Gegen den StromLOT-EK, New York
Die beiden Architekten aus Italien widmen sich nicht Idealbildern und Architekturutopien. Sie orientieren sich an den Alltagsbanalitäten, die für sie immenses kreatives Potential darstellen.
Gentrification ist ein Phänomen, das seit Jahrzehnten durch New York fegt und ein Viertel nach dem anderen zum Haifischbecken für Investoren macht. Dabei ist die Reihenfolge immer die gleiche: Erst kommen die Künstler wegen der günstigen Mieten, dann Designer und Kreative, gefolgt von Galerien, Boutiquen und In-Gastronomie, bevor die Schickeria Einzug hält, die sich jegliche Immobilienpreise leisten kann. SOHO (South of Houston), NOHO (North of Houston), Tribeca (Triangle below Canal) und Nolita (North of Little Italy) haben sich durch Gentrification bereits wesentlich in ihrem Charakter geändert. Die Bowery mit SANAA’s New Museum wird sicherlich das nächste Viertel sein, das diesen Prozess durchläuft.
Momentan sind es der Gallery District im Westen von Chelsea und der südlich daran angrenzende Meatpacking District, die der Umwandlungswelle zum Opfer fallen. Luxusläden und Restaurants sowie Topgalerien haben sich hier schon vor Jahren etabliert, aber erst jetzt wird die Gentrification durch einen enormen Bauboom im Stadtbild sichtbar. Gehry, Nouvel, Ban und Co. sind die Magneten für die Klientel im Luxussegment des Immobilienmarktes in Chelsea.
Im Meatpacking District, wo unlängst auch ein superglatter Apple Flagshipstore seine Türen öffnete, sorgt Diller Scofidio Renfros Highline-Projekt für Aufsehen, das eine stillgelegte Güterzug-Hochtrasse in einen urbanen Grünstreifen verwandelt – quasi eine „Green Gentrification“. Über dieser Trasse stemmt sich mit ca. 20 Betongeschossen das neueste Designhotel (Standard aus Los Angeles, Architekt: James Stewart Polshek) in die Höhe und lässt jeden Stadtromantiker erschauern. „Ich schätze Polsheks Neubau für seine Unkontrolliertheit und den Kontrast, denn das spiegelt unsere Gesellschaft wider…“, bemerkt Ada Tolla und schaut aus ihrem Bürofenster, hinter dem das Standard fast unmittelbar aufragt. Für sie manifestieren gerade diese Brüche die Heterogenität unserer heutigen Gesellschaft – und stehen damit in scharfem Kontrast zu ihrer Kindheits- und Jugenderfahrung sowie dem Architekturstudium in Neapel. Auch Giuseppe Lignano, Tollas Büropartner, ist gebürtiger Neapolitaner und Absolvent der dortigen Architekturfakultät. Der starke Kontrast zwischen den Städten, aber auch die Parallelen waren es, die die frisch Diplomierten 1989 dank eines Stipendiums in die USA brachten: beide Städte liegen am Meer, haben bedeutende Häfen, sind chaotisch und anarchistisch. Aber während Neapel an der allgegenwärtigen Historie zu ersticken drohte, bot New York mit seiner noch jungen Geschichte für Kreative ein ideales Potential. Waren in der Akademie in Neapel Stilepochen, Maßstab und Kontextualismus Prämisse, so bot das Postgraduiertenstudium an der Columbia University in Manhattan das krasse Kontrastprogramm, denn dort dominieren Experiment und Bruch. Zu Beginn ihres Aufenthaltes in den USA reisten Tolla und Lignano für drei Monate durchs Land und inhalierten den American Way of Life. Weder kritisch noch unreflektiert, vielmehr wie ein Schwamm sogen sie alles in sich auf, was von den Einheimischen als alltäglich gar nicht (mehr) wahrgenommen wird: Tankstellen, Telegraphenmasten, Billboards, Trucks, Container, Schrottplätze und speziell in New York Feuertreppen, Klimageräte, offen geführte Rohrleitungen, Zeitungsautomaten und Schriftzüge. Eigentlich das gesamte Repertoire, das der zeitgenössischen Kunstfotografie so häufig als Motiv dient und schon von Venturi, Scott Brown und Izenour in Learning from Las Vegas in ein ganz neues Licht gerückt wurde.
