Intuitive Orientierung
Kommunikations-
und Leitsysteme

Gebäude, die für alle zugänglich sein sollen, eliminieren nicht nur physische Schwellen, sondern auch funktionale. Nur dann gelten sie nach der neuen DIN 18040 als barrierefrei. Ziel muss sein, dass alle Besucher sich auf Anhieb im Gebäude zurechtfinden und mit ihm interagieren können – auch solche mit Behinderungen oder Einschränkungen. Dabei hilft eine Orientierung, die Information mit Kommunikationstechnik verbindet.

Vor allem öffentliche Gebäude treten in Interaktion mit ihren Besuchern. Sie beantworten eine Vielzahl von Fragen: Wo geht es zum Eingang? Bin ich hier richtig? Wer ist mein Ansprechpartner und wie finde ich Raum 501? Eine umsichtig gestaltete Besucherführung lässt solche Fragen gar nicht erst aufkommen. Sie befähigt die Architektur vielmehr,
einen Schritt auf den Ankommenden zuzugehen, ihn schon an der Zufahrt willkommen zu heißen und bis an sein Ziel im Inneren des Gebäudes zu geleiten. Die Funktionsbereiche, die daran mitwirken, heißen Orientierung,
Information und Kommunikation.

Universal Design

Barrierefreie Gebäude orientieren sich idealerweise an den Prinzipien des Universal Design. Diesen Begriff entwickelte der amerikanische Architekt Ronald L. Mace bereits in den 1980er Jahren. Dem Konzept des Universal Design liegt ein am Menschen orientier-
ter Gestaltungsansatz zugrunde, der die gesamte von Menschen für Menschen ge-

staltete Umwelt für möglichst viele zugänglich und nutzbar machen möchte und zwar ungeachtet ihrer individuellen Fähigkeiten, ihres Alters und Geschlechts oder ihres kulturellen Hintergrunds. Für Gebäude bedeutet das: Sie müssen jedem Besucher schon beim ersten Betreten die Chance geben, sich alleine zurechtzufinden. Das gilt für Rollstuhlfahrer genauso wie für Seh- oder Hörbehinderte, für Kleinwüchsige, Kinder und Ältere, aber auch für Besucher, die ihre Brille vergessen, den Arm in Gips oder den Kinderwagen dabei haben. Und dafür darf kein räumliches Denkvermögen nötig sein, das nur ein Architekt hat.

Orientierung als Querschnittsaufgabe

Orientierung im Gebäude ist deshalb eine Querschnittsaufgabe. Sie beginnt idealerweise in der Planungsphase eines Baus und ist mit seiner Fertigstellung noch lange nicht beendet. Was in der Praxis häufig durch die zeitlich und nach Gewerken getrennte Planung erschwert wird, ist bei der Planung barrierefreier Bauten essentiell: die ganzheitliche Herangehensweise. Schon im Vorfeld sollte definiert werden, was ein Gebäude im Detail leisten soll. Nur dann können Architektur, Wegeführung, Beleuchtung, Beschilderung und Kommunikation optimal aufeinander
abgestimmt werden.

Wie funktioniert ein Gebäude?

Am Beginn der Planung steht deshalb die Frage nach der Nutzung der Architektur: Wie funktioniert das Gebäude? Wer betritt es, wie oft und warum? Menschen, die ein Gebäude regelmäßig nutzen, orientieren sich anders als gelegentliche oder einmalige Besucher. Entscheidend für die sorgfältige Planung ist die Kenntnis der Abläufe und Strukturen, die in die Formulierung einer detaillierten Zielliste münden sollte: Was muss von wem gefunden werden? Bei der Umsetzung hilft ein Wechsel der Perspektive: Wie nimmt ein Besucher das Gebäude wahr? Wie kann er die verschiedenen Gebäudeteile schnell identifizieren, wie kann er kommunizieren und wie findet er am einfachsten zu seinem Ziel im Gebäudeinneren – und wieder hinaus? Diese Fragestellungen münden bei der Entwicklung von Leitsystemen in eine eigene Planung, die sich von der des Architekten meist grundlegend unterscheidet.

