HOAI Teil 2
Im zweiten Teil unserer SERIE zum Thema HOAI schreiben mit Pablo Molestina und Rainer Hempel zwei Planer aus der Praxis einmal aus Architekten- und aus Ingenieurssicht über ihren Umgang, ihre Sicht allgemein auf die HOAI. Im dritten und letzten Teil soll dann die Sicht von außerhalb Deutschlands das Thema abschließen und rund machen.
Juan Pablo Molestina
Im Bürogebäude von Pablo Molestina Architekten – eine ehemalige Gewerbearchitektur mit Hinterhofcharme im südlichen Köln – stehen wie in wohl allen Architekturbüros dieser Welt Regale. Mit Büchern, Aktenordnern, Modellen und Materialproben, Katalogen und Dingen, die gefunden und abgelegt wurden. Irgendwo dort steht auch eine Taschenbuchausgabe der HOAI. Liegt Staub drauf?
Es gibt das Buch, so Juan Pablo Molestina, Architekt, Professor und Dekan der Peter Behrens School of Architecture in Düsseldorf. Welche Ausgabe das ist und wie abgenutzt, möglicherweise zerfleddert, ist ihm persönlich nicht so wichtig, er selbst schaut eher mal in die online-Versionen der HOAI, die auf der Seite der Architektenkammer beispielsweise bereit stehen. Und wo schon das Stichwort „online“ gefallen ist: Auch die HOAI-Rechner kommen aus dem Netz. Aber Vorsicht: „Hier muss man gründlich vergleichen ...“
Das Büro plant von Beginn an jedes Projekt auf der Grundlage der HOAI. Die eigentliche Abrechnung, so Pablo Molestina im Gespräch, erfolgt auf der Basis eines Vertrags mit dem Bauherrn. „Die HOAI ist für uns ein erster Einstieg. Da kommt es noch gar nicht drauf an, wie exakt das Ganze ist.“ Nützlich ist ihm die Honorarordnung, da sie sehr detailliert ist. Das mindere später mögliche Diskussionen und sorge für mehr Klarheit. Hilfreich sind ihm die Kommentarwerke zur HOAI: „Die sind insofern wichtig, weil es nicht selten vorkommt, dass ein Bauherr einen Abzug vom Honorar machen möchte.“ Es gebe aber solche und solche Kommentare: die, die eher die Interessen des Architekten vertreten und die, die mehr auf das Bauherrninteresse schauen. Hier muss dann ein Mittelweg zwischen den Anspruchsforderungen und deren Abweisung gefunden werden.
Nach Pablo Molestina ist die HOAI in der Zusammenarbeit insbesondere mit Bauherrnanfängern wichtig: „Es gibt nichts, was mehr Misstrauen weckt als der Satz ‚Vertrauen Sie mir!‘ Wenn wir es mit jemandem zu tun haben, der in der Auftragsvergabe unerfahren ist, empfehlen wir einen Projektsteuerer als dritte Instanz. Das wendet den Verdacht ab, wir hätten absichtlich falsch beraten. Das Verfahren ist nicht bloß bei großen Projekten empfehlenswert, das greift schon bei Mehrfamilienhäusern mit 12 Einheiten.“
Eine wesentliche Problemstelle sieht der M.I.T.-Absolvent darin, dass die HOAI trotz aller Detailliertheit ein ganz wesentliches Arbeitsfeld unbeachtet und damit unbezahlt lässt: „Ein großes Problem liegt in der so genannten Leistungsphase 0. Wir sind mit dem Büro sehr engagiert und initiativ eingestellt, sei es bei Wettbewerben oder im innovativen Umgang mit der Problemstellung ganz von Anfang an. Ein Beispiel: Durch einen geschickten städtebaulichen Ansatz kannst du die Dichte und damit die Mehrwertschöpfung aus einem Projekt, einem Grundstück oder den Bebauungsplan insgesamt zum allgemeinen Wohle optimieren. Das allerdings erfordert ein Planungskonzept, das konsensfähig sein muss für die Verwaltung, für die Politik und den Bauherrn. Das zu erarbeiten ist eine Leistung, die viel Feingefühl, viel Erfahrung und Überblick voraussetzt. Aber: Die HOAI sieht bei der städtebaulichen Leistung nur die technische Abwicklung vor! Da partizipieren wir gar nicht, weil wir keine Stadtplaner sind. Jedoch ist die Mehrwertschöpfung durch unsere initiale Leistung, durch unser Querdenken enorm. Das Ausklammern dieser intellektuellen Leistung mindert den Anreiz, Zeit zu investieren und kreativ zum allgemeinen Vorteil aller und im Sinne der Stadt zu denken.“
