Komplette Fluidität

HoILA Campus Second Home, Los Angeles/USA

„Second Home“ ist ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell und mit den Architekturen von Selgascano in London, Lissabon und jetzt Los Angeles, ein Blick auf die Erwartungen der kommenden Generation
(kopf-)arbeitender Menschen. Vernetzte, durchlässige Strukturen, Wandlungsfähigkeit durch Lowtec (Architektur) mit Hightec-Ausstattung (digitale Infrastruktur) … Räume lösen sich auf, Architektur insgesamt verändert sich. Dass das in LA/Hollywood geschieht, mag ein Zeichen sein.

„Second Home“ klingt irgendwie wie „Second Live“, also als wäre der Ort, an dem gearbeitet wird, eine andere, eben die zweite Lebenswelt. „Second Home“ ist allerdings zuerst ein Unternehmen mit Sitz in London. 2014 von Rohan Silva, Samuel Aldenton und Robin Klein gegründet, hat es sich auf die Erfindung und Realisierung sowie den Betrieb von neuen Arbeitswelten spezialisiert. Zuerst in London, dann Lissabon, jetzt in Los Angeles. Begleitet und inspiriert von dem spanischen Büro Selgascano, das zuletzt hier in Europa mit seinem Entwurf des Londoner Serpentine Pavilion auf sich aufmerksam machte. Den Pavillon hat „Second Home“ aktuell in LA aufgebaut und wird ihn bis 2024 nutzen.

„Second Home“ setzt auf die Jungen (und die Alten, die noch einmal jung sein wollen). Themen ihrer Arbeitswelten sind Flexibilität, digitales Vernetztsein, aber auch die Begegnung, der reale Austausch mit einem wirklichen Gegenüber. Wi-Fi, 5G, Cloud-Computing, plug and work, Avatar-Meetings oder einfach nur das kreative Fürsich-Sein in einem eigenen Raum für ausreichend lange Zeit sind Stichworte. Dazu kommen Café-Bars, Restaurants, informelle Orte, Draußen-Plätze und ein kleines Kulturprogramm, das Fortbildungscharakter haben kann, aber auch einfach nur Spaß machen soll.

Irgendwie ist das alles nicht neu; die Italiener von Superstudio, vor allem aber Yona Friedman haben das schon in den 1950er-Jahren vorausgedacht, mit seiner „La Ville Spatiale“ für die kommenden Arbeiternomaden. Seine „Meuble Plus“-Idee bricht mit dem Diktum, Arbeit müsse im Büro am Schreibtisch stattfinden (s. Interview mit Yona Friedman in DBZ 01|2019). Aber wurde das jemals konsequent und in großem Maßstab umgesetzt?

Mitten in Hollywood

Nun also hat sich das Unternehmen für seinen dritten Workspace-Standort den hippsten Arbeitsort der Welt ausgesucht: Hollywood;  keine 100 m entfernt vom Sunset Boulevard, fußläufig zum Walk of Fame. Als Nachbar vieler Filmstudios, aber auch zahlreicher öder Brachen, wilder Parkplätze und schummeriger Parkhäuser, Kirchen aller Konfessionen, Imbisse oder heruntergekommener Geschosswohnungsbauten, liegt der „HoILA Campus Second Home“ mitten im sich endlos dehnenden Stadtkörper LA. Über Buslinien, aber auch die B-Line (ehemals Red-Line), an den Stadtraum angebunden, werden die meisten der Büroraum-MieterInnen sich aber mit dem Auto bewegen; der „Hollywood Freeway“ zieht knapp unterhalb des Geländes von Süden aus gen Norden. „Exit Hollywood“ heisst die nächstliegende Abfahrt. Die mit dem Auto Anreisenden finden ihren Stellplatz in einer Tiefgarage unterhalb des weitläufigen, großartigen Gartens, der auf einer ehemaligen Brache mit den Neubauten zusammen detailliert durchgeplant entstanden ist.

Der Ort, den die ArchitektInnen von Selgascano gestalten konnten, wird durch eine Villa des in LA geborenen Paul Williams geprägt sowie durch eine anonyme Büroarchitektur mit Tiefgarage. Der unter Schutz stehende Bau von 1964 des Afro-Amerikaners blieb erhalten, wurde allerdings innen ausgeräumt und neu gestaltet. Der Bürobau gegenüber wurde abgerissen. Auf der erhaltenen Tiefgarage, die statisch leicht ertüchtigt werden musste, wurden dann die 60 leicht ovalen Arbeitsräume so aufgebaut, dass zwischen ihnen noch schmale Fußpfade, kleine Plätz mit Bänken und 6 500 Pflanzen Platz haben. Die 60 Einheiten sind als jeweils drei unterschiedlich große Typen  realisiert, insgesamt bietet der Campus Arbeitsplätze für rund 1 200 Menschen.

