Der Bestand hat Freiheiten erlaubt

Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin

Die Vorgeschichte der Planung des Neubaus der „Ernst Busch“ ist wesentlich länger als die Geschichte seiner Realisierung. Ein „Lehrstück in 9 Akten“ nennt das ein Autor in einer Monografie, die zur Eröffnung der Hochschule für Schauspielkunst publiziert wurde. Das verweist auf Brecht und darauf, dass man (die Politik) etwas lernen könnte, wenn man wachen Auges hinschaute.

Es ging in dieser Geschichte um die Zusammenlegung der Standorte, auf welche die renommierte Berliner Schauspielschule verteilt war. Es ging also auch ums Geld. Sanierung? Umzüge? Und wenn Umzüge: wohin? Zweimal stoppte das Projekt nach seinem Start 2006 komplett. Zuletzt machten die StudentInnen Druck und besetzten die ehemaligen Opernwerkstätten an der Zinnowitzer Straße, dem heutigen Standort. Im Februar 2011 gewannen Ortner & Ortner Baukunst den für diesen Ort schließlich ausgelobten, zweiphasigen Wettbewerb. 2014 wurde mit den Bauarbeiten begonnen, Ende 2018 wurde der Neubau übergeben. Und der steht nach einem Jahr immer noch mitten in Bodenbauarbeiten ringsum, was zu teils absurden Wahrnehmungen führt.

Bestandsgebäude erhalten. Und ergänzen

Beim Rundgang durch die HfS Ernst Busch mit Roland Duda, Partner bei O&O Baukunst, erläutert dieser, dass das Büro damals im Wettbewerb als wohl einziges das Bestandsgebäude vollständig erhalten hatte: „Der Bestand wurde von den anderen sehr stark überformt, mit großen Gesten. Wir waren – glaube ich – die einzigen, die gesagt haben, wir lassen das hier so, wie es ist.“ Nicht unbedingt aus Respekt vor einer in der Vergangenheit liegenden gestalterischen Leistung, eher aus einem Pragmatismus heraus, der am Ende zu gekonnten gestalterischen Aspekten und in gewisser Weise auch zu dem Lehrstoff beigesteuert hat, aus dem sich jeder öffentliche, gerne auch jeder private Bauherr großzügig bedienen sollte. Man wollte damals das machen, was notwendig war und „und den Rest lässt du, wie er ist.“ (Roland Duda) Klingt einfach, musste aber von allen Beteiligten verstanden werden. Den Handwerkern nicht zuletzt, aber davon später mehr.

Der Bestand – die ehemaligen Werkstätten (Kostüme, Kulissen etc.) und der etwa gleichhohe, rektangulär anschließende Bürotrakt – wurden um zwei Baukörper ergänzt. Einmal um den Bühnenturm und eine eingeschosshohe Kiste hinter weißem Lochblech, in der die Caféteria untergebracht ist. Das diese beiden Hinzufügungen verbindende Entrée ist der Rest des sich eigentlich bis zur heutigen Haupteingangsfassade ziehenden Werkstättenbaus, der hier oberhalb der Originaldecke im Entrée um eine Fensterachse gekürzt wurde. Entrée und Caféteria dienen als Lobby, in welcher in den Pausen oder nach einer Aufführung die Gäste das Theaterbesucherübliche tun.

Der 24 m hochragende Bühnenturm mit zwei Bühnen ist mit einer durchlässigen Holzbretterfassade ziemlich roh verkleidet. Bei Dämmerung/Dunkelheit leuchten die Bühnenumgänge diffus nach draußen und zeigen, dass das Haus innen drin sehr lebendig ist. Bei der Caféteria wirkt die öffenbare Lochblechverkleidung vergleichbar.

Das Unspezifische öffnet Möglichkeiten. Die „Wasserlinie“

Den Bestand empfanden die Architekten als „relativ unspezifisch“. Was sie dazu verleitete „loszulassen. Also nicht zu versuchen, seinen eigenen Gestaltungswillen auszuleben, sondern sich führen zu lassen.“(Roland Duda) Aber bevor das Sich-dem-Bestand-Überlassen passieren konnte, gab es Schwierigkeiten mit dem Raumprogramm: Die Bibliothek, die ursprünglich im Turm untergebracht war, musste in den Werkstattbau verlegt werden, der Turm wäre baurechtlich zu hoch geworden. Also wurde von den Bestandsflächen, auf denen Übungsräume, Probebühnen und Werkstätten vorgesehen waren, ein Teil für die Bücher eingeplant. Was die ohnehin kleinen und damit für Improvisationen freien Flächen weiter reduzierte (Kissenlager an den Enden der langen Flure oder ein improvisierter Ruhe- und Rückzugsraum veranschaulichen dieses Problem). Die Bibliothek besitzt – dem Zufall zum Trotz, dem sich die Planer ja ausgesetzt haben – durchaus Feinsinnigkeit, wie überhaupt das Meiste reinstes Architektenwerk geworden ist.