Urban Scan nennen Tolla und Lignano
dieses immense Archiv aus Fotografien, die auf ihrem Road Trip durch die USA entstanden und ständig fortgeschrieben werden. Es sind die Banalitäten des Alltags, aus denen sie ihr kreatives Potential schöpfen: „Die spontan gebaute Umwelt ist unser wahrer Meister“, sagt Lignano, „sie macht einen viel größeren Prozentsatz unseres Umfeldes aus als es Architektur für sich beanspruchen kann“. Und mit dieser Auffassung stehen sie geistig dicht an den Thesen von Learning from Las Vegas. Statt sich primär mit Idealbildern und Utopien zu beschäftigen, sollten sich Architekten vielmehr mit der städtischen und architektonischen Realität auseinandersetzen, denn sie ist das Abbild des Lebens, der Gesellschaft.
Diese Faszination für eine Gesellschaft, die noch im Werden begriffen ist, mit all ihren Kehrseiten, bewog Tolla und Lignano nach ihrem Abschluss an der Columbia University in New York zu bleiben, obwohl sie keine Anstellung hatten und auch nicht daran interessiert waren, für andere Architekten zu arbeiten. Arbeit hatten sie hingegen genug, denn ihr Urban Scan Projekt hielt sie bei Laune und trieb sie wie neugierige Kinder durch ganz Manhattan und darüber hinaus. Gastro- und Aushilfsjobs bei Nacht finanzierten dieses Künstlerleben am Tag. Seinerzeit mieteten sie sich auch das kleine Büro im Meatpacking District, in dem sie noch heute arbeiten. Anfangs nutzte Giuseppe Lignano den hinteren Teil des Büros als seine Wohnung und diese Abtrennung war gleichzeitig eines der ersten architektonischen Projekte von Tolla und Lignano, die sich 1993 als LOT-EK etablierten. LOT-EK steht für Low Tech und wird auch so ausgesprochen. Vom Anbeginn lag der Fokus dieses Büros auf existierenden Dingen, auf Transformation und Wiederverwendung, eben auf einer Bearbeitung und Wei
terentwicklung ihres Urban Scans. Der Low Tech- und Recyclinggedanke stand nicht ursächlich für Ökologie und Nachhaltigkeit, sondern eigentlich für das Verlangen, (ausrangierten) Dingen einen neuen Sinn zu geben und sicherlich eine Sensibilität für die Arte Povera und das Gedankengut von Marcel Duchamp. LOT-EK sahen sich besonders in der Anfangsphase als Kreative im Grenzbereich zwischen Kunst, Experiment, Objekt, Innenraum und Architektur. Angesichts mangelnder Aufträge und Finanznot lag es nahe, sich mit Ready Mades und Objets Trouvées zu beschäftigen und seine eigenen vier Wände als Experimentierfeld zu instrumentalisieren. Je banaler der Gegenstand, desto größer die Herausforderung für LOT-EK. Bunte Waschmittelflaschen, ein in Supermärkten schier endlos gereihtes Massenprodukt, transformieren LOT-EK zu einem Lampenschirm. Kühlschränke werden zu Bücherregalen und alte Fernsehgeräte zu Kunstinstallationen. Mit dieser Philosophie, die eher aus Townships oder Favelas entsprungen zu sein scheint, schafften es Tolla und Lignano 1993, in die Schaufensterdekoration von Barneys auf der Madison Avenue aufgenommen zu werden. Dieser luxuriöse Modetempel gilt als stilbildend und die Schaufensterarrangements sind trendsetzend. Der Sprung vom seinerzeit rauen Meatpacking District, wo Schweinehälften und Blutlachen noch häufiger anzutreffen waren als über Kopfsteinpflaster und Schlaglöcher stöckelnde High Heels, auf die Edelmeile von New York zog die Aufmerksamkeit der Kunstszene auf sich. Installationen in Galerien und Umbauten für die Sara Meltzer Gallery, Henry Urbach Architecture Gallery und später die Bohen Foundation folgten.
