Form voll Funktion
Cité du Design, St. Etienne / F

Die Stadt St. Etienne im französischen Zentralmassiv gilt seit dem 19. Jahrhundert als Industriezentrum und Sitz vieler Erfinder. Zwar wird der Begriff Design erst seit den 1980er Jahren in Frankreich salonfähig, doch die Cité du Design, direkt neben den Fabrikationshallen der Königlichen Waffenmanufaktur aus dem Jahr 1864, fügt sich mit ihrer Energiefassade logisch in diesen historischen Bezug.

Der Aussichtsturm der Cité du Design in Form eines umgekehrten L ist von Saint Etienne aus auch bei Nacht gut zu sehen, denn seine mit Lichtpunkten versehene Metallstruktur verwandelt ihn in einen Design-­Leuchtturm. Mit 31 m Höhe und als erstes Gebäude der neuen Hochburg für Gestaltung errichtet, signalisiert er seit 2006 das Ende des Dornröschenschlafes der denkmalgeschützten Anlage mit ihren verwilderten Gärten und dem schmiedeeisernen Eingangstor. Die sanierten Fabrikgebäude gehören zur Cité – unter anderem arbeiten hier Studenten und übernachten geladene Designer.

Direkt neben dem künftigen Ausstellungsbau, der Platine genannt wird, richteten innerhalb weniger Stunden vier Kräne die vor Ort zusammen­geschweißten Turmabschnitte auf. Von der 100 m² großen Plattform aus blickt man auf die Cité du Design, einem ehrgeizigen Projekt, das Industrie, Designer, Studenten, Ausstellungen, Know-How, Foren und die Biennale 2010 zusammenführen soll. Eine offene Struktur für alles Mögliche.

Für das deutsch-französische Büro LIN bedeutete der gewonnene Wettbewerb für den Bau der Platine, eine Struktur zu schaffen, deren genaue Bestimmung erst viel später und von vielen Akteuren genauer definiert werden wird. Fest steht, dass das Gebäude die öffentlichen Aufgaben in der Cité über­nimmt: Sie ist Symbol und Treffpunkt der in ihrer Art in Frankreich neuen Institution.

Entstanden ist ein in vier Abschnitte unterteilter Raum, der wie eine Straße in verschiedene Zonen übergeht und mit mobilen Glas­elementen je nach Anforderung zu strukturieren ist. Der „doppelte Stahlkäfig“, ein 32 m breites, stützenfreies Raumfachwerk, ist 192 m lang und trägt ein Kleid wie ein Netzwerk aus 14 068 hoch differenzierten, interaktiven und multifunktionalen gleichseitigen Dreiecken mit 1,20 m Seitenlänge als Fassade und Dach.

Zu beiden Seiten der zentralen und offenen Agora liegen die Ausstellungsräume, daran schließen auf der einen Seite das Auditorium und die Seminarräume an, auf der anderen ein Restaurant und die Mediathek, beide getrennt von einem Pflanzenhaus, eine Anspielung auf die alte „Ecole des beaux Arts“, die auch ein Gewächshaus besaß. Die Dachfläche ist nach oben und unten bis zu zwei Meter überwölbt, um ein optisches Durchhängen zu vermeiden.

Die Raumtemperatur jedes Bereichs variiert je nach seiner Funktion. So ist die Agora mit einer Boutique, Café und Showroom eine nicht oder sehr niedrig temperierte Zone. Anpassungsfähigkeit lautet die Devise. „Die Führung der Leitungen und überhaupt die ganze Struktur ist ähnlich flexibel wie bei einem Messebau“, erklärt Stefan Jeske, der als einer der Projektleiter die Entstehung des Designerzentrums vor Ort begleitet hat.

Flexibilität demonstriert vor allem die neu entwickel­te Fassade. Auch sie, in dieser Zusammenstellung aus arbeitsteiligen Zellen, ein einmaliges Projekt. Deshalb begleiten mehrere Organisationen, wie die Umweltagentur Ademe (Agence de l‘Environnement et de la Maîtrise de l‘Energie ) oder der französische Stromkonzern EDF die Entwicklung neuer Elemente und die Bilanz während des Betriebs der Cité, die dank ihrer Fassade auf der französischen Skala als HQE (Haute qualité environnemental), qualitativ hochwertiges Bauwerk hinsichtlich der Umwelt, eingestuft ist.

