Form follows Energy
Beziehungen zwischen Form und Energie in Architektur und Urban Design

Eine zentrale Fragestellung in der Architektur, die sich zunehmend stellt, ist die Beziehung zwischen der Energieperformance von Ge­bäu­den und Städten und deren Form – Form im Sinne von Formsprache; das äußere Er­­scheinungsbild eines Gebäudes im Allgemeinen und die architektonischen Elemente und Ausdrucksmittel, die dieses bestimmen; – Form jedoch auch im Sinne der geometrischen Konfiguration des physikalischen Objekts „Gebäude“ bzw. des physikalischen Gebildes „Stadt“. Finden die vielseitigen Aspekte der Energieperformance im Form­findungs- beziehungsweise Entwurfsprozess Eingang, ergeben sich sowohl neue Formsprachen als auch neue Formen in der Archi­-tektur. Die dringend notwendige Erhöhung der Energieeffizienz kann somit zu einer neuen Ästhetik, zu neuen architektonischen Qualitäten führen.


Building Energy Performance

Building Energy Performance ist die Minimierung des Energiebedarfs eines Gebäudes bei gleichzeitiger Erreichung optimaler Konditionen in dessen Räumen und drückt die Energieeffizienz eines Gebäudes aus. Der Begriff „Energieeffizienz“ wird heute leider gerade im Bereich des Bauwesens häufig falsch verstanden und die Erhöhung der Energieeffizienz mit einer Senkung des Energiebedarfs verwechselt. Energieperformance bzw. -effi­zienz ist jedoch das Verhältnis zwischen Output (Nutzen) und Input (Ressourcen). Es geht darum, welchen Nutzen man aus der „verbrauchten“ Energie zieht. Im Zusammenhang mit der klimatischen Performance von Gebäuden ist die Energieeffizienz als Verhältnis zwischen der Qualität des Raumklimas und der Quantität des Energiebedarfes zu begreifen. Bisherige Instrumente zur Regulierung der Energieeffizienz von Gebäuden beschäftigen sich lediglich mit Energiebedarf und nicht mit Energieeffizienz. Am Institut für Gebäude und Energie an der TU Graz haben wir die BEEP-Methode (Building Energy and Environmental Performance) entwickelt, mit der die tatsächliche Energieeffizienz eines Gebäudes festgestellt werden kann, so dass verschiedene Entwurfsoptionen wirklich miteinander verglichen werden können. Ergebnisse von Fallbeispielen, die mit dieser Methode untersucht wurden, zeigen eindeutig, dass niedriger Energieverbrauch mit einer hohen Energieeffizienz nicht gleichgesetzt werden kann.

Darüber hinaus ist energieeffiziente Architektur als Triade aus minimiertem Energie­verbrauch, optimalem Raumklima und hervorragender architektonischer Qualität zu begreifen. Wie oben erläutert, ist es mittels der BEEP-Methode möglich, die ersten zwei Parameter zu kombinieren und objektiv zu ermitteln. Der dritte Parameter kann und muss ebenfalls evaluiert werden; natürlich jedoch nicht mit einer Zahl. Gerade dieser Aspekt hat im Namen des sogenannten energiesparenden Bauens in den letzten Jahren gelitten und dies ist eine Entwicklung, die wir uns nicht leisten können. Wenn man den Begriff der nachhaltigen Entwicklung ernst nimmt, muss man einsehen, dass mit einer solchen Entwicklung ein Verlust an der architektonischen Qualität unserer gebauten Umwelt nicht einhergehen darf.


