Architektur als Grundstein für den Erfolg

Hotel Schgaguler, Kastelruth/IT

Vor 40 Jahren hätten sich in Südtirol nur wenige vorstellen können, dass Architektur ein grundlegender Teil des Erfolgsrezepts eines Hotels werden könnte. Aufmerksamen Beobachtern ist jedoch nicht entgangen, dass in den letzten zwei Jahrzehnten ein großes Bewusstsein für Baukultur entstanden ist. Dieses bringt Architekturprojekte von hoher Qualität mit starkem Fokus auf die regionale Identität und den Kontext hervor. Das Hotel Schgaguler ist ein herausragendes Beispiel dafür, seine touristischen Wurzeln zu bewahren und trotzdem strukturell und auch optisch einen Generationenwechsel zu vollziehen.

Der 2 563 m hohe Schlern, seit 2009 Teil des UNESCO-Weltnaturerbes Dolomiten, ist durch seine charakteristische Form ein bekanntes Wahrzeichen, ebenso wie die majestätischen Gipfel der umgebenden Gebirgszüge. Um den zentralen Ortskern von Kastelruth (Castelrotto/italienisch und Ćiastel/ladinisch) mit dem freistehenden Kirchturm zweigen kleine Gassen in alle Himmelsrichtungen ab. In direkter Nachbarschaft zum Zentrum hatte die Eigentümerfamilie Schgaguler in den 1980er-Jahren ein Grundstück erworben und eine Residenz mit Apartments betrieben. Nach Erweiterungen im Jahr 2002 entschied man sich 2014 für einen radikalen Schnitt: Der Generationenwechsel innerhalb des Hotelbetriebs sowie das Upgrade zu einem Boutique-Hotel sollten sich auch in der Architektur des Hauses widerspiegeln. Für die Gestaltung wurde 2015 ein Architektenwettbewerb ausgelobt, den der Mailänder Architekt Peter Pichler für sich entscheiden konnte. Denn sein Konzept für den Neustart sah einen radikal neuen Weg vor, der sich von den Hotelbauten der Region stark absetzt, jedoch das Bauwerk durch seine Bezüge zur lokalen Bautradition harmonisch in den Ortskern integriert.

Architektonische Gestalt

„Der Kern des Entwurfsgedankens war, die Bergwelt zum Protagonisten zu machen, sie sozusagen ins Hotel zu bringen“, erklärt Peter Pichler das Konzept. Dass dies auf mehreren Ebenen gelungen ist, zeigt sich von der Silhouette bis zur Ausstattung. Die ursprüngliche Struktur des Gebäudes mit drei leicht zueinander versetzten Volumen wurde aufgegriffen und durch ein zusätzliches Geschoss erweitert. Traditionelle alpine Bauelemente wie das ortstypi­sche Satteldach wurden integriert und durch die Materialität der neuen Fassadenstruktur über­formt. Eine Filterschicht, bestehend aus einer skulpturalen, konisch zulaufenden Geometrie in Kombination mit einer großflächigen Verglasung, gibt die Chance der Neuordnung der Gebäudehülle. Die weiße Farbe des kreidehaltigen Putzes ist eine Reminiszenz an die Materialität des „Dolomitgesteins“, des weiß-grauen Ursprungs der Felsmassive. Zeigt sich die Struktur zur Straßenseite hin zurückhaltend, weitet sich die Tiefe der Fassadenelemente an der Südfassade zu großzügigen Loggien. Sie bewirkt gleichzeitig einen natürlichen Sonnenschutz für die Zimmer. Die Topografie des Ortes ermöglicht einen optischen Kniff: Da das Gebäude an einer starken Hangkante liegt, vermitteln lediglich drei sichtbare Obergeschosse auf der Straßenseite zum Bestand, während sich das Gebäude zur Bergwelt auf sechs Geschosse, inklusive Spa-Bereich, erstreckt. Auf diese Weise entsteht ein wohltuend zurückhaltender ­Dialog mit dem Ort, aber eine ungeahnte Großzügigkeit zum Bergpanorama hin.