Für unerfahrene Bauherrn sei die HOAI ein Segen, weil sie hier erkennen können, was sie an welcher Stelle zu welchem Preis vom
Architekten erhalten. Bei professionellen Bauherrn herrsche da eher Zurückhaltung, weil sie meinen, die politisch begründete Honorarordnung sei mit den Marktkräften unvereinbar. Sie glauben, die Architektenleistung ließe sich über Angebot und Nachfrage regeln.
„Irgendwann, normalerweise nach der ersten Kostenberechnung, kann man pauschalieren, das heißt, beide Seiten einigen sich auf ein Honorar, egal wie teuer oder wie günstig am Ende das Projekt wird. Das halte ich für legitim. Der Wunsch nach einer pauschalen Abrechnung wird meist von Seiten der Bauherren an uns herangetragen, da hier meist die Sorge besteht, der Bau könnte am Ende teurer werden als geplant und damit steigt ja auch das Architektenhonorar. Die Pauschalierung liegt aber innerhalb der HOAI-Parameter.
Von unserer Seite löst die Pauschalierung auch das Dilemma auf, dass wenn wir uns beispielsweise im sozialen Wohnungsbau bemühen, die Baukosten zu minimieren, wir für diese wertschöpferische Arbeit am Ende durch ein verringertes Honorar bestraft werden!“
Rainer Hempel
Zunächst möchte ich einige allgemeine Vorbemerkungen zum rechtlichen Rahmen der HOAI machen, die nur im Dreiklang mit dem BGB und der VOB/B gesehen werden kann.
Die HOAI ist eine Bundesverordnung zur Regelung der Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in Deutschland und hat somit annähernd Gesetzescharakter. Sie regelt die Vergütung der Planungsleistungen in den Bereichen der Architektur, der Stadtplanung und des Bauwesens. Die HOAI ist verbindliches Preisrecht für die o. a. Planungsleistungen, die grundsätzlich von jedermann/jederfrau erbracht werden dürfen. Das unterscheidet die HOAI von den Gebühren- und Honorarordnungen anderer Freier Berufe, die nur auf Angehörige definierter Berufsgruppen Anwendung finden, denen die Erbringung definierter Dienstleistungen exklusiv vorbehalten werden.
Der Umfang der Leistungserbringung der ArchitektInnen und IngenieurInnen wird durch einen Werkvertrag zwischen PlanerIn und BauherrIn festgelegt. Die Rechtsgrundlage hierfür bildet das BGB. Durch die werkvertraglichen Regelungen des BGB, verbunden mit den vertraglichen Vereinbarungen der ArchitektInnen oder der IngenieurInnen werden durch die verbindliche Geltung der HOAI auch die entsprechenden Leistungsbilder vereinbart und festgeschrieben. Die ArchitektIn oder die IngenieurIn hat danach treuhänderisch im Sinne der BauherrIn tätig zu werden, indem sie unter Mitwirkung und Abstimmung mit der BauherrIn den Planungsprozess vorantreibt, die Machbarkeit prüft und das Projekt erfolgreich realisiert. Denn in Deutschland schulden wir ArchitektInnen und IngenieurInnen nicht nur das „Mitwirken“, wie in den anderen EU Ländern, sondern „ein mängelfreies Werk“. Diese Zielerreichung erfordert in der Regel das Erbringen mindestens aller neun Grundleistungsphasen und evtl. deren Wiederholungen, bis das geschuldete mängelfreie Werk erstellt wurde. Die Haftung, auch für die mängelfreie Herstellung bis zur Fertigstellung des Gebäudes und über die gesamte Gewährleistungsdauer, liegt in Deutschland, anders als im EU-Ausland, bei den PlanerInnen. Eine weitere Besonderheit, die sich aus dem o. a. Werksvertragsrecht ergibt.