Energy Design

Das Energy Design eines Gebäudes beinhaltet die Entwicklung von Strategien und Konzepten zur Ausnutzung der instationären Energieflüsse im Umfeld des Gebäudes; um optimale thermische, licht- und lufttechnische Konditionen im Gebäude herzustellen und darüber hinaus, um nutzbare Energie zu erzeugen, welche sowohl im Gebäude selbst verwendet als auch ins städtische Umfeld des Gebäudes exportiert werden kann. Das übergeordnete Ziel ist die Maximierung der Gebäudeenergieperformance und die Entwicklung von zukunftsfähigen Gebäuden. Es geht dabei primär um das „Entstehen Lassen“ eines optimalen Innenklimas mit behaglichen thermischen, raumklimatischen, akus-tischen, luft- und lichttechnischen Qualitäten und weniger um die Planung der Geräte und Anlagen, welche u.U. eingesetzt werden, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Das Energy Design von Gebäuden in der Praxis ist ein Entwurfsprozess ähnlich dem des Architekturentwurfsprozesses, in dem mittels der Gestaltung der unsichtbaren Energieflüsse innerhalb und außerhalb des Gebäudes statt Räume Raumklimata das primäre Entwurfsziel darstellen.


Design from First Principles

Anstelle des Einsatzes von Standardlösungen und der Zusammenstellung von Standardkomponenten in mechanischen Gebäudetechniksystemen kommen im Energy Design eines Gebäudes die naturwissenschaftlichen Prinzipien und Gesetze der Physik, insbesondere der Thermodynamik, Wärmeübertragung und Strömungslehre zur Anwendung, um Gebäude und Gebäudeelemente zu entwickeln, welche das oben beschriebene Ziel erreichen. Dabei übernehmen diese Elemente stets mehrere Funktionen; räumliche, funktionale und energetische, wie bei dem oben gezeigten Klimakonzept für ein Hochhaus in

Seoul. Um die Konzepte zu überprüfen, zu optimieren und deren Machbarkeit nachzuweisen, werden dynamische Simulationen des thermischen, lichttechnischen und luftströmungstechnischen Verhaltens durchgeführt. Der Einsatz von Technologie im Entwurf führt dabei häufig zu vermindertem Einsatz von Technik im ausgeführten Gebäude.


Nutzung der natürlichen Kräfte

Ein Gebäude wird geplant, um in einem natürlichen Umfeld mit sich ständig veränder­nden und meist stark schwankenden Konditio­nen (Temperatur, Feuchtigkeit, Luftbewegung, Licht, Akustik etc.) zu existieren, i.d.R. sollen dabei relativ konstante interne behagliche raumklimatische, lichttechnische und akustische Konditionen in den Räumen des Gebäudes aufrecht erhalten werden. Dieses Ziel kann auf zweierlei Weise erreicht werden; in dem die natürlichen Konditionen und Kräfte so weit wie möglich herausgehalten und die inneren Konditionen mittels Gebäudetechniksyteme hergestellt werden oder aber indem man durch die Form und Konfiguration der Gebäudeform, -konstruktion und –haut die natürlichen Konditionen und Kräfte nutzt, um zu den gewünschten inneren Konditionen zu gelangen.

Während der letzten 50 Jahre wurden natürliche Kräfte wie Sonnenstrahlung und Wind von Gebäudeplanern als problematische Elemente gesehen, gegen welche schützende Gebäudeelemente und –maßnahmen zu entwickeln und einzusetzen waren. Die Begriffe des heutigen Bauwesens sind von diesem Aspekt des Schutzes auch geprägt; Wärmeschutz, Sonnenschutz, Windschutz, Schallschutz, Dampfbremsen usw. Wir brauchen hier dringend ein Umdenken; einen Paradigmenwechsel, so dass wir uns nicht mehr vor den natürlichen Kräften nur schützen, sondern diese aktiv nutzen. Ich schlage einen Ansatz vor, bei welchem ähnlich wie die Strategien, die in asiatischen Kampfsportarten angewandt werden, die „angreifenden“ Kräfte abgefangen und ausgenutzt werden, um einen Beitrag zur Schaffung des gewünschten Innenklimas für die Bewohner und Benutzer des Gebäudes zu erbringen.

