Klimaengineering von der World Expo 2020 Dubai

Wenn man in der Wüste baut und dort klimatisierte Räume erwartet, wird es schwierig. Der Energieaufwand für ein Raumklima, das Behaglichkeit verspricht, ist heute nicht mehr zu vertreten. Was tun? Im Rahmen der World Expo 2020 in Dubai kann man Ansätze finden, die hier gangbare Wege aufzeigen, die wie so oft auch aus traditionellen Ansätzen kommen. Möglicherweise bieten sie auch Lösungen an, über die wir die Klimatisierung von hiesigen Gebäuden in nächster Zukunft intelligenter machen.

Am 1. Oktober 2021, dem Tag der Eröffnung der Weltausstellung Expo 2020 in der Wüste vor den Toren von Dubai, stieg das Thermometer auf nahezu 40 °C im Schatten. Zwar hat sich die World Expo Themen der Nachhaltigkeit groß auf die Fahne geschrieben; allerdings gingen nur vereinzelte Pavillons die Thematik entsprechend klimagerecht an. Eines dieser Expo-Bauwerke, die die Kühlung ökologisch in die Tat umsetzen, ist der 1 600 m² BGF große Pavillon von Baden-Württemberg. So wurde der einzige Pavillon, der von und über eine Region kündet, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Nationen-Pavillons zu einem nachhaltigen Vorzeigeprojekt ersten Ranges. Alexander Rieck, Wissenschaftler am Fraunhofer Institut in Stuttgart und Vertreter des Bauherrn sowie Gründungspartner des Architekturbüros LAVA, das den Deutschen Pavillon entwarf, beschreibt die klimatischen Vorgaben des Pavillons wie folgt: „Durch die Partnerschaft des Fraunhofer IAO, Ingenieurkammer BW und der Messe Freiburg war klar, dass wir Technologie ­und Umwelt zusammendenken müssen.  Hin­­zu kommt, das u. a. in Punkto Nachhaltigkeit international anerkannte Renommee baden-würt­tembergischer Architekten, Ingenieure und seiner Industrie. Der Pavillon ist gemäß seiner Technik und den ausgestellten Exponaten ein Symbol dafür. Sichtbar und erlebbar wird dies in zweierlei Hinsicht. Erstens: Die geschwungene, CNC gefräste Holzfassade stellt eine moderne Version der in der arabischen Region bekannten Masharbiyya (dekoratives Holzgitter) dar. Zweitens: Der ‚CoolPool‘ von Transsolar schafft nachhaltig, da auf freier Kälte basierend, ein erquickendes Erlebnis im Wüsten­klima. Beide Attraktionen bauen eine Brücke zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit sowie ­zwischen Tradition und Zukunft.“

Der ursprüngliche Entwurf für den Pavillon stammt aus der Feder der auf nachhaltiges Bauen spezialisierten VON M Architekten, Stuttgart. Das Konzept wurde gemeinsam von den Architekten, Transsolar und den Tragwerksplanern Knippers Helbig, ebenfalls aus Stuttgart, entwickelt. Die grundlegende Idee basiert auf einer Düne in der Wüste, in deren Wind- und Sonnenschatten sich kühle Luft sammelt. Klimatisch ähnliche Bedingungen finden sich – natürlich nicht zwischen Sanddünen – jedoch in Hochtälern des Schwarzwalds, wo kalte Luft gleichfalls in Senken strömt und sogenannte Kaltluftseen bildet. Diese Besonderheit eines Mikroklimas ist für Matthias Schuler von Transsolar ein geeignetes Naturphänomen, das die Verbindung zwischen den Vereinigten Emiraten und Baden-Württemberg symbolisiert.

Der Eingang des Pavillons will als eine abstrakte Düne verstanden werden, die anfänglich noch aus Sand konzipiert war. Zum Inneren des Pavillons senkt sie sich ab und erlaubt mit der Mulde in ihrer Mitte das Entstehen des besagten Kaltluftsees. Diese Senke wird als offenes Atrium-Auditorium genutzt, das auf beiden Pavillonseiten durch Glaswände gefasst ist. Leider musste aus Kostengründen auf ein zum Himmel offenes Atrium verzichtet werden, was Matthias Schuler so umschreibt: „Alles wurde dann irgendwie quadratisch-praktisch und statt des Blicks in den Himmel, holten wir uns den Himmel herein in Form einer Wolke.“