Ganzheitlichkeit

Eine professionelle Orientierungsplanung
beschränkt sich nicht auf Beschilderung, sondern verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Sie orientiert sich am gesamten Erscheinungsbild einer Organisation oder Einrichtung und an deren öffentlichem Auftritt, beispielsweise im Web, und passt sich dem Corporate Design an. Dazu gehören auch vermeintliche Details, wie die Wortwahl an der Rezeption, die mit der Beschilderung übereinstimmen muss, oder die Einbindung von Hausfarben und ­-schriften. Darüber hinaus sollten Orientierungssysteme sich den laufenden Veränderungen im Gebäude anpassen können; beispielsweise mit Beschriftun-gen, die sich bei Bedarf schnell und kosten-

günstig wechseln lassen. Und nicht zuletzt muss auch die Ästhetik stimmen. Professionelle Systeme sind flexibel und fügen sich in die Architektur und die vorhandene Materialität sowie in vorhandene Farbleitsysteme ein.

Fern- und Nahwirkung

Kommunikation beginnt in aller Regel schon aus der Ferne: Große Lettern machen auf sich aufmerksam und identifizieren ein Gebäude oder seine verschiedenen Bereiche. Kommt der Besucher näher, weisen Beschriftungen in Lesehöhe den Weg. Dabei ist Variabilität wichtig, denn die optimale Lesehöhe kann verschieden sein: Wer im Rollstuhl sitzt, hat einen anderen Blickwinkel als jemand, der aufrecht steht. Für eine gute visuelle Erkennbarkeit auch für Sehbehinderte ist ein hoher Kontrast zwischen Beschriftung und Untergrund entscheidend; ebenso die Größe und Art der Beschriftung und deren räumliche Anordnung. Blendungen, Spiegelungen und Schattenbildung können durch matte Oberflächen und eine ausgewogene Beleuchtung auf ein Minimum reduziert werden.

Interaktion

Ist der Ankommende in unmittelbarer Reichweite, ist meist eine Form der Interaktion gefragt: Klingeln, Sprechen oder die Eingabe eines Zugangscodes. Dabei sind zwei Parameter entscheidend für die Barrierefreiheit: Physische Zugänglichkeit und intuitive Benutzbarkeit. Zentrale Funktionen, wie beispielsweise eine Ruftaste, werden in barrierefreien Gebäuden häufig zweifach eingebaut; in ergonomisch richtiger Höhe sowohl für Rollstuhlfahrer wie für stehende Personen. Sie sind damit für alle Besucher unmittelbar erreichbar. Für komplexere Funktionen, etwa für längere Ruflisten mit vielen Teilnehmern, bieten sich Kommunikationsterminals mit Touchscreen an. Sie lassen sich je nach Bedarf in unterschiedlichen Höhen positionieren und ermöglichen eine einfache, intuitive Navigation. Für Sehbehinderte empfehlen sich Ruftasten mit erhabener Braille-Schrift. Hilfreich für Hörbehinderte ist die so genannte induktive Ankopplung, die auch in Museen eingesetzt wird: Sie schickt das akustische
Signal der Gegensprechanlage über Induktionsschleifen im Fußboden oder in der Wand direkt auf das Hörgerät des Besuchers.

Digitalisierung und menschliches Maß

Ein entscheidender Faktor für die einfache Bedienung ist der Verzicht auf die Miniaturisierung. Zu kleine und kaum unterscheidbare Tasten sind für die meisten Menschen schwer zu bedienen. Hier ist Orientierung am menschlichen Maß gefragt: Bildschirme und Beschriftungsflächen müssen ausreichend dimensioniert sein, nur dann sind sie gut ablesbar. Bedientasten sollten der Größe einer Fingerkuppe entsprechen und untereinander genügend Abstand halten. Das gilt selbstverständlich auch im Gebäude, wo die zunehmende Digitalisierung beträchtlichen Komfortgewinn mit sich bringt: Infoterminals am Eingang informieren mit hinterlegten Gebäudegrundrissen, zentral positionierte Info-

Kioske ermöglichen an viel besuchten Orten multimediale Kommunikations- und Orientierungsmöglichkeiten und intelligente Software unterstützt Zutrittskontrolle, Betrieb und Dokumentation. Alle zentralen Funktionen müssen intuitiv zugänglich sein.

