Grün als Klimapuffer
Wohnhaus in Ho Chi Minh Stadt/VN
„Röhrenhäuser“, die sich hinter einer sehr schmalen Front bis zu 50 m in die Tiefe erstrecken, sind wegen der früher nach Fassadenbreite berechneten Steuern vor allem in Vietnams dicht bebauten Innenstädten weit verbreitet. Mit vier Metern Breite und 16 m Länge verfügt das Wohnhaus einer jungen Familie mit Kleinkind und Großmutter in Ho Chi Minh Stadt dagegen über vergleichsweise komfortable Außenabmessungen. Errichtet wurde es auf einem 80 m2 großen Reihenhausgrundstück in einer mit neuen Röhrenhäusern verdichteten Neubausiedlung am nordwestlichen Stadtrand der Millionenmetropole.
Angesichts einer Jahresdurchschnittstemperatur von 27° Celsius und einer Hauptregenzeit zwischen Mai und Oktober ist klar, dass die klimatischen Rahmenbedingen hier jeden Gebäudeentwurf wesentlich mitbestimmen müssten. Wie überall auf der Welt und allen Nachhaltigkeitsdebatten zum Trotz gibt es jedoch auch im Vietnam noch immer unzählige Bauherren, die solche Parameter entweder ignorieren oder mithilfe hermetisch dichter Gebäudehüllen und leistungsstarker Klimaanlagen zu kompensieren versuchen. Gewissermaßen das Gegenteil hiervon hatten eine Vietnamesin und ein Taiwanese, der zeitweise in Toronto lehrt, im Sinn. Sie wollten ein modernes Wohnhaus, das die aus traditionellen Häusern bekannten Möglichkeiten natürlicher Luftzirkulation für ein ganzjährig angenehmes Raumklima nutzt.
Räumliche Vielfalt trotz beengter Verhältnisse
Angesichts der in der gleichen Straße bereits realisierten konventionellen Röhrenhäuser – direkte Nachbarn gibt es derzeit noch nicht – ist sofort klar, dass es sich auch beim „Ha-House“ (benannt nach dem Familiennamen der Frau) um ein viergeschossiges Wohnhaus handelt. Die Grünfassade wirkt zunächst etwas irritierend, weil sich selbst am Abend bei beleuchteten Innenräumen kaum erkennen lässt, wie viele Geschosse sich hinter den unterschiedlich hohen und tiefen, in unregelmäßigen Abständen übereinander gestapelten Pflanztrögen tatsächlich verbergen. Die abstrakte Gleichmäßigkeit lässt zwar auf großzügige Innenräume schließen. Dass räumliche Bezüge selbst bei einem als einfache Betonskelettkonstruktion mit Ziegelwänden ausgeführten Haus dieser Außenabmessungen so vielfältig ausfallen können, zeigt aber erst ein Blick ins Gebäudeinnere.
Durchlässigkeit als Prinzip
Nach Durchqueren eines kleinen Vorbereichs mit Autoabstellplatz gelangt man im Erdgeschoss zunächst in einen mit schmalen Granitstreifen verkleideten Treppenraum. Rechts liegt der Eingang zum Wohnbereich der Großmutter, der sich nach hinten zu einem kleinen, die gesamte Gebäudehöhe einnehmenden Innenhof öffnet; die eichenholzbelegte Treppe führt nach oben in den gemeinsamen Wohn-Koch-Essbereich. Als visuelle Raumbegrenzung erscheinen die zur Straße bzw. zur Rückseite durchlässigen Grünfassaden, während die eigentliche klimatische Abgrenzung zum Außenraum über weiter innen liegende, raumhohe Glasfassaden erfolgt. Im Innenhof führt eine doppelläufige Treppe ins 2.OG in den offenen Schlaf- und Badebereich der Familie. Große Deckenöffnungen nach oben und unten ermöglichen hier die zusätzliche Belichtung und visuelle Verknüpfung der Geschosse, und unterstützen zugleich die interne Luftzirkulation. Ganz oben befinden sich schließlich ein Gästezimmer (das in einigen Jahren als Kinderzimmer dienen soll), ein in vietnamesischen Wohnhäusern üblicher Gebetsraum sowie eine begrünte Dachfläche.
Gestapeltes Grün als Klimapuffer
Angesichts ihrer Größe, ihrer exponierten Lage und ihrer Bepflanzung ist die Dachfläche nur eingeschränkt nutzbar. Dafür übernimmt sie – ebenso wie das begrünte Dach über dem Gästezimmer – die Aufgabe, das Gebäudeinnere gegen hohe Außentemperaturen zu isolieren. Auf eine Dämmung der seitlichen Außenwände wurde ganz verzichtet, weil diese nach Fertigstellung der Siedlung ohnehin durch das Nachbarhaus vor Witterungseinflüssen und Wärmeeinträgen geschützt sein werden. Anders als diese passiven Maßnahmen tragen die Straßen- und Rückfassaden mit ihrer für Südvietnam typischen und mittels Schlauchleitungen bewässerten Bepflanzung zur aktiven Regulierung des Gebäudeklimas bei. Natürlich sorgen sie für ein hohes Maß an Privatsphäre, indem sie die Nachbarbebauung nahezu vollständig ausblenden. Viel wesentlicher sind jedoch zwei weitere Aspekte. Erstens lässt die unter einem Glasdach vertikal durchlässige Luftschicht zwischen straßenseitiger Grün- und Glasfassade einen schmalen Klimapuffer entstehen, der die bei geöffneten Fenstern ins Haus strömende Luft kühlt – auf der Gebäuderückseite übernimmt diese Aufgabe der ebenfalls glasüberdeckte Innenhof. Zweitens dienen die begrünten Fassaden als lebendige Filterschicht, die ein behagliches Kleinklima und angenehme Lichtstimmungen ermöglicht und vor direkter Sonneneinstrahlung, Staub und Regen schützt. Beide Grünfassaden sind zwischen den mit weißer PU-Farbe wasserdicht beschichteten Pflanztrögen nach außen offen, Regenwasser dringt nur bei außerordentlich starkem Wind aus der Hauptwindrichtung (Ost) in den Innenhof ein, wo es im Boden problemlos abfließen kann. Die offenen Grundrisse und durchlässigen Grünfassaden des Ha-House lassen überaus großzügige und vielfältige Innenräume entstehen, die auf bemerkenswert einfache und ästhetische Art und Weise den klimatischen Rahmenbedingungen von Ho Chi Minh Stadt entsprechen.