover wurde für diese Arbeiten beauftragt und die Spezialisten haben ganze Arbeit geleistet. „Die waren nachher sehr stolz“, sagt Amann, der sich mit seinem Partner Volpp voll des Lobes zeigt. Vor allem die gekrümmte Außenfassade sei harte Arbeit gewesen, denn die Fugenbreite vergrößert sich von Ziegelreihe zu Ziegelreihe. Ein Teil dieser Fassadenfront musste sogar noch mal neu aufgemauert werden. Besondere Freunde macht den beiden Architek-
ten heute noch der Ziegel mit seiner charakteristischen Textur. Der Rohstoff wird in der Nähe von Bremen gewonnen und durch den besonderen Lehm werden beim Brennvorgang ganz unterschiedliche Rottöne erzeugt. Die roten Einbrandstellen entstehen durch die Lagerhölzer, auf denen die Ziegel im Brennofen aufliegen und verstärken die unterschiedlichen Farbtöne zusätzlich.

Besonders zur Geltung kommen die Backstein-Innenmauern in den beiden Stimmbildräumen im zweiten Geschoss der Schule. Im größeren von beiden hält sich Karl Amann besonders gerne auf. Der Blick schweift hier durch die Glasfassade auf das gegenüberliegende Gebäude mit der Backsteinfassade und den Querriegeln aus Stubensandstein. Das Material gliedert sich hier optimal in die Fassaden
der Bestandshäuser ein.

Der Klinker an der gesamten Außenfassade ist als Vormauerwerk ausgebildet und übernimmt keine tragende Funktion. Die Hinterlüftung erfolgt durch einen Spalt zwischen Fassade und Grundmauer, der unten offen ist. An der Oberkante ist die Hinterlüftung durch ein Blech abgedeckt. Die untersten Reihen der Ziegelwand sind Fertigteile, die mit speziellen Edelstahlträgern mit der Grundwand verbunden wurden. Auf diese Fertigteile wurde normal aufgemauert. Durch handelsübliche Metallanker wird die Ziegelfassade an der Betonwand rückverankert.

Neben der Nutzung als Domsingschule wurden zur Refinanzierung des Projektes zwei Geschosse mit je zwei Wohnungen auf das ursprünglich vierstöckig geplante Gebäude aufgesetzt. Die Wohnungen sind durch einen Treppenaufgang im seitlichen Bereich des Gebäudes erschlossen. Von dort geht es über den angesprochenen Laubengang zu den Eingängen. Über den Treppenaufgang erreichen die Bewohner auch das Parkhaus. Jeweils zwei Wohnungen sind als Maisonetten ausgebildet. 

„Die Domsingschule hat mit dem Neubau einen Aufschwung erfahren“, sind sich die beiden ausführenden Architekten sicher. „Von hier geht eine neue Strahlkraft aus“, bekräftigt Karl Amann. Durch
den intensiven Kontakt zur Kirchengemeinde wissen die Architekten, dass seit der Fertigstellung der Schule immer mehr Schülerinnen und Schüler das Nachmittagsangebot annehmen. Auch darüber sei die Kirchengemeinde als Bauherrin „überglücklich“, sagt Architekt Volpp.

Der Dommusikdirektor Martin Dücker hat das bei seiner Rede zur Einweihung des Gebäudes so ausgedrückt: „Wie bei jedem schönen Haus, so ist es auch hier – wer es betritt, wird gut gestimmt. Wie bei jedem schönen Platz, ist es auch hier – wer ihn betritt, wird erhoben. Das Auge sucht und findet Linien, Brechungen, Durchblicke, neue Perspektiven und stimuliert wird Herz und Mund und Tat und Leben.“ Rüdiger Sinn, Stuttgart

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