Die Bohen Foundation liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Büros von LOT-EK und zeigt besonders prägnante Spezifika ihrer Architekturauffassung. In einer ehemaligen Druckerei sollten für diese Privatstiftung, die sich der Förderung zeitgenössischer Kunst jenseits der Galerienszene verschrieben hat, Ausstellungsflächen, ein Archiv sowie Büroräume entstehen. Maximale Flexibilität für Kunstpräsentationen von Video über Skulptur, Malerei, Installation und Multimedia war die wichtigste Vorgabe für die Planer. Den Gedanken, keine festen Wände einzubauen, setzten LOT-EK mit einem völlig flexiblen System aus Überseecontainern um. Das Stützenraster gibt vier Achsen vor, die mit jeweils zwei Segmenten der Container besetzt sind. Auf Schienen lassen sie sich in der Tiefe des Raumes verschieben. Von linear bis arhythmisch lassen sich somit unendlich viele Konfigurationen erzielen, die dann anhand der ebenfalls mobilen Wandpaneele sowohl White Cube als auch offene Gefüge
ermöglichen. In einer Querachse wurde die
Kellerdecke entfernt, wodurch höhere Objekte Platz finden und gleichzeitig Tageslicht in das Untergeschoss gelangt. In diesem Fall können die Container als Brüstung dienen, ansonsten sind sie mit Gitterrosten abgedeckt.
Der Geist der Architekten steckt aber primär in den Überseecontainern, dem wohl typischsten Trademark von LOT-EK, das sie von Anbeginn in den frühen Neunzigern immer wieder beschäftigt hat (siehe Guzman Penthouse, DBZ 07/1997). Dass die Wiederverwendung von Überseecontainern natürlich kein Patentrecht besitzt, ist Giuseppe Lignano nicht erst seit der Errichtung des Containerturms für die Freitag Taschen Zentrale in Zürich, Shigeru Bans Nomadic Museum oder den vielen Anwendungen bei Pugh + Scarpa bewusst. Für Lignano ist die Verwendung von Containern mittlerweile fast schon so normal wie die Verwendung von Ziegelsteinen für andere Architekten. Aber dennoch haben die Containerprojekte bei LOT-EK eine tiefer gehende Ebene, die über die ästhetischen Komponenten hinausreicht. So sind fast alle Möbel der Container in der Bohen Foundation, die sämtliche Nebenräume außer Küche und WC aufnehmen, aus der Außenwand herausgefaltet. Diese Resourcenschonung betont den objekthaften Charakter und schont das Budget, dessen Begrenztheit selbstredend der Schatten von LOT-EK bleibt. Die mit Gießharz verfüllten Sicken schaffen eine ebene Tischfläche, Polster einen bequemen Sitz und die Einschnitte der gefalteten Flächen in den Wänden erzeugen Fenster für Blickbezüge und Tagesbelichtung sowie Belüftung. Die starke Farbigkeit und die Typographie des Bohen-Schriftzuges schaffen eine eigene Ebene und starke Präsenz im Raum, so dass die Ausstellungsflächen immer ihren Avantgarde-Charakter preisgeben.
LOT-EKs Philosophie geht gegen den Strich so manches egogetriebenen Architek-ten auf der Suche nach seinem Signature-Style, wie auch der gesamten High-Style und Minimal-Richtung, denn Lignano und Tolle legen keinen Wert darauf, jedes Detail zu bestimmen. Improvisation und Widerspruch sind ihnen wichtiger. Neben Überseecontainern haben LOT-EK auch schon Cargo Container, Betonmischmaschinen und Tanklaster zu nutz- und bewohnbaren Räumen gewandelt. Im Norton Loft bestehen die einzigen Einbauten aus einem in der Länge halbierten Tanklaster: Die eine Hälfte ist senkrecht gestellt und schafft einen zweigeschossigen Sanitärkern, die andere ist waagerecht unter der Decke von Wand zu Wand befestigt und erzeugt zwei Schlafkapseln. Durch diesen parasitären Eingriff wurde einem ausrangierten Tanklaster eine neue Funktion gegeben und der Loft ist noch als eine Einheit zu lesen. Der blaue Epoxydboden und der sonnenblumengelbe Innenanstrich des Tanks runden neben den gänzlich offen geführten Rohren das LOT-EK Vokabular ab.