Sensorische Anforderungen nach neuer

DIN 18040 „Barrierefreies Bauen“

Für Hörbehinderte ist in öffentlichen Gebäuden weniger die Orientierung als vielmehr die Interaktion problematisch. Die Kommunikation über Gegensprechanlagen, über die sich Besucher in vielen öffentlichen Gebäuden identifizieren, ist bei einer Einschränkung des Hörvermögens schwierig oder unmöglich. Wer nicht hören kann, bemerkt weder, ob jemand auf den Türruf reagiert, noch ob die Tür geöffnet wurde. Auf die besonderen Anforderungen bei sensorischen Einschränkungen geht deshalb die neue DIN 18040 ein. Sie definiert, welche technischen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit bauliche Anlagen als barrierefrei gelten. Die neue Norm verlangt unter anderem, dass Türöffner- und Gegensprechanlagen in die barrierefreie Gestaltung einzubeziehen sind: „Bei Gegensprechanlagen ist die Hörbereitschaft der Gegenseite optisch anzuzeigen. Bei manuell betätigten Türen mit elektrischer Türfallenfreigabe (umgangssprachlich Türsummer) ist die Freigabe optisch zu signalisieren.“ Bei Gegensprechanlagen, die nach der neuen DIN arbeiten, erhalten Hörbehinderte eine optische Bestätigung, nachdem sie den Türruf betätigt haben. So können sie sicher sein, dass es tatsächlich geklingelt hat. Sobald der Gesprächspartner das Gespräch annimmt, signalisiert das ein weiteres Symbol: Nun kann gesprochen werden. Ein drittes Symbol zeigt an, dass der Türöffner betätigt wurde, und im Bedarfsfall kann auch eine nicht zustande gekommene Verbindung signalisiert werden.

Modularität und Variabilität

Eine Klinik funktioniert anders als eine Ar-beitsagentur; eine Hochschule besuchen andere Menschen als eine Einrichtung für betreutes Wohnen. Auch die Betreiber oder Eigentümer möchten sich angemessen präsentieren. Sie haben Gestaltungswünsche, möchten ein Corporate Design oder ein Farb-

leitsystem umsetzen oder bestimmte Bereiche nur bestimmten Personen zugänglich machen. Kommunikations- und Leitsysteme müssen sich dieser Vielfalt ohne Einschränkungen anpassen. Gefragt sind deshalb offene Systeme, die es z.B. erlauben, Briefkästen in rollstuhlgerechter Höhe anzubringen; vielleicht mit der Möglichkeit, diese zu unterfahren oder per Fingerabdruckleser zu öffnen. Denkbar sind Nebentüren, die sich per Bewegungsmelder öffnen oder Hinweisschilder, die ihren Inhalt zusätzlich per Blindenschrift transportieren und die Beleuchtung verstärken, sobald sich jemand nähert. Demenzkranke können von Farbleitsystemen profitieren, die bei der Orientierung unterstützen und per Transponder die richtige Tür im richtigen Moment öffnen. Alle diese Funktionen ergänzen sich, umsichtige Planung vorausgesetzt, funktional und ästhetisch.

Einfache Orientierung schafft Vertrauen

Orientierung funktioniert letztendlich dann perfekt, wenn sie nicht wahrgenommen wird. Ein gutes Kommunikations- und Leitsystem soll den Besucher idealerweise vom Parkschild oder Bürgersteig zu seinem Ziel im Gebäude und wieder zurück führen – ohne dass dieser überhaupt darüber nachdenkt. Eine intuitive Orientierung hat nachgewiesen erheblichen Einfluss auf die Zufriedenheit der Besucher: Sie schafft das grundlegende Vertrauen, sich am richtigen Ort zu befinden.

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