Firmenzentrale WIKUS, Spangenberg
Mit der neuen Firmenzentrale der Sägenfabrik WIKUS in Spangenberg ist nicht nur ein architektonisches, sondern vor allem auch ein akustisches Highlight entstanden. Die Optimierung der Raumakustik ermöglicht ungestörtes, nonterritoriales Arbeiten in einem progressiv gestalteten Umfeld.
⇥DBZ Heftpate Steffen Czychi
Wenn ein Unternehmen seine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte sichtbar machen möchte, gibt es dazu viele Möglichkeiten. Die Sägenfabrik WIKUS aus dem nordhessischen Spangenberg feierte im Oktober 2018 ihr 60-jähriges Jubiläum mit der Einweihung einer neuen Firmenzentrale. Mit dem Um- und Neubau zur Optimierung der Prozessorientierung der Verwaltung realisierten Bieling Architekten aus Hamburg ihren Entwurf in enger Zusammenarbeit mit dem Architektenbüro Tollhopf aus Melsungen und congena, einem Spezialisten für Büroorganisation aus München. Entstanden ist ein architektonisches Aushängeschild für modernes Arbeiten – nach außen wie nach innen. Neben dem dreigeschossigen neuen Eingangsgebäude wurden die angrenzenden Werkhallen ein- und zweigeschossig ergänzt und durch eine die Geschosse übergreifende Fassade aus beweglichen Metallpaneelen zusammengefasst. Eine entscheidende Herausforderung für die Planer stellte die akus-tische Optimierung der offenen Büroflächen dar.
Nachhaltiges und gesundes Arbeiten
Um maximale Flexibilität der Arbeitsplätze und reichlich Platz für Kommunikation zu garantieren, zog WIKUS für die Auslobung des Architektenwettbewerbs den Büroplaner und Projektsteuerer congena für einen exemplarischen Systementwurf zurate. Der zeigte eine nonterritoriale Lösung auf insgesamt 2 600 m², um auf wechselnde Teamkonstellationen reagieren und die Arbeitsplätze effizient nutzen zu können.
Zugleich wünschte der Bauherr ein unkompliziertes Haustechnikkonzept, das mit geringem Wartungsaufwand auskommt und individuelle Regelung unnötig macht. Planer und Bauherr entschieden sich für eine Betonkernaktivierung der Decken, die für Heizung und Kühlung sorgt. Frischluft wird nur für den notwendigen hygienischen Luftwechsel mittels Quellluftsystem zugeführt. Die Metallpaneele der Fassade lassen sich je nach Sonnenstand steuern und dienen der Minderung des Wärmeeintrags bis zu 50 %.
Akustischer Stress
Offene Bürostrukturen können durch Sprachgeräusche seitens der Kollegen und Geräusche von Druckern o. ä. Stress verursachen. Die sonst naheliegende Lösung einer akustisch wirksamen Abhangdecke war mit der Entscheidung für eine Betonkernaktivierung ausgeschlossen, da die Heiz- und Kühlfunktion selbst durch schlanke, kleinteilige Objekte unterhalb der Decken beeinträchtigt werden. Projektleiter Hagen Sparbrodt von Bieling Architekten über die Planungshistorie: „Das war ein ziemlich langer Prozess zwischen dem Akustikplaner, congena, dem Ingenieurbüro Hausladen und uns, innerhalb dessen wir immer die Fahne der Haustechnik und der freien Decke hochhalten mussten. Das Maß, in dem die Decke gestört werden durfte, war so gering, dass schon die Lichtbänder und Leuchten ein Problem waren.“ Die spärlich eingesetzten senkrechten Akus-tiklamellen dürfen auf Grund der Luftzirkulation einen Abstand von 10 cm zur Unterkante Rohdecke nicht unterschreiten. Die Akustikplaner orientierten sich an der Richtlinie VDI 2569 für den Entwurf von Schallschutz und akustischer Gestaltung im Büro, ohne den Blick für das Bürokonzept zu verlieren. „Wenn wir durchgehend alle Empfehlungen auf höchstem Niveau eingehalten hätten, wären wir wieder bei einem segmentierten Zellenbüro mit Durchgangsflur gelandet“, betont Akustikplaner Georg Jansen von der ISRW. Gemäß DIN 1804 wurde der offene Bürobereich als Gruppe B4 (Räume mit Bedarf an Lärmminderung) und Raumkomfort eingestuft und sollte bei einer lichten Raumhöhe von ca. 3 m ein A/V-Verhältnis von mindestens 0,22 einhalten. Die Simulationen bestätigten neben dieser Vorgabe zudem die Beschränkung der Nachhallzeit auf einen Wert unter 0,9 bis 0,7 Sek. Eine Messung im Nachgang wurde nicht unternommen, da die Nutzer mit den Randbedingungen zufrieden waren.
