Beton Brut neu gedacht


Gymnasium, Neustadt an der Waldnaab

Bauten aus den 1970er-Jahren sind oft wenig beliebt, vor allem wenn viel Beton verbaut wurde. In Neustadt an der Waldnaab wurden deshalb Brückner & Brückner Architekten gerufen, um einen ungeliebten Schulbau aus eben dieser Zeit umfassend zu sanieren. Die beiden Architekten erkannten allerdings das Potential, das in diesem besonderen Beton-Brut-Bauwerk steckt und haben es mit viel Feingefühl für seine Entstehungszeit architektonisch in die Gegenwart geholt. Die markante Betonfassade erhielt dabei einige wichtige Ergänzungen.

In Neustadt an der Waldnaab, einer Kreisstadt in der bayrischen Oberpfalz nahe der Grenze zu Tschechien, hat man in den 1960er- und 1970er-Jahren auf einer Lichtung außerhalb des Stadtkerns einige Schulen errichtet, wodurch hier ein ganzes Bildungsareal mit verschiedenen Einrichtungen und Sportflächen entstanden ist. Das prägnanteste Gebäude dort ist ein beeindruckender Beton-Brut-Bau aus dem Jahr 1977, mit großzügigen Grundrissen und viel Außenbezug durch große Fens-terflächen und Split-Level-Bauweise. Die Fassade besteht, ganz im Sinne des Brutalismus, komplett aus Beton und Glas. Der Beton selbst ist grob, mit tiefer Kannelierung aller Oberflächen, wobei gebrochene, dadurch raue, vertikale Profile entstehen. Sämtliche Öffnungen sind mit faschenartigen Auskehlungen umsäumt. So haben die ArchitektInnen von damals ein sehr markantes Stück Architektur geschaffen – das heute, nach rund 40 Jahren, nicht mehr den Ansprüchen an zeitgenössische Schulbauten genügt: gestalterisch vor allem im durch die Ausbaumaterialien teils recht dunklen und kleinteiligen Innenraum sowie in Bezug auf die räumliche Organisation. Auch am Beton der Fassade haben Wind und Wetter deutliche Spuren hinterlassen, weshalb sich die Eigentümer schließlich zu einer umfassenden Generalsanierung entschieden haben.

Hochwertiger Bestand

Mit der Sanierung beauftragt wurden Brückner & Brückner Architekten aus dem nicht weit entfernten Tirschenreuth. Peter Brückner erinnert sich noch gut an die erste Sichtung des Bestandsbaus: „Für die Lehrer und Schüler war das Gebäude ein ungeliebtes Kind mit undichten Dächern, vielen dunklen Räumen und einem zugewachsenen Innenhof. Wir haben jedoch schnell das Potential erkannt, das in diesem Bauwerk schlummert. Dieser Bau hatte es verdient, dass man gut mit ihm weiterarbeitet!“ Zudem zeigte die Bestandsaufnahme, dass die Substanz im Grunde in einem guten Zustand war. So definierten Christian und Peter Brückner ihre Aufgabe als respektvolle, reflektierte und ressourcenschonende Transformation des in die Jahre gekommenen Ensembles in einen energetisch, technisch und funktional zukunftsfähigen Ort des Lernens, der Kommunikation und der Begegnung, aber auch des Rückzugs. Die Grundlage dafür bildete das Bestandsgebäude, das möglichst erhalten und dessen Charakter durch gezielte Eingriffe herausgearbeitet werden sollte.