Ein Beispiel dieses Ansatzes liefert der Wett­bewerbsbeitrag für das Great Eygptian Museum in Giza, bei dem in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Coop Himmelb(l)au ein zweischaliges Dachsystem mit einer äußeren Haut aus schwarzem Stein entwickelt wurde. Im darunter liegenden Zwischenraum wird die dadurch geführte Abluft aus dem Ausstellungsbereich derartig erwärmt, dass ihre Temperatur für die Regeneration eines Sorptionsrads ausreichend erhöht wird. Ein einfaches System, das auf Lufttrocknung mittels eines mit Silicagel beschichteten Rads in Kombination mit Luftbefeuchtung basiert, erlaubt die notwendige Kühlung der Luft ohne mechanische Kältetechnik. Die zum Betrieb des Prozesses erforderliche Wärmeenergie wird vom Dach geliefert. Je intensiver die Sonnenstrahlung auf das schwarze Stein­dach, desto mehr Kühlleistung steht für die darunter befindlichen Räume zur Verfügung.

Neuere Beispiele hierfür wären verschiedene Hochhausprojekte in Zusammenarbeit mit Coop Himmelb(l)au, bei denen wir Systeme der natürlichen Lüftung entwickelt haben, welche durch die Kraft des Windes angetrieben werden, oder das neue Gebäude der Fudan University in Shanghai mit Miralles Tagliabue Architects, bei dem die Lüftung der vielen Hörsäle und Seminarräume mittels Systemen des thermischen Auftriebes erfolgen soll sowie das New Parliamentary Building für Albanien in Tirana mit Coop Himmelb(l)au, das mittels solarer Energie gelüftet und gekühlt werden soll. Neben der Ausnutzung der im Gebäude­umfeld auftretenden instationären Energie­flüsse gilt es, die im Gebäude von den vor­gesehenen Nutzungen hervorgerufenen Energieflüsse ebenfalls einzubeziehen, auszuloten, ins Gesamtenergiekonzept zu integrieren und auszunutzen. Dies ist ein wichtiger Aspekt  bei den Konzepten, welche wir für den Neubau der Medizinischen Universität in Graz, das sogenannte Med Campus Projekt in Zusammenarbeit mit dem Archi­tekturbüro Riegler Riewe gerade entwickeln. Die verschiedenen Anforderungen der vielfältigen Nutzungen der hier zu planenden Forschungs­labore, Hörsäle und Büros liefern ein großes Potential der symbiotischen Wech-selwirkun­gen und Synergien bei der Ausgestaltung der energetischen Konzepte.


Gebäude, die geben statt nehmen

Unsere Forschungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass Gebäude in der Zukunft nicht nur die Energie, welche sie für ihren
eigenen Betrieb benötigen, selbst erzeugen müssen, sondern, dass sie darüber hinaus als Energielieferanten für die Stadt dienen werden müssen; d.h. sie erzeugen mehr Energie als sie selber benötigen: Gebäude als Kraftwerke. Bei dem vor kurzem in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Boris Podrecca gewonnenen Wettbewerbsbeitrag für den neuen Bank Austria Campus in Wien haben wir energieerzeugende Dachlandschaften in Kombination mit einem enormen geothermischen Energiefeld konzipiert.

Bisher hat man versucht, bei der Gebäudeplanung die negativen Einflüsse des geplan­ten Objekts auf seine Umgebung zu minimieren. Das ist zu wenig. Wir müssen Gebäude konzipieren, welche ihre Umgebung möglichst positiv beeinflussen; Gebäude, welche neben dem Energieexport in die Stadt ihre unmittelbare Umwelt mit mikroklimatischen Aufwertungen und Luftqualitätsverbesserungen bescheren. Auch hier ist ein Paradigmenwechsel in unserem Denken notwendig. Statt das Ziel zu verfolgen, den negativen Impakt unserer Gebäude auf ihre Umgebung zu minimieren, muss es darum gehen, ihren positiven Impakt zu maximieren


