Yona Friedman (1923–2020)

Yona Friedman ist im Alter von 96 Jahren gestorben. Fast ein Jahrhundert, voll von Erlebnissen. Wir hatten ihn 2018 in seiner Wohnung in Paris besucht.

Yona Friedman verstarb am 21. Februar 2020 in seiner Pariser Wohnung am Boulevard Garibaldi, er wurde 96 Jahre alt. Als wir ihn Ende 2018 in seiner Wohnung besuchen durften – wegen eines Interviews für die Januar-Ausgabe der DBZ mit dem Thema „Zukunft des Bauens“ –, waren wir sehr gespannt, wie wohl der damals schon 95-jährige uns empfangen würde. Tatsächlich hatten wir uns kaum Chancen auf ein persönliches Treffen ausgerechnet, doch die Einladung kam schnell, das rund zweistündige Treffen war umkompliziert und beinahe familiär. Und trotz des Alters und mancher Projekte, die der Architekt und Visionär noch vor sich sah, sei er „sehr froh, immer noch von vielen besucht zu werden und mit ihnen meine Ideen teilen zu können und ihre Ideen aufzunehmen.“

Geboren als Janos Antal Friedman am 5. Juni 1923 in Budapest musste er von dort mit der Familie in den frühen 1940er-Jahren als jüdischer Bürger nach Palästina/Israel fliehen. Dort studierte er an der Palatin-Josef-Universität für Technik und Wirtschaftswissenschaften und schloss sein Architekturstudium bei Konrad Wachsmann in Haifa ab. Nach Arbeitsjahren im Kibbutz Kfar Glikson in Palästina, dann in Haifa, ging er 1957 auf Einladung von Jean Prouvé nach Paris. 1966 erhielt er die französische Staatsbürgerschaft.

Friedman lehrte an den verschiedensten internationalen Universitäten, unter anderem am Massachusetts Institute of Technology MIT, an der Columbia University, an der Harvard University sowie an der Princeton University. Darüber hinaus war er Berater der Vereinten Nationen und der UNESCO in Sachen Stadtplanung und -entwicklung. In diesem Zusammenhang sind auch seine Forschungen zu einer Theorie der mobilen Architektur zu sehen, die ihren ersten Niederschlag 1957 in der Gründung der Groupe d’Études d’Architecture Mobile (GEAM) fand. Mit der Erfindung der „Ville Spatiale“, der Raumstadt, legte er in gleicher Zeit die Basis für die rund 30 Jahre dauernde Auseinandersetzung mit Arbeiten zu jedweden (stadt-)räumlichen Modellen. In den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren war er – insbesonderer aus heutiger Forschersicht – eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der internationalen Architektur der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Und man kann sagen, dass er dabei in einer Reihe steht mit Architekten wie Frei Otto, Christopher Alexander, der Gruppe von Archigram oder Alison und Peter Smithson.

Doch anders als die vorgenannten besitzt Yona Friedman, der Frei Otto in Deutschland kennengelernt hatte, dieser „Architekt der Ideen“, Kultstatus. Was an seiner unakademischen, aber sehr gebildeten Art lag, an seinen Arbeiten, die keine Architektur sein wollten, aber Statements zur Architektur. Seine wenigen Bücher sind bis heute einflussreich im Lehrdiskurs, seine zahllosen Zeitschriftenartikel sind ebenso präsent wie – auch im Verborgenen – wirksam. Wie er selbst als Person bis zum Schluss präsent war, so mit seiner Arbeit zum Serpentine Pavilion in London oder auch mit seinem Musée sans Bâtiment („Museum ohne Haus“), das er mit einer Künstlergruppe als temporäre Skulptur im Pariser Stadtteil Patin realisierte.

Bekannt geworden ist der Architekt ohne gebautes Werk durch seine theoretischen Stadtmodelle, die u. a. als „Ville Spatiale“ einen prothetischen Freespace darstellen. Hier hat Friedman die deutlich populäreren Bewegungen der Archigrams, der Metabolisten oder der heute so angesagten Büros à la Bjarke Ingels Group BIG zu ihren Bildern und ihrem Umgang mit Stadtraum beeinflusst.

Unser Zweifeln im November 2018, ob er überhaupt noch sprechen möchte, zerschlug sich in der ersten Minute. Als wir ihn in seiner mit Kunstgegenständen, Architekturmodellen, Fotografien, Apparaten, Schriftwechsel, Büchern, Zeitschriften, Manuskripten, Zeichnungen und unzähligen bunten und immer in Mythologien verhafteten Artefakten vollgestopften Pariser Wohnung besuchen durften, war sehr schnell klar: Der Mann will immer noch reden. Natürlich am liebsten über die Zukunft der Architektur: „Ich glaube voraussehen zu können“, so Friedman damals, „dass wir in Zukunft den gegenwärtigen Mainstream verlassen werden.“ Er dachte sich mobile Einheiten, die in Gerüste implementiert werden können, die von Architekten bereitgestellt werden. Oder sind es Ingenieure? Die Nutzer haben ihre Räume wie eine Schnecke immer bei sich, können mit den Räumen, die sie selbst gestaltet haben, durch die Welt ziehen.

Unterstützt werden wir Nutzer dabei von einer „Cloud Infrastructure“, die unsere heutigen, großen und weitläufigen Netzwerke ersetzen. Architektur wird sozial, „weil jeder damit umgehen kann. Menschen bauen ihre Möbel selbst zusammen. Also können sie auch die Planung übernehmen.“

Die Menschen sollten wieder von zuhause arbeiten können. Friedman brachte hier den Begriff der „disperse city“: Menschen können in diesen Strukturen Natur erleben, sich in ihr bewegen, ohne sie zu zerstören. Am Ende des langen Gesprächs brachte Yona Friedman sein eigenes Denken und die Rezeption seines Denkens auf den Punkt: „Häufig fragen mich Studenten: Was machen Architekten? Vielleicht können Architekten zu Künstlern werden, zu Bildhauern der Leere. Nicht um das Material zu formen, sondern die Leere. Vielleicht ist Pop-Architektur möglich, vielleicht ist Architektur wie Pop-Art.“ Tatsächlich wurde der Architekt in den letzten Jahrzehnten eher von Theoretikern, aber auch von Künstlern rezipiert. Ein Fehler, eine Einschränkung, denn das, was Friedman in seinem langen Leben gedacht und entwickelt hat, hat für die Zeit heute mehr und mehr Bedeutung: „Ich bin optimistisch. Nicht, wenn ich an die nahe Zukunft denke. Aber in welchen Segmenten sollen wir denken? In Jahrzehnten? Jahrhunderten? Ein Jahrhundert ist eine verdammt kurze Zeit. Ich selbst bin fast ein Jahrhundert alt! Aber die Dinge verändern sich, viel zu langsam. Haben wir noch Zeit?“ Seine Zeit ist abgelaufen. Wir sollten nutzen, was uns noch bleibt! Be. K.

www.yonafriedman.nl
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