Headquarter Le Monde, Paris/FR
Wie kann der neue Firmensitz des französischen Zeitungskonzerns Le Monde sich von einem städtischen Umfeld abheben, das aus einer monotonen Bürolandschaft aus den 1990er-Jahren besteht, um symbolisch ein starkes und attraktives Zeichen zu setzen? Dies war das Anliegen des Direktors des Medienkonzerns, als er einige ausgewählte Architekten zum Wettbewerb einlud. Gewonnen hat diesen Wettbewerb das norwegische Büro Snøhetta, das einen dynamisch geschwungenen Monolithen entwarf.
Um mit der für Bürobauten typischen Fassadenstruktur – dunkle Sonnenschutzverglasungen mit Blechabdeckungen im Bereich der Geschossdecken – zu brechen, schlug Snøhetta einen skulpturalen Baukörper mit einer einheitlichen Fassade vor. Durch deren mosaikhafte Gestaltung entsteht ein abwechslungsreiches Bild, das sich je nach Sonneneinstrahlung unentwegt verändert. Auf diese Weise sollte Lebendigkeit produziert werden, in einem Stadtteil, der trotz bester Lage bisher vollkommen vernachlässigt wurde. Zwischen der Seine und der Gare d’Austerlitz gelegen, wird dieses Quartier im Zuge eines groß angelegten Umbaus des Bahnhofareals aufgewertet. Ein Prozess, zu dem das neue Le Monde-Gebäude beiträgt, indem es der eintönigen Stadtlandschaft nicht nur ein neues Antlitz verleiht, sondern auch einen öffentlichen Platz bietet, der diverse Nutzergruppen anzieht. Er ist zwar in erster Linie der Eingangsbereich für die Mitarbeiter des Zeitungskonzerns, die leichte Schräglage und die diversen Steinbänke sind aber auch für Skater und Tangotänzer attraktiv. Das Besondere an diesem Platz ist, dass er in einem weiten Bogen vom Gebäude überdacht wird und somit eine wunderbare Akustik bietet und vor Regen schützt.
Gebäudeform und Konstruktion
Der Monolith besteht nämlich aus einer komplexen Brückenkonstruktion, da die Gleisüberplattung nur eine punktuelle Bebauung zuließ, auf zwei voneinander getrennten Parzellen. Der Direktor von Le Monde wollte aber den zu seinem Konzern gehörenden Zeitungen und Zeitschriften ein zusammenhängendes Gebäude bieten, um die Kommunikation zu erleichtern. Snøhetta schlug eine Überbrückung vor, die beide Parzellen mit einem eleganten Monoblock verbindet, der von sphärischen und zylindrischen Einschnitten in skulpturaler Art und Weise „ausgehöhlt“ ist. So scheint die Frontfassade aus Glas eine virtuelle, riesige Kugel zu umfassen, eine Metapher für Le Monde – die Welt? „Dies ist ein unbewusstes Raumerlebnis“, so Kjetil Trædal Thorsen, Partner von Snøhetta, „das uns wie ein Trichtereffekt anzieht.“ In der Untersicht der Brückenkonstruktion kommt ein weiteres Kugelsegment zum Vorschein, das von einem flachen, einen weiten Bogen spannenden Zylinder geschnitten wird. Somit wird ein Blick in Richtung Bahnhof geöffnet und Mobilität räumlich in Szene gesetzt. Die Untersicht wurde aus Spritzbeton hergestellt, der auf drei- bzw. zweidimensional gekrümmte Stahlrahmen aufgetragen wurde. Die kleinen, in die raue Oberfläche integrierten Leuchten, verleihen dem Platz ein glitzerndes Licht.
Glas für eine bewegte Fassade
Auch die Glasfassade hat etwas Glitzerndes an sich und suggeriert durch Repetition und Variation eine eigene, nach außen strahlende Welt. Sie ist aus unzähligen schmalen, horizontalen Glasplatten zusammengesetzt, die es ermöglichen, dem Baukörper das gewünschte einheitliche Bild zu verleihen – wie ein Glitzerkleid, das sich Dank der feingliedrigen Auflösung an die Kurven schmiegt.
Konkret wird dies bewerkstelligt durch viele kleine Tricks: Um die Tektonik der Deckenplatten vollkommen zu vertuschen, wurde eine Bekleidung – im Semper’schen Sinne – in Form einer Doppelfassade gewählt. Die Innenhaut ist mit einer geschoßhohen Verglasung ausgestattet, die sich abwechselnd aus einer Fixverglasung und einem schwenkbaren Lüftungsflügel zusammensetzt, der zum Reinigen drehbar ist. Dies ermöglicht eine Komfortlüftung, zusätzlich zur automatischen Belüftung. Da es im Zwischenraum außenliegende Rollstoren gibt, braucht die innere Doppelverglasung keinen Sonnenschutzfaktor, wodurch das Glas hell ist (ohne Grün-, Blau- oder Graustich).