Neues Eingangstor

Eine erste Maßnahme war der Abbruch eines Klassenzimmertrakts, wodurch ein frontaler Zugang zur Aula geschaffen werden konnte, die bisher nur von der Seite durch einen wenig attraktiven Zugang zu erreichen war. Die eingeschossige, mit einer drückenden Kassettendecke versehene Aula wurde durch einen Teilabbruch des ersten Obergeschosses erweitert und wirkt nun sehr großzügig, beleuchtet durch eine vollflächige Lichtdecke. Wo sich zuvor der Klassenzimmertrakt befand, ist jetzt ein neuer Gebäudeteil vorgesetzt, in dem sich zwei Fluchttreppenhäuser befinden und der deshalb in offener Stahlbauweise konstruiert ist. Er ist als großes Tor gestaltet, das weithin sichtbar den neuen Eingang definiert. Ins Auge sticht das Fassadenmaterial des neuen Eingangstors, mit dem die Architekten einen Gegenpol zur rauen Betonfassade erzeugen: Es besteht aus hochformatig angeordneten Aluminium-Sandwich-Platten, deren Oberfläche die Umgebung wie ein Spiegel reflektiert. Dadurch werden Wald und Himmel, Licht und Schatten sowie Tages- und Jahreszeiten Teil der Fassade und umgekehrt die Schule Teil ihres Kontextes. Dem Gebäude wird durch diese Materialwahl eine gänzlich neue Ansicht verliehen – und gleichzeitig ein Thema entwickelt, das die beiden Architekten am restlichen Gebäude weiterführen. Die neue Eingangssituation wird schließlich durch eine neue, vorgelagerte Treppe noch akzentuiert, die das Ensemble mit den anderen Schulbauten des Areals verbindet.

Runderneuerter Beton Brut

Die Betonoberflächen der Fassade waren durch die jahrzehntelange Einwirkung der Witterung vor allem unansehnlich geworden. Dennoch: Die rund 10 cm dicken Betonfertigteile der vorgehängten, hinterlüfteten Konstruktion wurden damals in hoher Qualität hergestellt, sodass es auch heute noch keine statischen Einschränkungen gab. Aus architektonischer Sicht lag es also nahe, die gestaltprägende Fassade zu erhalten und nur die Oberflächen rundzuerneuern. Peter Brückner erinnert sich gut: „Alle Beteiligten zu überzeugen, die Fassade fast so zu belassen, war nicht ganz einfach. Am Ende ist es uns gelungen, indem wir bei einem gemeinsamen Termin exemplarisch einen kleinen Bereich bearbeitet haben. So konnten wir unsere Vision der bestehenden Fassade zeigen.“ Die Betonfertigteile sollten dabei nicht dampfgestrahlt, sondern abgebürstet werden, wodurch sie ihre hohe Lebendigkeit behielten. Damit konnten außerdem die Kosten für eine neue, doppelt so teure Fassade gespart werden. Um den energetischen Standards gerecht zu werden, wurde an den Innenwänden eine zusätzliche mineralische Dämmung (d = 80 mm) angebracht, außerdem sämtliche Fenster ersetzt.

Die Symphonie der Fassade

Das Thema der Reflexion haben die Architekten an den vertikal kannelierten Fassaden weitergeführt und schmale U-Profile aus dem gleichen spiegelnden Sandwich-Material nach einem orchestrierten Verlegeplan – von den Projektbeteiligten liebevoll „Symphonie“ genannt – eingebracht: am Haupteingang mit der maximalen Verdichtung, an den Seiten aufgelöster und zu den Ecken hin wieder etwas mehr. Dadurch wirkt der massige Betonbau erheblich leichter und nimmt weiter subtil sein Umfeld in sich auf. Die Profile wurden allesamt nach Aufmaß vorgefertigt und vor Ort schließlich in die Kanneluren geschraubt. „An allen Stellen, wo wir Bauteile abgeschnitten oder bearbeitet haben, wurden die reflektierenden Sandwich-Elemente angeordnet“, erläutert Peter Brückner. Deshalb wurden auch die Sockelflächen, die von der bestehenden Verkleidung befreit wurden, mit den Spiegelflächen versehen. Dadurch scheint das Gebäude zu schweben. Für Vögel stellen die vielen Spiegelflächen übrigens keine Gefahr dar, erläutert Peter Brückner, „denn die Verschraubungen erzeugen Dellen und Verzerrungen, wodurch Irritationen entstehen, die von den Vögeln erkannt werden. Außerdem ist die Spiegelung leicht unscharf und die offenen Fugen erzeugen ein deutlich erkennbares Raster.“ Um all das zu gewährleisten, waren von Beginn an NaturschützerInnen involviert.