Neues Arbeiten

Das Konzept „andere Arbeitswelt“ ist schnell beschrieben, es fußt auf flexiblen Zeitabschnitten, Co- und Net-Working, Desk-Sharing und Kommunikation, Kommunikation und nochmals Kommunikation. Formelle und besonders informelle. Und fußt auf der Idee, der Arbeitsplatz solle auch ein Zuhause sein, also irgendwie der Normalzustand. Aber dazu später.

Der zentrale Zugang zum Arbeitscampus liegt in der Williams-Villa, hier sind der 24-Stunden-Empfang, Haus- und Postdienste, Kinderbetreuung sowie das Café und ein großer Veranstaltungsraum untergebracht. Räume für die Technik, für Verwaltung und eben die Büroräume – fast ausschließlich als Glasboxen ausgeführt – sind hier auf zwei Ebenen organisiert. Der Patio wurde neu bepflanzt, er arbeitet als Erweiterungsfläche des Cafés wie des gegenüberliegenden großen Saals. Natürlich kann man hier unter freiem Himmel entspannen, zugleich aber auch konzentriert arbeiten.

Die Pavillonlandschaft im Park wird über die Bürozonen um den Patio selbst erschlossen, damit werden die Gartenarbeitsplätze Teil der gesamten Arbeitswelt. Sehen und Gesehenwerden. Ines Olavarrieta, Büro Selgascano, betont den zentral stehenden Gedanken des EntwerferInnenteams, ein ökologisch nachhaltiges und, wie sie es nennen, „biophiles Design“ umzusetzen. Mit letzterem sind nicht bloß die Menge an Grünpflanzen gemeint, die in einer eigenen Planung durch einen Landschaftsgärtner auf die Fläche und auch ins Innere geholt wurden. Sie meint damit auch das Biomorphe der Grundrisse, der Erschließungen, der Möblierung und der Raumlandschaft insgesamt: „Wir wollten mit dem Campus eine durchgängige visuelle aber auch physische Fluidität erreichen“, denn das Fließen der Räume erleichtere den Fluss der Kreativität. Dass das alles „mit maximaler Wirtschaftlichkeit“ gedacht sei, sieht man an vielen Stellen: offene Leitungsführung, sichtbare Verschraubungen, Teppichböden, deren Schnittkanten offen bleiben etc.

Das fließende Arbeiten im frei fließenden, sich schlängelnden Raum sollen die Pavillons unterstützen. Sie setzen – wie schon die Innenräume – auf höchste Transparenz. Allerdings ist das Acrylglas-360-Grad-Panorama dort begrenzt, wo der Pflanzenbewuchs dicht wird; manchen reicht sicher auch der Blick bis in den benachbarten Arbeitsraum. Nachts – ja, hier wird auch nachts gearbeitet – dringt das Licht weiter entfernterer Arbeitsboxen dann in die eigene; ein schönes Signal dafür, dass man nicht allein ist mit seinem Tun. Selgascano möchte Räume generieren, in denen sich die Architektur in eine wohnliche Atmosphäre auflöst. Der Bauherr wünschte sich „ein Büro wie ein Haus ... oder war es ein Haus wie ein Büro?“ erinnert sich Ines Olavarrieta. Sie hätten in Los Angeles mit ihren Arbeitsboxen im Park die „gesündesten Arbeitsräume der Stadt“ geschaffen, mit Kinderbetreuung vor Ort, Gemeinschaftsdiensten, Vollzeit-Rezeption und Sicherheitsdienst, superschnellem WLAN, mit privaten Tagungs- und Pausenräumen, kostenlosem Bio-Kaffee und -Tee und Entertainment.

Alles ist sehr dicht, jeder Raum zwischen den Räumen wird für etwas genutzt. Es galt, nichts zu verschwenden, keine Fläche übrig zu haben, die nicht für etwas verwendet wird, auf der jemand nicht sitzen und arbeiten, reden oder sich entspannen kann. Die Studios im Altbau für hochflexibles Arbeiten rund um die Uhr werden in unterschiedlichen Größen angeboten: So gibt es welche für nur einen Arbeitsplatz bis hin zu einem großen Gemeinschaftsbereich für maximal 60 Personen. Die Garten-Studios sind für vier, neun oder 13 Menschen geeignet. Die Kombination weniger Bau-Elemente der drei Grundtypen S, M und L schafft acht verschieden große, modulare Räume. Ein vierter Typ ist eine Toilette mit eigenem Layout.