Pause vom Alltag

Die Transparenz der Eingangsfassade zieht die Gäste förmlich ins Gebäude hinein. Neben dem Hotelempfang befinden sich auf der zweigeschossigen Eingangsebene auch die öffentlichen Bereiche wie das Restaurant und die Hotelbar sowie der Austritt auf die weitläufige Terrasse. Die bestehende langgestreckte Struktur der ehemaligen Apartments ist der Grundstock für die neuen Hotelzimmer. Bildet die Erschließung entlang der Glasfassade zur Straße noch eine Zwischenzone zum Privatbereich, gibt es bei allen 42 Zimmern ein offenes Raumkontinuum. Es umfasst einen offenen Badbereich mit freistehender Badewanne und angrenzendem Loungebereich bis zum Bett. Daran schließt sich eine private Loggia an. Die zeitgenössische Neuinterpretation des alpinen Stils ist am besten spürbar in den zweigeschossigen Giebelsuiten, deren bis zu 5 m hohe Fensterfronten einen umwerfenden Blick auf das gegenüberliegende Bergpanorama bieten.

Keep it simple

„Wir wollten einen Ort schaffen, der die Reizüberflutung des Alltags hinter sich lässt“, fasst Tobias Schgaguler die Aufgabenstellung an das Interior Design in Worte. Inspiriert von der Einfachheit des Lebens in den Bergen, setzt die sorgfältige Auswahl der verwendeten Materialien feine Akzente. Zum Beispiel die Wahl für das beständige Holz der heimischen Kastanie. Weit verbreitet in Höhenlagen um die 1 000 m über NN, passt es ideal zur Inneneinrichtung des Hotels Schgaguler – von der Bekleidung der Wände in den öffentlichen Bereichen bis zu den Tischlerarbeiten. Oder die bewusst raue Oberflächenstruktur des Granitgesteins Beola Grigia, das sich als Kontrast zum hellen Kastanienholz in den öffentlich zugänglichen Bereichen wiederfindet. Von Hand verspachteltes Kunstharz auf den Böden in den Zimmern und Loggien bildet eine homogene und zugleich wasserabweisende Oberfläche, die ohne Materialwechsel zwischen den Zonen auskommt. Ergänzt durch ausgewählte Sitzmöbel, Leuchten, Decken und Polster aus Merinowolle fügen sich alle Elemente zu einem großen Ganzen. Zeitlos und dezent wird so das Augenmerk auf die sinnliche und haptische Wahrnehmung der verwendeten Materialien gelenkt.

Geglückter Generationenwechsel

Dass man dem Hotel die Herausforderungen des Bestands überhaupt nicht ansieht, ist dem Teamwork zwischen allen am Bau Beteiligten zu verdanken. Denn es musste ein kompletter Umbau innerhalb von vier Monaten gestemmt werden, von der Entkernung des Bestands über die Aufstockung durch Leichtbeton und Brettsperrholzelemente (aus Gewichtsgründen) bis hin zur Umsetzung des Designkonzepts. Engagement auf der Bauherrenseite, aber auch die hohe Qualität der lokalen Handwerker, die sich durch Expertise und implizites Materialwissen auszeichnen, führten laut Peter Pichler zum Erfolg. Auch Tobias Schgaguler ist des Lobes voll: „Der Generationenwechsel in unserem Betrieb kam zum richtigen Zeitpunkt, denn wir konnten unsere Ideen in die Umsetzung einbringen. Dadurch ist es der neuen Generation gelungen, praktisch ein eigenes Hotel zu errichten.“ Dass dies keine leere Marketingphrase ist, zeigt das Gesamtpaket. Auch nach der Umwandlung zu einem Boutique-Hotel hat sich am Familienbetrieb wenig geändert. Jedes Familienmitglied hat eine feste Position im Haus – von den kleinen feinen Details in der Gestaltung bis zum leiblichen Wohl in der hauseigenen Gastronomie, alle sind Gastgeber mit Leib und Seele. Das wissen die Gäste zu schätzen.⇥Eva Maria Herrmann, München

Projektdaten

Objekt: Hotel Schgaguler

Standort: Dolomitenstraße 2, Kastelruth, /IT

Bauherr: Hotel Schgaguler

Architektur: Peter Pichler Architecture, Mailand/IT, www.peterpichler.eu

Innenarchitektur: Peter Pichler Architecture und Martin Schgaguler

Fertigstellung: 2018

Anzahl der Zimmer: 42

Preis pro Übernachtung: 290 €

 

Hersteller

Fenster und Sonnenschutz: Vitralux srl, www.vitralux.com; WAREMA Renkhoff SE,

www.warema.de

Lüftungsanlagen: Climet GmbH, www.climet.it

Sanitär: Agape, www.agapedesign.it

 

www.schgaguler.com

Wir haben versucht, das Hotel in den Kontext der lokalen Stadt Kastelruth einzubinden. Wir öffneten das Haus zum Dorf hin und gleichzeitig zum Berg hin und schufen so eine halbtransparente Struktur.«⇥Architekt Peter Pichler
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