Wir piesacken den Bestand ganz leicht
Ein Gespräch mit Henner Winkelmüller, Mola + Winkelmüller Architekten, Berlin

Die deutsche Architekturgeschichte bietet Höhen und Tiefen, nicht bloß im gebauten Ergebnis. Zeugen für die Tiefen sind die so genannten Ordensburgen, die die deutschen Faschisten für ihren ideologisch gleichgeschalteten Nachwuchs bauten. Eine dieser Burgen, eine riesige Anlage in der Eifel, wird zur Zeit umgebaut, die Eröffnung ist für 2014 geplant. Worauf man hier achten muss, was einem dabei passieren kann und wieso ein solches Ensemble noch immer fasziniert, darüber sprachen wir mit Henner Winkelmüller von Mola + Winkelmüller Architekten, Berlin.

Herr Winkelmüller, die Bauarbeiten sind noch in vollem Gange, können Sie trotzdem schon sagen, ob Sie mit allem zufrieden sind?

Bezüglich der Planung ist alles sehr gut gelaufen. Das Einzige, was ich vielleicht mit weniger Zufriedenheit sehe, sind die Verzögerungen in der Bauphase aufgrund des hier Vorgefundenen, der Problematiken, die wir immer wieder im Bestand haben.

Problematiken?

Es gibt hier zum einen die verschiedensten, zum Teil auch völlig irrsinnigen statischen Systeme und eine ziemlich marode Grundsubs-tanz. Wir haben beispielsweise Wand- wie Deckenaufbauten, deren durchaus gewagte wie kritische Schichtungen wir erst während des Bauprozesses erkennen konnten. Zum Teil mussten an schwierigen Stellen völlig neue statische Konzepte erarbeitet werden.

Und diese „marode Grundsubstanz“ war vorher nicht zu erkennen?

Nein, das Gebäude war in der ersten Planungsphase ja noch in Nutzung. Wir haben natürlich Kernbohrungen analysiert, aber wie wir bei ersten Abbrucharbeiten feststellen konnten, hätten wir hier jeden Quadratmeter untersuchen müssen. Wir haben hier Umbauten schon zur NS-Zeit, dann kommen die Kriegsschäden, die von den Belgiern teilweise notdürftig repariert wurden und dann gab es in den folgenden Jahrzehnten immer wieder An- und Umbauten in der Anlage.

Es gab also Budgetumschichtungen? Welcher Teil Ihrer Arbeit hat darunter am meisten zu leiden?

Die Betoninstandsetzung hat hier sicherlich die größte Verschiebung nach sich gezogen. Das Budget ist gedeckelt, hier wird kein neuer Topf aufgemacht. Die ursprüngliche Planung beinhaltete den kompletten Ausbau des Ensembles, sämtliche Dächer sollten saniert werden. Mit dem Bauherren wurde dann entschieden, dass Gebäudeteile erst einmal brachliegen werden. Wir mussten diese Reduzierung schließlich annehmen, weil wir hier Kernfunktionen haben wie das Besucherzentrum, die Ausstellungsbereiche, die Gastronomie. Das sind die Ankerfunktionen, die einfach nicht wegzunehmen sind. Ausgegliedert wurde vor allem im Verwaltungsbereich, von dem nur Kernfunktionen im Ensemble verbleiben.

Was reizt denn Mola + Winkelmüller Architekten an der Aufgabe?

Wir sind damals mit sinai zum Wettbewerb eingeladen worden. Das Landschaftsarchitekturbüro, mit dem wir viele Projekte gemacht haben, hat uns damals dazu geholt. Mit sinai haben wir Projekte realisiert, in welchen gerade der historische Kontext eine zentrale Rolle spielt, so beispielsweise die Gedenkstätte Berliner Mauer.

Uns reizt der Umgang mit Geschichte, auch mit kritischer Geschichte. Am Forum kommt noch die landschaftliche Komponente hinzu und die Bausubstanz …

Es gibt bei einem solchen belasteten Ort keine Dogmen, Leitlinien?

Ja. Wir haben kein Regelwerk, keine eindeutige Linie für Projekte dieser Art. Wir haben beispielsweise bei der Mauergedenkstätte Corten-Stahlplatten angewendet. Das ist nichts Neues, das gibt es in vielen Gedenkstätten und ich habe fast den Eindruck, es hat sich zu einem Gedenkstättenmaterial entwickelt, was ich als sehr bedenklich empfinde. Wir beziehen Strukturen und Materialien auf den Kontext, den Ort. Auch die Formensprache muss aus dem Ort entwickelt werden.

Aber noch einmal: Was machen Sie als deutscher Architekt anders als ein Niederländer, ein Brite, ein US-Amerikaner? Sind Sie hier nicht ganz anders betroffen, ja befangen?

Wenn ich mich an den Wettbewerb erinnere habe ich schon das Gefühl, dass sich der eine oder andere hier verkrampft hat. Tendenziell kann es schon sein, dass andere Nationalitäten hier freier ans Thema rangegangen sind. Die meisten Deutschen sind vorsichtig, haben Angst, etwas falsch zu machen, für öffentliche Aufregung zu sorgen.

Das möchte der Bauherr wahrscheinlich auch nicht, oder gab es Entwürfe, die aus Vogelsang ein Eventcenter gemacht hätten?

