Gesund Bauen und Modernisieren als Standard?
Unbedenklichkeit von Baustoffen

Es ist paradox: Sowohl die Gesetzeslage als auch das Selbstverständnis von Bauherren und Architekten fordern Gebäude, die ihre Bewohner und Nutzer gesund erhalten. Bislang waren emissionsgeprüfte Baustoffe und eine gesundheitliche Qualitätssicherung aber die Ausnahme. Das ändert sich gerade.

Zwei Drittel aller privaten Bauherren in­formieren sich vor ihrer Baumaßnahme über die Unbedenklichkeit von Baustoffen. Das ist eines der Ergebnisse der 2. Studie „Gesund Wohnen“[1]. Neben Schimmel – 86 % der befragten Bauherren und Sanierer empfinden diese Belastung als sehr bedenklich – machen sich private Bauherren vor allem Sorgen um die Gesundheitsgefährdung durch Emissionen aus Bauprodukten. 59 % halten diese für schädlich, weitere 32 % für eher bedenklich. Gegenüber der 1. Studie „Gesund Wohnen“ aus dem Jahr 2012 sind die Befragten deutlich kritischer geworden (siehe Abb. 1 und 2). Die Befragung zeigt auch: Auftraggeber gehen davon aus, dass eine neu errichtete oder frisch modernisierte Immobilie keine negativen Auswirkungen auf ihre Gesundheit hat. Dies lässt sich ohne Weiteres auf gewerbliche oder öffentliche Investoren übertragen.

Hehre Worte, unzureichende Umsetzung

Auch der Gesetzgeber sieht das so, allerdings eher im Allgemeinen: „Bauliche Anlagen (...) sind so anzuordnen und zu errichten, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht bedroht werden und dass sie ihrem Zweck entsprechend ohne Missstände benutzbar sind“, heißt es in §3 Absatz 1 der Landesbauordnungen. Gleichzeitig lässt der Gesetzgeber eine große Lücke bei der Umsetzung dieser Forderung. So fehlt z. B. eine klare Definition zur Qualität der Innenraumluft (CO2, Lösemittel, Radon, Formaldehyd) als wichtigstem Indikator für die gesundheitliche Qualität eines Gebäudes. Das ist insofern verwunderlich, weil wir uns bis zu 90 % in geschlossenen Räumen aufhalten. Auch im Bereich der Zulassung von Baustoffen erfolgt erst seit einigen Jahren ein Umdenken. Das Deutsche Institut für Bautechnik (DiBt) prüft, mit Unterstützung des Umweltbundesamtes und gegen massive Lobbyinteressen, bei immer mehr Produktgruppen das Emissionsverhalten bevor Baustoffe zugelassen werden. Zurzeit ist dies aber lediglich bei Bodenbelägen und Verlegewerkstoffen sowie neu ab 2014 bei einigen Wandbelägen der Fall. Ein in Deutschland bauaufsichtlich zugelassenes Produkt ist also nicht per se emissionsarm.

Nach wie vor aktuell ist daher die Aussage des Umweltbundesamtes, das bereits im Jahr 2008 in seinem Leitfaden für die Innenraumhygiene in Schulgebäuden vermerkt hat: „Die Auswahl emissionsarmer Bauprodukte stellt heute mehr denn je eine Not­wendigkeit dar. Durch die verstärkten Anforderungen zur Energieeinsparung wird die Gebäudehülle immer luftdichter ausgeführt. Die Folge kann bei unzureichender Lüftung eine Anreicherung von im Innenraum freigesetzten chemischen und biologischen Stoffen in die Raumluft sein. Um dies zu vermeiden, hilft neben verstärktem Lüften eine Verwendung emissionsarmer Bauprodukte“[2].

Architekten reagieren ambivalent

Wie agieren und reagieren nun Architekten auf die Bedürfnisse ihrer Kunden einerseits und auf behördliche Empfehlungen andererseits? „Zwiespältig“ ist vielleicht der richtige Begriff, legt man die Ergebnisse der 2. Studie „Gesund Wohnen“ zugrunde. Auf die Frage „Hat Ihr Architekt/Planer hinsichtlich der Wohngesundheit auf die Vor- und Nachteile bestimmter Baustoffe oder auch Bauweisen hingewiesen?“ antworteten nur 27 % der Bauherren, die mit einem Architekten gebaut haben, mit „Ja, und zwar ausführlich“, weitere 32 % mit „Ja, aber eher beiläufig“. Immerhin ein Drittel aller Architekten bei diesen privaten Bauvorhaben kümmerte sich überhaupt nicht um Fragen der Wohngesundheit. Hier liegt noch Potential brach.

Dabei ist das Bewusstsein für die Problematik durchaus vorhanden. Gefragt nach der Bedeutung für die Raumluftbelastung stuften die befragten Architekten die Emissionen aus Bauprodukten auf Rang zwei ein und beurteilten diese kritischer als die Bauherren: 73 % halten sie für sehr bedenklich, weitere 23 % für eher bedenklich, nur 3 % als eher unbedenklich.