Die Aufgabenverteilungen und das Leistungsspektrum für Architektur- und Ingenieurleistungen sind in vielen EU Ländern ganz anders als in Deutschland geregelt. Häufig beschränkt sich die Planerleis-tung nur auf den vergleichbaren Bereich entsprechend den ersten Leistungsphasen gemäß HOAI. Es wird in der Regel nur im „Vorentwurfsmodus“ gearbeitet (diese unterschiedlichen Tätigkeitsfelder und Anforderungen spiegeln sich auch in den Lehrplänen und -inhalten der Universitäten und Hochschulen im EU-Ausland wider). Die technische Umsetzung und auch die Kostenschätzungen und -ermittlungen werden von Generalunternehmern erbracht, die bei vereinbarten Kosten durch Qualitätsminderungen ihren Gewinn steigern können. Durch Qualitätsminderungen können zwar auch Herstellkos-ten reduziert werden, aber unter den Nachhaltigkeitsaspekten erzeugt Qualität am Ende des Lebenszyklus immer die geringsten Gesamtkosten (alle aufsummierten Kosten über den betrachteten Zeitraum). Die in Deutschland tätige ArchitektIn ist i. d. R. immer noch die GeneralistIn, die als TreuhänderIn der BauherrIn deren Interessen vertritt und auch durch die Bearbeitung der letzten Leistungsphasen der HOAI die Planungsidee gestalterisch, technisch und wirtschaftlich umsetzt.
Der Gesetzgeber zeigt Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein, wenn er den rechtlichen Rahmen für auskömmliche Honorare für Berufsgruppen schafft, die verpflichtet sind, eine qualitätsvolle, sichere und nachhaltig gebaute Umwelt zu schaffen. Der Planerwettbewerb soll somit keinen Preiswettbewerb, sondern einen Qualitätswettbewerb erzeugen. Hiervon profitieren alle.
Nur durch die intensive Bearbeitung und Begleitung des gesamten Planungs- und Bauprozesses durch die ArchitektIn kann Baukultur geschaffen und erhalten werden. Diese intensive Leistung durchgängig auf hohem Niveau zu erbringen, erfordert zumindest ein auskömmliches Honorar. Die Mindestsätze der HOAI stellen wirklich die absolut untersten Grenzwerte dar, um die Unabhängigkeit und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der in Deutschland tätigen PlanerInnen, als InteressenvertreterIn und TreuhänderIn der BauherrIn, im Sinne des Grundsatzes der Trennung von Planung und Bauausführung zu wahren. Die HOAI liefert hierfür den rechtlichen und inhaltlichen Rahmen.
Wenn nun von einer EU-Kommission gefordert wird, dass die Verbindlichkeit der HOAI abgeschafft werden soll, weil sie eine Verletzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie darstellt, dann ist das nicht zu verstehen. Die Leistungsbilder und die Verantwortungen deutscher ArchitektInnen und IngenieurInnen sind so verschieden von denen der Kollegen in den anderen EU-Ländern, dass auch die Honorierung entsprechend angepasst sein muss. Die Niederlassungsfreiheit und die arbeitsrechtlichen Möglichkeiten bleiben hiervon unberührt.