Die Fassade – eine Kombination spezialisierter Dreiecke

Die fast spielerisch wirkende Verteilung der Dreieckselemente verwandelt den Riegel selbst in ein riesenhaftes Designobjekt. Jedes Dreieck besitzt eine Seitenlänge von 1,20 m. Zusammen bilden sie ein High-Tech-Mosaik, das alle Aussenflächen wie ein nicht- hierarchisches Netzwerk überzieht. Tatsächlich handelt es sich um eine ausgeklügelte Zusammenstellung so unterschiedlicher Aufgaben wie Belichten, Isolieren, Verschatten, Entrauchen, Entlüften, Regulieren, Strom produzieren oder farbig akzentuieren. Mehrere der insgesamt zehn Elementtypen wurden speziell für das Bauvorhaben entwickelt und durchliefen ein umfangreiches Prüf- und Zulassungsprogramm durch die französi­sche Baubehörde CSTB. Darunter Dreiecksflächen, die nach dem Prinzip so genannter Graetzel-Zellen mit Hilfe von pflanzlichen Farbstoffen, wie Chlorophyll, Energie produzieren. Natürlich sind auch Photovoltaik-Paneele im Einsatz.

Die wegen ihrer aufgedruckten Streifen bildhaft vom Architekten als „Zebra-Zellen“ bezeichneten Sandwich-Elemente verschieben sich mit Hilfe von integrierten Motoren um wenige Zentimeter gegeneinander und regulieren dadurch den Lichteinfall. Dieselbe Funktion, aber mit festen Lamellen findet man in einer anderen Variante ebenso, wie auch das klassische, isolierte Aluminium-Sandwich-Element und Dreiecke mit Sonnenschutzgläsern mit oder ohne Argon­gas, in gelben oder grünen Varianten, um im Innenraum Akzente zu setzen. Zusätzlich ist eine Experimentierfläche reserviert für Zellen, die momentan in der Entwicklung sind und direkt auf der Fassade getestet werden sollen. Im Internet sind die Daten und aktuellen Werte der Fassade zugänglich.

Ein sechsarmiges sternförmig geschnittenes Flachstahlelement wurde mit der Haupttragstruktur verschraubt und nimmt als Fixations­auflager die Dreiecksspitzen auf. Die Dichtung wird auf der Außenseite durch eine insgesamt 25 km lange Silikonspur gewährleistet, die unter anderem die temperaturbedingte Bewegung der unterschiedlichen Paneele ausgleichen soll. 60 % der Fassadenfläche werden von geschlossenen Elementen bedeckt.

Spezialisierte Dreiecke in Kombination mit Geothermie

Ergänzend dazu erzeugen im Untergeschoss der Platine sogenannte „Puits canadiens“ durch das Erdreich vorgekühlte oder vorgewärmte Luft. Auch die im Pflanzenhaus angesaugte Warmluft ist Teil des Systems. Eine Trägerflüssigkeit in den 10 m tief reichenden Gründungspfählen der Cité überträgt zusammen mit 15 m tief gebohrten Sonden Kälte und Wärme in die Bodenplatte, die nach dem Prinzip der Fußbodenheizung das Restaurant, die Ausstellung oder die Mediathek klimatisiert. „Die Bodenplatte ist ein hoch präziser, hoch technologischer Plug-In, der uns die größtmögliche Flexibilität erlaubt“, betont Stefan Jeske und weist auf die intensive Zusammenarbeit mit den Stuttgarter Büros von Werner Sobek und Transsolar hin, die für die Fassadenplanung und Berechnungen sowie die Gebäudeklimatisierung zuständig waren.

Angesprochen auf die binationale Zusammenarbeit von Spezialisten, Behörden und Unternehmen, erklärt der perfekt französisch sprechen­de Architekt die problemlose Kooperation ganz einfach: „Im Grunde wurde das gesamte Projekt zweisprachig gefahren“. Cornelie Kraus, Jarzé

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