Auch bei der Notwendigkeit für eine Gebäudezertifizierung, die in der Regel konkrete Anforderungen für die Innenraumhygiene einschließt, sind die befragten Architekten in ihrer Meinung gespalten. Auf die Frage, bei welchen Gebäudearten eine Zertifizierung für sinnvoll erachtet wird, stehen Kindergärten und Schulen ganz oben, gefolgt von Gebäuden des Gesundheitswesens und sonstigen öffentlichen Gebäuden (siehe Abb. 3). Gründe für diese Rangfolge sind leicht auszumachen. Zertifizierungen kosten Geld und Zeit, da muss schon ein entsprechender „Wert“ dagegen gerechnet werden können. Bei öffentlichen Gebäuden, insbesondere solchen, in denen sich Kinder, alte und kranke Menschen oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufhalten, ist einer der wertvollsten Aspekte die (Rechts-)Sicherheit vor Schadensfällen und die gute Reputation des Auftraggebers. Die dazu nötige gesundheitliche Qualität eines Gebäudes kann direkt in öffentlichen Ausschreibungen definieren werden (siehe „Gesundes Bauen öffentlich ausschreiben“). Nicht zuletzt die Haftungsrisiken des Planers oder eines Generalübernehmers für den dort vereinbarten Werkerfolg, der in Zukunft nicht nur funktionale, technische oder ästhetische, sondern eben auch gesundheitliche Aspekte einschließt, macht das gesündere Bauen und Modernisieren immer mehr zum Standard. Auf seine Unwissenheit kann man sich aus Sicht renommierter Juristen im Schadensfall definitiv nicht mehr berufen, da einschlägige Fachmedien, auch das vorliegende Fachblatt, das Thema seit Jahren intensiv diskutieren.

Ein bisschen gesund geht nicht

Wie geht das, gesünder Bauen? – Die Antwort darauf ist die gleiche wie auf die Frage: Wie geht gutes Bauen und Modernisieren? Hier wie dort geht es um Qualität und Prozesse, die den gewünschten Standard sichern. Zwei oder drei emissionsgeprüfte Bauprodukte einzusetzen und ansonsten den Status quo zu bewahren, hat allerdings nichts mit ernsthaft gesünderem Bauen und Wohnen zu tun. Erst eine möglichst frühzeitig in die Projektplanung integrierte Qualitätssicherung und -kontrolle gewährleisten sicher den Erfolg. Dabei kommt es im raumluftrelevanten Bereich sowohl auf den konsequenten Einsatz emissionsgeprüfter Bauprodukte an, als auch auf das notwendige Wissen aller Betei­ligten, vom Planer bis zum Auszubildenden des Bodenlegers oder des Stuckateurs. Dass dies realistisch und gut umsetzbar ist, zeigen zahlreiche erfolgreiche Projekte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Suche nach emissionsgeprüften Produkten ist heute im Übrigen leichter denn je: Die Online-Plattform sentinel bauverzeichnis www.sentinel-bauverzeichnis.eu listet zum Beispiel zum Start mehr als tausend Produkte inklusive Verweise auf deren Nachhaltigkeitszertifikate auf. Weitere Informationsquellen sind z. B. die Listen des eco-Instituts (www.eco-institut.de) mit dem Fokus auf Emissionen oder bei Produkten aus mineralischen oder nachwachsenden Rohstoffen das Verzeichnis von natureplus (www.natureplus.org).

Das Argument Mehrkosten

Darf gesünderes Bauen mehr kosten? „Ja“, sagen 84 % der in der 2. Studie „Gesundes Wohnen“ befragten privaten Bauherren. Mehr als die Hälfte der Befragten würde für ein explizit auf seine gesundheitlichen Eigenschaften geprüftes Produkt Mehrkosten bis zu 10 % akzeptieren, weitere 23 % sogar Mehrkosten bis zu 25 %. Nur für jeden 6. Bauherren oder Modernisierer sind Mehrkosten von unter 5 % akzeptabel. Muss gesünderes Bauen mehr kosten? Nein! Denn ein Blick in das oben genannte Verzeichnis zeigt, dass sich hier marktübliche Produkte finden, deren technische Eignung und Preis-Leistungs-Verhältnis über jeden Zweifel erhaben sind. Fortbildung und die Einbindung der Qualitätssicherung in den Planungs- und Bauprozess verursachen Einmalkosten, die sich über beliebig viele Projekte abschreiben lassen. Bleiben die Kosten für die Zertifizierung in dreistelliger Höhe pro Projekt. Insgesamt liegen die „Gesundheitskosten“ bei
real abgerechneten Projekten im Bereich von 0 bis 2 % der Bausumme. Bleibt die Gegenfrage: Kostet ungesundes Bauen Geld? Im Zweifel lautet auch hier die Antwort „Ja“. Zuerst einmal den Auftraggeber, aber die Kosten für eine verhinderte oder verspätete Nutzung, eventuelle Sanierungen sowie Rechtskosten werden sich Auftraggeber zunehmend von Architekten und Bauunternehmen zurückholen.

Ein Beispiel dafür ist die Stadt Regensburg. Sie verlangt für die Sanierung massiver Formaldehydbelastungen, die beim Neubau der Turnhalle des örtlichen Goethe-Gymnasiums entstanden waren und wegen denen teilweise Schüler mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht werden mus­sten, die Erstattung von Kosten in Höhe von rund 700 000 € vom beauftragten Architekturbüro und dem Generalübernehmer. Die nach langem Hin und Her lokalisierte Quelle der Gesundheitsgefährdung ging im Übrigen von einem Markenprodukt aus.

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