„Die davorgesetzte Außenhaut besteht aus horizontalen Verbundglasplatten (37 x 135 cm), die hier „Mother-Plates“ genannt werden, weil sie als Träger anderer Gläser fungieren, die mit einem Film aufgeklebt sind: entweder ganz, halb oder auch nur zu einem Viertel, wodurch eine pixelhafte Wirkung mit großer Differenziertheit entsteht“, so Philippe Ardisson, Projektleiter des technischen Planungsbüros Arcora. Diese im Handel erhältlichen Deckgläser weisen verschiedene Texturen auf: mit großen oder keinen Punkten bedruckt oder mit mittelgroßen Quadraten streuen sie das Licht mehr oder weniger oder erzeugen einen milchigen Eindruck; manche haben eine gerippelte Oberfläche, wie es in den 1970er-Jahren bei Badezimmern modisch war. Von innen her gesehen gibt es opakere und transparentere Flächen, je nach Lage: beim Sitzen und Stehen sind die Gläser am durchsichtigsten und bieten einen wunderbaren Ausblick auf die Seine oder das weite Bahnhofsareal. So konnte mit relativ geringen finanziellen Mitteln das Rohmaterial Glas beschafft werden; sehr aufwendig war hingegen das Zusammensetzen der Gläser, denn das musste manuell erfolgen. Kjetil Trædal Thorsen betont diesen Schritt als „Möglichkeit, wieder Handarbeit einzuführen, als Kontrast zur maschinellen Produktionsweise der heutigen Welt.“ Die Glashalterungen, die aus einfachen, gebogenen Edelstahldrahtbügeln bestehen und mit Neoprenschläuchen ummantelt sind zum Schutz der ausgefrästen Gläser, sind eine kostengünstige, aus dem Industriebau stammende Lösung. „So konnte die durch die Handarbeit entstanden Kosten wieder etwas eingedämmt werden“, erläutert Thorsen.
Eine moderne „Retro“-Fassade? In vielerlei Hinsicht, ja: Doppelfassaden wurden schließlich bereits Ende der 1990er-Jahre in Frage gestellt, weil das ursprüngliche Argument, Wärme zu gewinnen, mit der zunehmenden Abwärme von Computern in mittleren Breitengraden nicht nötig ist; das Problem ist eher die Kühlung und das wird mit dem Klimawandel immer größer. Dazu kommt die Problematik der Reinigung, weil vier Glas-oberflächen manuell geputzt werden müssen. Die feingliedrigen Platten und deren abwechselnden Rücksprünge erleichtern diese Aufgabe nicht. So muss wohl bei jedem Bau abgewogen werden, wo die Prioritäten zwischen Ästhetik, Kosten und Klima liegen. Letzteres wurde allerdings bei dieser Fassade in den Griff bekommen, denn die nötige Kaminwirkung ist von der einströmenden Luftmenge abhängig; diese wird durch die 27mm großen Abstände zwischen den Glasplatten und deren um 40 mm versetzten Rücksprünge genügend gewährt. Überdies entsteht dadurch ein lebendiges, mosaikartiges Antlitz. So scheinen Ästhetik und Technik einen gemeinsamen Weg gefunden zu haben im komplexen Dschungel von Normen, Kosten, technischen Anforderungen und ästhetisch-symbolischen Visionen. Susanne Stacher, Paris/FR
Sicherlich ist die konstruktiv bedingte Brückenkonstruktion ein wesentliches Merkmal des Gebäudes. Die Ergänzung mit einer leichten, hellen und kleinteilig gepixelten Hülle aus vorgehängten Glastafeln macht es zu einem signifikanten Stadtbaustein.«
DBZ Heftpartner hammeskrause architekten, Stuttgart
Baudaten
Objekt: Headquarter
Le Monde
Standort: 67 Avenue Pierre Mendés-France, Paris
Typologie: Bürogebäude
Bauherr: Le Monde Group
Architektur: Snøhetta, Oslo/NOR,
www.snohetta.com
Partnerbüro: SRA Architectes, Châtillon/FR,
www.sra-architectes.com
Bauzeit: 2017 – 2020
Fachplaner
Fassadenplanung: Arcora, Paris/FR, www.arcora.com
Tragwerksplanung Wettbewerb: B+G Ingenieure Bollinger und Grohmann GmbH, Frankfurt a.M.,
www.bollinger-
grohmann.com
Tragwerksplaner: Khephren Ingeniére, Paris/FR, www.khephren.fr
Brandschutz: CSD & Associés, Paris/FR,
www.csd-associes.com
Gebäudetechnik,
Aufzüge: Barbanel, Bagneux Cedex/FR,
www.barbanel.fr
Projektdaten
Gesamtfläche: 22 933 m²