Neuer Identitätsort

Im Innenraum bestimmen nach der Sanierung helle, freundliche und wertige Materialien die Atmosphäre. Bestehende Oberflächen, deren Anmutung auch heute noch Gültigkeit hat, wurden aufbereitet und in das neue Gestaltungskonzept integriert. So wurden etwa die Natursteinböden abgeschliffen und die Ziegelwände weiß geschlämmt. Neu hinzugekommen sind Holz, Linoleum, Naturstein, Mauerwerk oder Textil. Im bisher nicht genutzten Innenhof ist nun eine mehrgeschossige Biblio­thek mit Vortragsraum und Galerie angeordnet, die von den Architekten als neues Bildungsherz der Schule konzipiert ist. Die Weite der Flure bleibt, sie enden mit einem Blick in die umgebende Natur. Sitznischen in den Wänden erzeugen kleine Kommunikationsbereiche. Dünne Linien im Flurboden markieren den Schwenkbereich der Türen. Die Architekten haben bei der Gestaltung alle Räume hinterfragt und neu gedacht. So öffnen sich jetzt die Klassenzimmer, Lehrerzimmer und das Sekretariat zu den Fluren hin und erlauben Einblicke. Das Projekt hat, laut Architekten, von einem „harmonischen Miteinander aller Beteiligten“ profitiert, wodurch etwa auf eine kostenintensive Containerauslagerung verzichtet und die Schule im laufenden Betrieb saniert werden konnte. Die gesparten Kosten kamen der Ausstattung des Gebäudes zugute. So ist es gelungen, das zuvor ungeliebte Gebäude in einen neuen Identitätsort für Schüler und Lehrer zu transformieren und gleichzeitig einen sinnvollen, zeitgenössischen Umgang mit der brutalistischen Architektur zu finden. Thomas Geuder, Stuttgart

Baudaten

Objekt: Reflexion. Generalsanierung Gymnasium

Standort: Neustadt an der Waldnaab

Typologie: Schule

Bauherr: Landkreis Neustadt a. d. Waldnaab

Nutzer: Gymnasium Neustadt a. d. Waldnaab

Architektur einschl. Außenanlagenplanung  und Innenausbau:

Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth I Würzburg,

www.bruecknerundbrueckner.de

Mitarbeiter (Team): Kristina Kulicke, Architektin; Andrej Maximow; Axel Weidner, Architekt (Projektleitung), Julia Berenz; Veronika Bräuer; Clemens Koller; Do Wan Han, Architekt; Anton Frank; Günter Horn, Architekt; Klaus Lehner, Architekt; Ramona Ohla; Philip Schäffler; Reinhard Schoefl; Ana Valenzuela Romero

Bauleitung: Andrej Maximow und Reinhard Schoefl, Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth I Würzburg; Klaus Lehner, Architekt, Architekturbüro Klaus Lehner, Weiden

Bauzeit BA I: Juni 2017 – Januar 2020

Fachplaner

Tragwerksplaner: Ingenieurbüro Ederer, Bechtsrieth, www.ibederer.de

Heizung/Lüftung/MSR: Gammel Engineering GmbH, Abensberg,

www.gammel.de

Elektro: EAS SYSTEMS GmbH, Neustadt a. d. Waldnaab,

www.eas-systems.de

Brandschutzplaner: DAI Dorn Architekten Ingenieure Gesellschaft Gebäude & Brandschutzplanung

mbH, München, www.daigmbh.de

Bauphysik: Wolfgang Sorge Ingenieurbüro für Bauphysik GmbH & Co. KG, Nürnberg, www.ifbsorge.de

Projektdaten

Grundstücksgröße: aus Bestandsaufmaß ermittelt ca. 71 456 m²

Nutzfläche gesamt: 5 562 m² (nach NF 1–7 nach DIN 277)