Absorption ohne Abschottung
Ein perforierter Hohlraumboden wurde nach ersten Simulationen und Kostenschätzungen zugunsten eines akustisch wirksamen Teppichbelags verworfen – unverhältnismäßig hohe Kosten in Relation zu einer geringfügig höheren Wirksamkeit einer derartigen Bodenkonstruktion ließen dies nicht zu. Die Vorgabe bei der Ausschreibung des Teppichbelags war ein gutes Absorptionsvermögen im Frequenzbereich um 500 Hz, um die mittel- bis tieffrequenten Bereiche – insbesondere durch Sprache hervorgerufen – abmildern zu können. Als Ergänzung zum Teppichbodenbelag wurden dezente Raumgliederungssysteme und auf Sideboards aufgesteckte Akustikelemente gewählt. Einzelne Systemtrennwände zwischen den Räumen wurden mit Stoff bezogen bzw. mit gelochten Blechpaneelen belegt. Semitransparente Membrankörper mit Wabenstruktur dienen der zusätzlichen akustischen Konditionierung zwischen zwei Arbeitsplätzen bzw. zwischen Arbeits- und Durchgangszone, ohne die Blickbeziehungen zu stören.
Der Büroplaner congena wählte im Sinne einer optischen Vielfalt unterschiedliche Materialien, von mikroperforierten Holzflächen der Büroschränke über freistehende Akustikscreens bis hin zu Absorberwänden, wahlweise aus 25 mm dicken Holzwolle-Leichtbauplatten oder aus Gipskarton-Lochplatten. Das von ISRW Klapdor stets eingehaltene ABC-Prinzip (absorb – block – cover) sorgt dafür, dass Schall entweder durch geringere Materialdichte absorbiert wird bzw. mittels solider Flächen abgelenkt wird.
Einbeziehung der Mitarbeiter
Der Grundriss der Verwaltungsetage gliedert sich in offene Arbeitsbereiche, geschlossene Raumeinheiten für Besprechungen, Telefonate und Bürogerätschaften und vier frei bewitterte Lichthöfe. Entlang der raumhohen Fassaden der Patios gruppieren sich niedrige Sessel und Sitzkabinen für informelle Gespräche und bieten Rückzugsmöglichkeiten. Mit der Setzung der Höfe, des Mobiliars, der Paneele und der Aufsatzelemente haben die Planer die Lösungen gefunden, die die Schallausbreitung, aber nicht die fluide Räumlichkeit stören.
Die Geschäftsführung wünschte laut Architekt Hagen Sparbrodt keine separaten Arbeitsplätze, sondern ein Arbeiten ‚mittendrin’. Die Mitarbeiter waren von Beginn an in die Planungsschritte aktiv einbezogen dank eines detaillierten und kontinuierlichen Informationsflusses. Auffällig ist die aufgeräumte Erscheinung der Arbeitsplätze, die dem shared-desk-Prinzip zu verdanken ist. „Voraussetzung dafür sind die Schließfächer für die individuelle Utensilien der Angestellten, die gleichzeitig den Zweck als weitere akustische Barrieren erfüllen“, so Architekt Hagen Sparbrodt.