Die Verglasung der Garten-Studios besteht aus gebogenem Acryl (R-Cast® Acryl) in einer Kombination von fünf verschiedenen Biegeradien. Die Plattenstärke beträgt 20 mm, der U-Wert (W/m2 K) = 3 entspricht einer Standard-Doppelverglasung. In jedem Garten-Studio ist ein der Innenwand folgender, durchgehender Schreibtisch mit Blick auf den Garten vorhanden. Seine Oberfläche besteht aus Acrylstein (Corian®), das auch den zentralen Tisch für kleine Besprechungen deckt. Jeder Arbeitsplatz hat ein Mindestmaß von 700 mm Tiefe und 1 400 mm Breite, ist mit einer Schreibtischsteckdose (USB + vier Steckdosen) und einem Howe Stuhl 40/4 (gepolstert) ausgestattet. Von jedem Arbeitsplatz aus besteht Zugang zu Highspeed-WLAN, zur Klimaanlage, Heizung und dem Luftrecycling-System.

Die offene Raumstruktur, gebildet durch ein einfaches, geschweißtes Stahlträgersystem, auf dem eine mittels Folie geschützte Brettsperrholzplatte liegt, zeigt die marginale technische Gebäudeausrüstung offen unter der Decke geführt.

Fazit

Der Büroarbeitsplatz = mein zweites Zuhause? Was manchen (Alten) ein leises Unbehagen verursacht, ist den meisten (Jungen) längst zur Anforderung für die Jobwahl geworden: Man möchte nicht mehr nur am Schreibtisch sitzen und Arbeit von 8 bis 16 Uhr leisten, man möchte dann arbeiten, wenn Zeit ist, wenn Platz ist, das WLAN ausreichend schnell und die Kolleg­Innen auf Abstand oder ganz nah sind. Man möchte auch am Wochenende oder nachts arbeiten oder dann, wenn die größte Energie für neue Projekte da ist.

Tatsächlich erscheinen einem dann die hierzulande immer noch bestellten und gelieferten Arbeitsburgen wie Dinosaurier, denn tatsächlich macht es „Second Home“ mit dem Campus in LA vor: Es geht nicht um Eindruck, es geht um Funktion, technische Grundausstattung und vor allem um die Gemeinschaft, das Team. Und das alles sollte so schnell zur Verfügung stehen können, wie es veränderbar sein muss. Denn das scheint klar: Die Art des Arbeitens bestimmt die Architektur. Da wir aber noch nicht genau wissen, wie wir in fünf Jahren arbeiten, brauchen wir keine flexiblen Grundrisse, wir brauchen flexible Architekturen aus nachhaltigen Materialien, an welchen Orten auch immer. Das gab es alles schon? Die Vision ja, das Gebaute zunächst nur in Projekten wie diesem hier, ab jetzt auch in Hollywood. Be. K.

Dieses Projekt ist eine faszinierende Re-Interpretation der ‚Bürolandschaft‘: Die ArchitektInnen bringen nicht die Natur in das Büro, sondern das Büro in die Natur. Dieses organische und demokratische Arbeitsdorf imaginiert auch ein inspirierendes post-pandemisches Arbeitsmodell: eine dezentralisierte Gemeinschaft von Homeoffice-Modulen mit durchgehender Transparenz und direktem Bezug zum Grünraum.« DBZ Heftpartner HENN, Berlin

Baudaten

Objekt: HoILA Campus Second Home

Standort: 1370 N St. Andrew‘s Place, Los Angeles, CA/USA

Typologie: Arbeitswelt

Bauherr: Second Home Ltf. London/GB,

www.secondhome.io

Nutzer: Verschiedene

Architektur: Selgascano, Madrid, José Selgas, Lucía Cano

MitarbeiterInnen: Diego Cano-Lasso, María Levene, Inés Olavarrieta, Paolo Tringali, Sixto Cordero, Víctor Jiménez, Sara Ouass, Pilar Cano-Lasso, Catalina Vázquez, Juan José Muñoz Muñoz, Julian Ocampo, Juan Saez Pedraja

Konstruktion: CLT, Beton und Stahl

Bauzeit: 2017–2019

Fachplaner

Tragwerk: Walter P. Moore

Interior Design: Selgascano

Landschaftsplanung: Selgascano / Second Home

Projektdaten

Grundstück: 8 450 m²

Überbaute Fläche: 3 750 m²

Fläche Brutto: 6 270 m²

Baukosten: 18 Mio. €

Hersteller

CLT: Structurlam (Kanada), www.structurlam.com

Gelbe Dachfolie: Sika, www.sika.com

Türen und Fenster: Talleres Cejuela (Spanien),

www.cejuela.com

Gebogenes Acryl: Piedmont Plastics (USA)

www.piedmontplastics.com

Bodenbelag innen: Korte (Lettland), www.korte.lv

Bodenbelag außen: Loga Woodwork (USA),

www.logacarpinteria.com

Grünanlagen: Fresno Landscapes (USA)

www.fresnolandscapes.net

Stühle/Sofas etc.: Modernica (USA),

www.modernica.net; Howe (UK), www.howe.com/de; Sillas Acapulco CDMX (Mexico), www.sillaacapulco.com

Leuchten: Doctor Cato (Spanien),

www.doctorcato.com

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