Teils teils. Der Bauherr ist ja nicht eine Person, hier spielen mehrere Gruppen eine Rolle. Von der politischen Seite wünschen sich einige, ich sage das mal ganz plump, dass hier die Post abgeht, dass das hier ein Ort mit Attraktionscharakter wird. Weil das Projekt ja auch wirtschaftlich zu denken ist. Hier wird viel Geld reingesteckt und am Ende soll der Ort sich selbst tragen.

Was sind Ihre Kernthesen für Ihre Arbeit hier am Forum?

In erster Linie zeichnet sich unsere Arbeit durch den Respekt vor dem Ort aus. Wir wollen hier nichts bewerten. Zeitschichten sollen ablesbar bleiben. Dazu kommt dann unser Selbstbewusstsein als zeitgenössische Planer, die dem Bestand ihre Sprache hinzufügen als klar ablesbare Fügungen. Und wie gesagt, ohne große Gesten oder den Drang zur Selbstdarstellung.

Subversives Arbeiten im heroischen Kontext? Erleichtert man sich dadurch auch die Arbeit?

Letztendlich kam unser Inlay-System, dieses Raum-in-Raum-Konzept, über die inhaltliche Auseinandersetzung. Ein stumpfes Zuweisen der Inhalte an bestehende Räume hätte nicht funktioniert. Wir müssen durch unsere Eingriffe auch Kommentare zum Bestand aussprechen. Die neuen Funktionen müssen einen eigenen Charakter haben, den sie mit einem eigenen Behältnis am ehesten erreichen können. Das schieben wir nun so ein, dass es hier und dort aufblitzt und auch mal die Schale durchbricht, das heisst, wir piesacken den Bestand ganz leicht ohne dass es uns darum geht – und das ist uns ganz wichtig –, den Bestand, seine Symbolik zu zerstören.

Was machen Sie als Architekt gegen einen möglichen Missbrauch dieser Stätte durch Neo- oder Alt-Nazis?

Wir haben mögliche Räume, die sich als Pilgerstätten eignen könnten, offensiv ins Ganze einbezogen. Wir haben sie aktiv ins Programm integriert. Das stellt einen gewissen Verkehr her, der im Bes-ten zu einem kontinuierlich belebten Begegnungsort wird. Das ist wesentlich besser, als sie unzugänglich und damit wiederum für einen Nazi-Tourismus attraktiv zu machen.

Über alles Theoretische und Architekturgeschichtliche hinaus: Wie stellt sich das Banale wie EnEV, Barrierefreiheit etc. dar?

Wir haben natürlich gewisse Randbedingungen. Es gibt die DIN, wir wollen fachgerecht bauen. Barrierefreiheit ist ein zentraler Aspekt, auch im übertragenen Sinn, schließlich soll hier jeder willkommen sein, jeder soll sich hier frei bewegen können. Von der EnEV sind wir bei den Bestandsbauten freigestellt.

Welche Partner braucht man für ein so großes Projekt, abgesehen von Bauherren und kompetenten Fachplanern?

Ein ganz wichtiger Partner ist unser Bauleitungsbüro hier vor Ort, das Büro Stein aus Köln. Ebenfalls wichtig ist der Denkmalschutz oder die ökologische Baubegleitung, wir sind ja hier in einem Nationalpark. Und nicht zu vergessen die Ausstellungsmacher, mit denen wir ständig zusammenarbeiten. Für beide große Ausstellungsbereiche [Nationalpark und NS-Dokumentation, Be. K.] gibt es zwei Büros, die mit sehr unterschiedlichen Konzepten arbeiten; was uns sehr wichtig ist.

Was schätzen Sie an diesem Ort am meisten?

Die Blicke von den Gebäuden aus in die Landschaft. Natur und Architektur, das findet sich hier an eigentlich jeder Stelle.

Ist das nicht ein Kompliment an den Architekten Clemens Klotz!?

Es ist ja immer die Frage, wie schuldig kann Architektur sein? Bei diesem Bauvorhaben können Sie ganz viele Anleihen an die Moderne entdecken … Horizontalbänder, aufgelöste Konstruktionen, und die waren Adolf Hitler nicht mächtig, nicht erdig genug. So gab es nachträgliche Ein- und Umbauten, die das Bodenständige dieser Architektur herzustellen hatten. Klotz’ Entwurf hat mit Blut-und-Boden-Architektur nichts zu tun. Es ist keine schlechte Architektur, aber leider wahnsinnig schlecht realisiert.

Was werden Sie zur Eröffnung des überplanten Forums Ende 2014 – für diesen Termin drücke ich die Daumen – sagen?

Ich trage das Projekt seit Ende 2008 mit mir herum ... Es wird mir sicherlich etwas fehlen, gleichzeitig wird Erleichterung dazukommen, wenn alles gelungen ist. Aber ein Grundgefühl in Worte zu fassen will mir jetzt noch nicht gelingen, dafür ist alles noch viel zu präsent.

Würden Sie ein solches Projekt noch einmal machen?

Trotz all der Anstrengung: Immer wieder! Vielleicht ein bisschen besser vorbereitet auf das, was einen hier erwarten könnte.

Mit Henner Winkelmüller sprach DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 27. August 2013  im Forum Vogelsang, Nationalpark Eifel.

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