Auch das Einfügen der schallsensiblen Übungsräume gestaltete sich aufwendiger als gedacht. Denn obwohl der Bestand als Gewerbebau konzipiert war, konnten die Böden weniger Lasten aufnehmen als angenommen. Unterzüge mussten ergänzt und Trapezblecheinlagen eingefügt werden. Ebenso konnte die Idee, die Proberäume zum Flur hin über Glaswände zu öffnen, aus Schallschutzgründen nicht realisiert werden. Die Glaswände finden sich vor der Bibliothek und dem Fundus im Erdgeschoss.

Beim Gang durch das Gebäude kommt einem der Gedanke, dass das alles noch nicht fertig ist. Zwar ist der Sichtbeton im Haupttreppenhaus von guter Qualität, doch es sind die Wandflächen insgesamt, die Irritationen hervorrufen. Auf ihnen sind die Stoßfugen, Verschraubungen oder leichten Beschädigungen der Leichtbauplatten nur grob verputzt und warten offenbar auf Feinschliff und deckende Farbschicht. Oder eine Tapete gar?!

Sie werden vergeblich warten müssen, denn der Bestandsbau ist nur bis zu einer Höhe von 2,30 m auf der Oberfläche „verfeinert“, wenn man mit Glas ausgefachte Pfostenriegelkonstruktionen (Aluminium oder Holz) und vor allem Kreidetafelanstriche als Verfeinerungen ansehen möchte. Oberhalb dieser von den Architekten genannten „Wasserline“ – die im Schiffsbau genau umgekehrt funktioniert – ist der Bestandsbau lediglich „besenrein“ in der Oberfläche gesichert. Und man kann sowohl die Handwerker, aber auch den Bauherrn verstehen, wenn hier Widerstände zu überwinden waren. Widerstände allerdings, die über Fragen von Gewährleistung hinaus auch das ästhetische Empfinden herausfordern. Vielleicht hat am Ende den Bauherrn überzeugt, dass mit dieser Haltung des Loslassens und Annehmens auch eine Menge Geld eingespart werden kann, im Bauprozess selbst wie auch bei zukünftigen Umbauten, der Unterhaltung, Reparaturen etc.

Auf dem Gang durchs Haus trafen wir auf Holger Zebu Kluth, seit 2017 Rektor der HfS Ernst Busch. Dieser meinte, in Anspielung auf das unfertig wirkende Fertige innen, dass er, wenn draußen erst einmal die letzten Bodenarbeiten abgeschlossen und die Dauerbaustelle rund um die HfS Ernst Busch abgeschlossen ist, unbedingt mit Fragen danach rechne, wann denn nun auch die Baustelle innen zu einem Abschluss käme. Den StudentInnen, die den Bau sehr selbstverständlich und durchaus besitzergreifend beleben, ist das keine Frage. Zufriedenheit scheint aus allen Gesichtern. Vielleicht hätte man sich noch mehr Rückzug, mehr informelle Flächen gewünscht, aber die sind dem Bibliotheksbedarf geopfert worden.

Fazit

Die HfS Ernst Busch ist seit einem Jahr in Betrieb und scheint so langsam anzukommen. Ob sich die Wohnnachbarschaft, die Hotelgäste und -betreiber, die Büronutzer an den Neuen schon gewöhnt haben? Wahrscheinlich. Der Neubau, der sich allein mit seinem holzverkleideten Turm an die Stadt zu wenden scheint und in dem je Semester allein 25 StudentInnen – aus rund 1 000 BewerberInnen! – das Sprechen, Tanzen, die Kommunikation und den Ausdruck lernen, ist wie eine Insel der Glückseligen (ich habe tatsächlich selten so viele freundliche Menschen an einer Hochschule getroffen!). Roland Duda: „Das war eine Rückseite hier und die ist offenbar prädestiniert dafür, dass man sich hier seine ganz eigene Welt schaffen kann.“ „Wodurch alles sehr schön nach innen konzentriert ist?“ „Ja!“ (Roland Duda) Allerdings: Noch ist das Außengelände Baustelle, die ersten Kontaktaufnahmen mit der Umwelt geschehen auf den schmalen Betonstreifen vor den Werkstätten im Erdgeschoss, die als schmale Balkone Blumenkisten, Stühle und Tische mit kleinen Hinweisen auf Gebrauch wie Flaschen oder Aschenbecher das Nachdraußengehen zumindest andeuten. Was mehr kommen wird? In jedem Fall eine lebendig laute Nachbarschaft!⇥Be. K.