Auch mit kleinen und raffinierten Eingriffen lässt sich eine große Wirkung erzielen, wie die Gestaltung eines kleinen Büros für den Verlag Edizioni Press belegt. Durch die modulare Reihung von industriell gefertigten Edelstahlspülen entstanden Regale bzw. Displayflächen, die um ihre eigene Achse rotieren können und somit gleichzeitig als Tür und Raumteiler funktionieren. Der orangefarbene Anstrich auf der Rückseite verleiht diesen Möbeln Präsenz und eine künstlerische Note.
Humor ist immer ein sehr wichtiger Part aller Arbeiten von LOT-EK, wie schon die Leuchten aus Waschmittelflaschen zeigten. Das Theater For One ist ein eher konzeptionelles Unterfangen, das mit den Grenzen von Öffentlichkeit und Privatheit, von Intimität und Vertrautheit spielt. Arrangiert aus Flight Cases bietet es einen Zuschauerraum und eine Bühne für jeweils eine Person. Gedacht für seriöse Theateraufführungen klassischen Genres, enthält es allzu augenfällige Referenzen an das Rotlicht-Milieu.
LOT-EK werden häufig als Künstler-Architekten und Theoretiker klassifiziert, was aber de facto nur einen Teil ihres Schaffensspektrums ausmacht. Dass sie auch als seriöse Architekten ihren Prinzipien treu bleiben können, beweisen zwei große Projekte, die sie in Japan realisieren konnten. Das Shop Design für die japanischen Uniqlo Stores war Kengo Kuma aufgefallen, der sie daraufhin einlud, an dem großen städtebaulichen Sanlitun- Projekt in Peking teilzunehmen. Kuma, der sich in den letzten Jahren als einer der führenden und radikalsten Architekten Japans etabliert hat, war der Masterplaner, der mit LOT-EK frischen Wind, Internationalität und vor allem Individualität in die Planungen bringen wollte.Der ursprüngliche Entwurfsgedanke, Container aus dem viergeschossigen Gebäuderiegel auskragen zu lassen, die als Schaufenster und Erker dienen sollten, war dem gehobenen Charakter der Shop-, Gastro- und Büronutzung nicht angemessen.
Das realisierte Konzept sieht sehr edel aus, lässt aber die ursprüngliche Entwurfsintention noch klar erkennen. Statt Containern kragen nun Edelstahlvolumen, schräg gestellt und arhythmisch verteilt, aus der Fassade aus und erinnern somit auch an überdimensionierte Lüftungskanäle. Eine komplette Umhüllung aus blauem Gewebe erzeugt den gewünschten temporären Charakter und dient gleichzeitig als Filter gegen Straßenlärm und Sonnenstrahlung. Die Gebäudestruktur an sich ist hochgradig effizient und rational, so dass auch gewinnorientierte Investoren von diesem Konzept zu überzeugen waren.
Der Erfolg von Sanlitun North führte auch zu dem Folgeauftrag in Sanlitun South. Das Raumprogramm war quasi identisch zu dem Sanlitun North-Projekt, allerdings war die Zielgruppe dieses Mal jünger, so dass LOT-EK das ursprüngliche Konzept konsequent durchsetzen konnten. Sanlitun South weist aber einen kompakten Gebäudecluster auf, der einer historischen chinesischen Siedlung nachempfunden ist, die über enge Wege dicht vernetzt ist. Das Stahlskelettraster ist auf das Modulmaß der Überseecontainer abgestimmt, die weitestgehend ohne Öffnungen aus den Fassaden auskragen und somit direkte Assoziationen an Frachthäfen erzeugen. Auch hier arbeiteten LOT-EK mit einer Gewebeumhüllung, die, analog zu den Containern, in kräftigem Rot leuchtet.
Bisweilen weisen LOT-EK-Projekte auch gigantische und utopische Maßstäbe auf: Für die New Jalisco Library in Guadalajara (Mexiko) schlagen LOT-EK ein Gebäude vor, das sich aus der Fügung von über 200 Rümpfen ausrangierter Boing 727 und 737 ergibt. Der rein utopisch anmutende Entwurf weist bei genauerer Betrachtung einen tiefen Durcharbeitungsgrad auf und überzeugt durch eine Reihe logischer Plandetails. Somit entspricht auch dieses Projekt ganz der Philosophie von LOT-EK, die es unabhängig von der Projektgröße immer verstehen, gewohnte Bilder und Objekte zu transformieren, ohne dabei Funktion und Wirtschaftlichkeit aus den Augen zu verlieren. Frank F. Drewes