Whole Systems Thinking

Der Schlüssel zu einer nachhaltigen Zukunft liegt in der Philosophie des „Whole Systems Thinking“. Das Denken in Systemen (Systems Thinking) neben der dynamischen Betrachtung des Gesamtsystems bei der Lösungsentwicklung ist entscheidend. Wenn verschiedene alternative Lösungen in der Praxis verglichen werden, wird jedoch leider noch häufig lediglich die Energieeffizienz im Betrieb berücksichtigt. Wir müssen dabei viel holistischer vorgehen; auch die Herstellung, die Errichtung und die Entsorgung eines Gebäudes müssen berücksichtigt werden. Es ist auch wichtig zu erkennen, dass die Betrachtung von Energieeffizienz auch über die Gebäudeebene hinaus und in die Stadt hineingehen muss.


Stadt als System

Um eine tatsächlich nachhaltige Entwicklungzu vollziehen, ist eine radikale Neustrukturierung der physischen Infrastruktur unserer Gesellschaft notwendig. Unser Forschungsprojekt ‚Stadt der Zukunft‘ am Institut für Gebäude und Energie untersucht zukunftsfähige hypothetische Stadtmodelle. Städtische Dichte stellt einen Schlüsselaspekt bei all diesen Überlegungen dar und wir arbeiten aktuell an Studien zur Determinierung des optimalen Grades der städtischen Dichte aus energetischer Sicht. Die bisherigen Ergebnisse zeigen deutlich, dass der Parameter der Energieerzeugung mittels regenerativer Energiequellen und die dafür erforderlichen Land­­flächen eine erhebliche Rolle dabei spielt, und dass die Integration dieser Energieproduktionsflächen in die Oberflächen von Gebäuden wiederum die Bestimmung der optimalen Dichte stark beeinflusst. Neben räumlicher Verdichtung müssen Strategien zur zeitlichen und digitalen Verdichtung berücksichtigt werden. Ein gerade abgeschlossenes Forschungs­projekt, das den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Formen der Telearbeit und der Gesamtenergieeffizienz in der Gesellschaft untersucht, hat hier interessante Impulse geliefert.

Auf der Suche nach Strategien für eine räumliche, zeitliche und digitale Verdichtung wurden neue Gebäudetypologien entwickelt, die alle notwendigen infrastrukturellen Elemente einer Gesellschaft, einschließlich industrieller und landwirtschaftlicher Nutzungen, Nahrungsmittelproduktion, Energieerzeugung etc. beinhalten. Diese so genannten Hyperbuildings sind nicht als Solitäre zu verstehen, sondern sind einzelne Zellen eines komplexen Stadtmodells. Jede einzelne Zelle hat prinzipiell die Fähigkeit, autark für sich selbst zu funktionieren. Werden diese jedoch miteinander verbunden, so kommt es zu wechsel­sei­tigen Synergieeffekten, sodass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist. Das Hyperbuildingkonzept sieht Strukturen vor, die urbane Gebiete mit einer Bevölkerungsdichte ähnlich der von Manhattan aufweisen, jedoch keine externe Energie- und Wasserversorgung benötigen, keinen Müll produzieren, kein CO2 emittieren und nur auf geringe oder gar keine externe Nahrungsmittelversorgung angewiesen sind.

All diese Überlegungen sind nicht auf Entwicklungen neuer Städte in China begrenzt. Natürlich müssen diese Strategien im europäischen Kontext vor dem Hintergrund der bestehenden Bebauung und Infrastruktur gesehen werden. Es ist trotzdem dringend notwendig für jede europäische Stadt einen Masterplan, gemeinsam mit einer Vision der Stadt in 50 Jahren zu entwickeln. Warum? Weil im Laufe der nächsten 50 Jahre die meis­ten europäischen Städte einem drastischen Wandel aufgrund kontinuierlicher Verbesserungsmaßnahmen und laufender Sanierungen unterworfen werden. Jede Intervention zwischen jetzt und dann, jeder Neubau und jedes sanierte Bestandsgebäude ist ein Fragment der „Stadt der Zukunft“ und sollte als solches gesehen und konzipiert werden.

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