Bei diesem Projekt überzeugt besonders der Umgang mit den einstigen Opernwerkstätten. Teils völlig unbehandelte und damit radikal ehrliche Einbauten ergänzen gekonnt den Bestand und bieten eine anregende Atmosphäre für die Schauspielschule. Hier ist konsequent aus dem Vorhandenen für den Nutzer weiterentwickelt worden. Stark.«⇥DBZ Heftpaten NKBAK

Baudaten

Objekt: Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch

Standort: Zinnowitzer Str. 11,

10115 Berlin

Typologie: Bildungsbauten

Bauherr: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Berlin

Nutzer: HfS Ernst Busch

Architekten: O&O Baukunst, Wien/Berlin, Roland Duda, Geschäftsführender Gesellschafter O&O Baukunst, Berlin, www.ortner-ortner.com

Art der Beauftragung: Eingeladener Wettbewerb 2011

(Wettbewerbsteam Manfred Ortner, Tobias Ahlers, Frank Illing)

Team: Pascal Dworak, Bernd Gotthardt, Frank Illing, Markus Lemcke, Markus Müller, Nora Noack, Lars Riebschläger, Nino Schiddel, Jessica Seidel, Magdalena Schwalke-Sauer

Projektleitung: Tobias Ahlers

Leistungsphase 2 – 5, teilweise 6 – 8 / Künstlerische Oberleitung

Bauzeit: August 2014 – Oktober 2018

Fachplaner

Tragwerksplaner: fd-ingenieure, Berlin, www.fd-ingenieure.de

TGA – Planer: Engineering Consult, Karlsruhe, www.engineering-consult.de, Raible + Partner, Lutherstadt

Wittenberg, www.raible.de

Akustikplaner: Müller BBM, Berlin, www.muellerbbm.de

Landschaftsarchitekt: Lesniak Landschaftsarchitekten, Potsdam, www.lesniak-li.de

Fachplaner Bauphysik: IAF Ingenieure, Berlin, www.iaf-ingenieure.de

Brandschutzplaner: bbp consult, Berlin, www.baucon.de

mit O&O Baukunst

Bühnentechnik: Kunkel Consulting International GmbH, Bürstadt,

www.kunkel-consulting.com

Projektdaten

(Bestandsgebäude 1943 / fertiggestellt 1951)

Grundstücksgröße: 7 622 m²

Grundflächenzahl: 0,5

Geschossflächenzahl: 2,12

Nutzfläche gesamt: 8 900 m²

Technikfläche: 767 m²

Verkehrsfläche: 1 934 m²

Brutto-Grundfläche: 16 200 m²

Brutto-Rauminhalt: 78 135 m³

Baukosten (nach DIN 276)

KG 300 (netto): 16,9 Mio. €

KG 400 (netto): 7,6 Mio. €

Gesamt KG 200 bis 700 (netto): 44,65 Mio. € (offizielle Zahl aus der Senatsverwaltung)

Energiebedarf

Altbau

Primärenergiebedarf:

106,6 kWh/m²a nach EnEV 2009

Endenergiebedarf:

142,8 kWh/m²a nach EnEV 2009

Neubau

Primärenergiebedarf:

249 kWh/m²a nach EnEV 2009

Endenergiebedarf:

324,2 kWh/m²a nach EnEV 2009

Energiekonzept

MW-Wände, 36,5 – 49 cm, WDVS 160 – 180 mm

Dach: Warmdach, Gefälledämmung d = 200 mm i. M.

Fenster: 3-Scheiben-Isolierglasfenster

Boden: Gedämmte Bodenplatte

Gebäudehülle

U-Wert Außenwand = 0,172 W/(m²K)

U-Wert Bodenplatte = 0,168 W/(m²K)

U-Wert Dach = 0,163 W/(m²K)

Uw-Wert Fenster = 1,0 W/(m²K)

Ug-Wert Verglasung = 0,4 W/(m²K)

Haustechnik

Heizungstechnische Anlagen: Die Beheizung erfolgt über statische Heizflächen entlang der Fassade, im Foyer und im Theatercafé alternativ über Fußbodenheizung und Überflurkonvektoren an der Fassade. Heizungstrassen, Verteilung, Fernwärmestation und Heizflächen neu installiert, Beheizung der RLT-Anlagen über die Heizungsanlage mit Fernwärme

Gebäudeautomation: Die lufttechnischen Anlagen sowie die Heizungsanlage mit MSRTechnik, die über ein offenes BUS-System (BACnet IP) kommuniziert, spätere Erweiterung bzw. Einbindung einer Gebäudeleittechnik möglich

Hersteller

Dachdämmung: Paul Bauder GmbH & Co. KG, www.bauder.de

WDVS Fassade: HASIT, www.hasit.de

Sonnenschutz: WAREMA Renkhoff SE, www.warema.de

Türen/Tore: HÖRMANN KG,

www.hoermann.de, Schörghuber Spezialtüren KG,

www.schoerghuber.de

Trockenbau: Saint-Gobain Rigips GmbH, www.rigips.de, Knauf Gips KG, www.knauf.de

Holzdielen/Parkett Bühnenboden: Ahlers & Lamprecht, www.ahlersundlambrecht.de

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