Nutzfläche: 6 075 m²

Technikfläche: 478 m²

Verkehrsfläche: 2 540 m²

Brutto-Grundfläche: 11 090 m²

Brutto-Rauminhalt: 44 068 m³

Baukosten BA I und II (nach DIN 276)

KG 200 (brutto): ca. 315 000 €

KG 300 (brutto): ca. 9 Mio. €

KG 400 (brutto): ca. 4,5 Mio. €

KG 500 (brutto): ca. 660 000 €

KG 600 (brutto): ca. 470 000 €

KG 700 (brutto): ca. 3 Mio. €

Gesamt brutto ca. 18 Mio. €

Hauptnutzfläche: 2223 €/m²

Brutto-Rauminhalt 306 €/m³

Energiekonzept

Dach: FPO Dachbahn d = 1,5 mm, ­Gefälledämmung auf Grunddämmung d = min. 120 mm, Bitumenabdichtung d = 5 mm, Stahlbetonrippendecke d = 80 mm

Außenwand: vorgehängte, hinterlüftete Fassadenfertigteile d = ca. 100 mm (Bestand), Außendämmung Mineralwolle d = 40 mm (Bestand), Stahlbeton bzw. Mauerwerkswand d = 400 – 365 mm, kapillaraktive Innendämmung d = 80 mm (neu), Innenputz d = 20 mm

Außenwandsockel: Vorgehängte, hinterlüftete Fassade Alucobond d = 4 mm, Unterkonstruktion aus Fassadenhalter und Hutprofil d = 80 mm, Stahlbetonaußenwand d = 400 mm, kapillaraktive Innendämmung d = 80 mm, Innenputz d = 20 mm

Fenster: Holz-Alufensterelemente, Holzart Eiche, Aluminiumverkleidung außen pulverbeschichtet RAL 7016, 2-Scheiben Wärmeschutz-Isolierglas, Float, Gasfüllung Argon, Gesamtenergiedurchlass ca. 32 %

Brüstung: vorgehängte, hinterlüftete Fassadenfertigteile d = ca. 100 mm (Bestand), Außendämmung Mineralwolle d = 40 mm (Bestand), Brüstungsmauerwerk d = 115 mm, kapillaraktive Innendämmung d = 80 mm auf Brüstung, 30 mm in der Laibung und 50 mm auf Sturz

Boden: Klassenräume: Linoleum/Teppich d = 2,5 mm, Zementestrich d = 55 mm, PE- Folie, Trittschalldämmung PS- Hartschaum 20 mm

Gebäudehülle

U-Wert Außenwand = 0,26 W/(m²K)

U-Wert Bodenplatte = 0,49 W/(m²K)

U-Wert Dach = 0,19 W/(m²K)

Uw-Wert Fenster = 1,6 W/(m²K)

Ug-Wert Verglasung = 1,1 W/(m²K)

Ug-total (mit Sonnenschutz) = 1,3W/(m²K)

Hersteller

Dach: Paul Bauder GmbH & Co.KG, www.bauder.de

Fenster, Pfosten-Riegel-Fassade: (Aula+Treppenhaus): Franz Bietsch Holzverarbeitung, www.bietsch.de

Fassade: 3A Composites GmbH, www.alucobond.com

Sonnenschutz: WAREMA Renkhoff SE, www.warema.de

Türen/Tore: joro türen gmbh,

www.joro.de

Die spiegelnde Fassade des Anbaus entmaterialisiert die Schwere der Betonstruktur der Bestandsfassade. Alt und neu ergänzen sich, das neue kontrastiert und reflektiert den Bestand gleichermaßen. Die Betonfassade wird wertgeschätzt und erhalten, lediglich spiegelnde Streifen ziehen wie ein zarter Schleier das Motiv des Neubaus über den Bestand.«

DBZ HeftpartnerInnen Schellhorn & Heese, Michendorf

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