Das progressive Gestalten von Arbeitsplätzen macht auch vor den Außenanlagen keinen Halt. Die provisorische Kiesfläche soll sich bereits im Sommer 2019 in Grünflächen mit optionalen außenliegenden Arbeitsplätzen verwandeln. Die Rückmeldungen zum fertiggestellten Bau und insbesondere zu der Akustik sind laut Projektleiter Sparbrodt überwiegend positiv. Vom Puffer, den die Akustikplaner der ISRW zur gegebenenfalls notwendigen akustischen Optimierung gelassen haben, wollte jedenfalls bislang niemand Gebrauch machen. Nathalie Gozdziak, Köln
Baudaten
Objekt: WI.com Um- und Neubau Unternehmenszentrale WIKUS-Sägenfabrik Wilhelm H. Kullmann GmbH & Co. KG
Standort: Melsunger Straße 30, 34286 Spangenberg
Typologie: Bürogebäude/Firmenzentrale
Bauherr und Nutzer: WIKUS-Sägenfabrik Wilhelm H. Kullmann GmbH & Co. KG, www.wikus.de
Architekt: Bieling Architekten AG, Hamburg,
Prof. Thomas Bieling, www.bieling-architekten.de
Mitarbeiter (Team): Hagen Sparbrodt (Projektleitung), Indra Fuß (Wettbewerb), Johannes Fuß (Wettbewerb), Benjamin Zweig
Bauleitung: Architektenbüro Thomas Tollhopf, Melsungen,
Bauzeit: Juni 2017 – Oktober 2018
Fachplaner
Tragwerksplaner: Reitz und Pristl Ingenieurgesellschaft für Tragwerksplanung mbH, Kassel,
TGA-Planer Konzept: Ingenieurbüro Hausladen GmbH, Kirchheim, www.ibhausladen.de
TGA-Planer Ausführung: Ulrich + SEEGER GmbH, Paderborn, www.ulrich-seeger.de
Lichtplaner Tageslichtnutzung / Lichtplaner: Peter Andres Unabhängige Lichtplanung und -beratung GbR, Hamburg, www.andres-lichtplanung.de
Innenarchitekt (Bürokonzept): congena GmbH, München, Maren Puffert (Projektsteuerung),
Mitarbeiter: Marion Maltzahn, Mirjana Loitzl
Akustikplaner: ISRW Institut für Schalltechnik, - Raumakustik, Düsseldorf, www.isrw-klapdor.de
Trockenbau: OKEL GmbH & Co. KG, Mirko Rohdenburg (Projektleitung), www.okel.de
Landschaftsarchitekt: RIEHL BAUERMANN + PARTNER Landschaftsarchitekten, Kassel, www.riehl-bauermann.de
Energieplaner und -berater: Ingenieurbüro Hausladen GmbH, Kirchheim, www.ibhausladen.de
Brandschutzplaner: Neumann Krex & Partner, Niestetal, www.nk-ing.de
Weitere Fachplaner: Imagekonzept und Leitsystem Büro für Gestaltung Wangler & Abele GbR, München, www.bfgest.de
Projektdaten
Grundstücksgröße: 18 300 m²
Grundflächenzahl: 0,78
Geschossflächenzahl: 1,26
Nutzfläche gesamt: 5 045 m²
Nutzfläche: 4 640 m²
Technikfläche: 65 m² (zzgl. Nutzung von vorhandenen Zentralen)
Verkehrsfläche: 340 m²
Brutto-Grundfläche: 5 615 m²
Brutto-Rauminhalt: 24 749 m³
Baukosten (nach DIN 276)
KG 200 (brutto): 297 200 €
KG 300 (brutto): 8,9 Mio. €
KG 400 (brutto): 4,6 Mio. €
KG 500 (brutto): 759 700 €
KG 600 (brutto): 1 Mio. €
KG 700 (brutto): 4,28 Mio. €
Gesamt brutto: 19,8 Mio. €
Hauptnutzfläche: 4 280 €/m² KG 200–700
Brutto-Rauminhalt: 805 €/m³ KG 200–700
Energiekonzept
Dach: Stahlbeton 28 cm, Dämmung 25 cm
Außenwand: Stahlbeton 25 cm, Dämmpaneele 80-220 mm, Aluminiumbleche und Glaspaneele
Fenster: Verglasungen 3 fach 51 mm
Boden: Stahlbeton 30 cm, Estrich 15 cm oder Hohlraumboden 45 cm
Gebäudehülle
U-Wert Außenwand = 0,24 W/(m²K)
U-Wert Fassadenpaneel = 0,18 W/(m²K)
U-Wert Bodenplatte = 0,50 W/(m²K)
U-Wert Dach = 0,20 W/(m²K)
Uw-Wert Fenster = 1,10 W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung = 0,60 W/(m²K)
Ug-total (mit Sonnenschutz) = 0,50 W/(m²K)
Hersteller:
Raumgliederungssystem: Nimbus Group GmbH, Rosso Acoustic, www.rosso-acoustic.com
Akustisch wirksame Lamellen (Empfang-Lounge): Ecophon Solo Baffelsystem, www.ecophon.com
Wandabsorberflächen: Troldtekt Deutschland GmbH, www.troldtekt.de
Teppich: Interface, www.interface.com
Linoleum: Forbo Flooring GmbH, www.forbo.com
Holzdielen/Parkett: W. & L. Jordan GmbH,
Designestrich: gipp Estrich GmbH Industrie- & Designböden, www.gipp-estrich.de