Die Wolke mag, seit ihrer ersten Inszenierung „Cloudscapes“ auf der 12. Architektur Biennale 2010 in Venedig, inzwischen als inoffizielles Logo der KlimaEngineering Firma Transsolar gelten: „Die Wolke ist die Visualisierung des Kaltluftsees, die die Attraktion auch sichtbar macht. Als Wolkenmacher von Transsolar schaffen wir ein lokales Wetterphänomen, das über dem Kaltluftsee schwebt. Das ist in so einem Außenbereich, wie wir ihn hier haben, immer ein bisschen heikel, weil die Wolke auf Grund der Luftströme schnell verschwinden kann,“ sagt Matthias Schuler über seine ephemere Wolken­kreation in der Wüste von Dubai.

Das Engineering hinter dem See mit Wolke besteht aus einer etwa 500 m² großen Photovoltaikanlage mit 70 kWp Leistung auf dem Dach des BW-Pavillons. Auf der Rückseite der 504 Elemente von je 1,20 x 80 cm befindet sich ein Wärmetauscher in Form eines Schwimmbadabsorbers, eine sogenannte PVT oder hybrides Photovoltaikmodul. Mit Hilfe des thermischen Teils der Anlage gelingt es, die etwa 15 bis 20 °C geringeren Temperaturen der Nacht zur Abkühlung zu nutzen.

„Wenn die gegenwärtige Außentemperatur tagsüber bei um die 38 °C im Schatten liegt, ist sie nachts bei ungefähr 30 °C, der Himmel hat dann allerdings eine Strahlungstemperatur von nur 10 °C. Auf Grund der CO2- und Methanbelastung der Erdatmosphäre findet die langwellige Erdwärmeabstrahlung immer eingeschränkter statt. Dennoch gelingt es uns in Dubai, je Quadratmeter PVT etwa 100 Watt an freier Kälte während der Nacht einzusammeln. Die Kälte speichert ein Fundamentwärmetauscher unter dem Pavillon für den nächsten Tag. Dort liegen etwa 3 km Rohre, mit deren Hilfe wir tagsüber aus der freien nächtlichen Kälte den Kaltluftsee konditionieren,“ erläutert Matthias Schuler.

Das bedeutet, dass der Kaltluftsee am Tag etwa 6 °C kühler ist als seine Umgebung. Etwa ab einer Differenz von 4 Kelvin bemerkt der Mensch, dass sich etwas in der atmosphärischen Temperatur verändert. Daher wird die Wirkung selbst der eher geringen Temperaturabsenkung von wenigen Grad Celsius von den Besuchern als besonders wohltuend empfunden. Der Preis für das Klimawohlgefühl ist recht aufwendig, hat jedoch einen positiven Nebeneffekt, wie Matthias Schuler erläutert: „Was wir in Masdar City im benachbarten Abu Dhabi gelernt haben, ist, dass die 10 MW-PV-Anlage dort spätes­tens alle zehn Tage händisch mit Wasser gereinigt werden musste. Die Problematik beruht auf dem Flugsand, der sich auf alles legt. Es kommt hinzu, dass morgens, etwa zwischen 5 und 7 Uhr, alle horizontalen Flächen von Tau bedeckt sind. Dann kommt der Flugsand, der darauf festklebt und später die Sonne, die den Brei auf den Oberflächen festbrennt. Auf Grund dieser Umstände haben wir unsere PVT so eingestellt, dass sie sich über den Fundamentwärmetauscher genau in dieser Zeit aufheizt, um das Kondensat zu verhindern. Leider haben wir keinen Putzroboter aus Baden-Württemberg für diese Arbeit organisieren können, der hätte einfach den trockenen Sand wegblasen müssen. Ich sehe mich fast noch gezwungen, einen japanischen Roboter zu kaufen, um zu demonstrieren, wie die Anlage fehlerfrei laufen kann.“

Neben dem Baden-Württemberg House wurde Transsolar auch mit der klimatechnischen Planung der 1 550 m² großen Expo 2020-Repräsentation von Singapur (WOHA Architekten, Singapur) beauftragt. Die Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede sind wie folgt: Beide Pavillons haben als Thema, ein erträgliches Außenklima am Gebäude in einer Wüstenregion zu schaffen. Wo das Bauwerk für Baden-Württemberg mit einem auf freier Nachtkälte beruhenden Kaltluftsee operiert, liegt der Schwerpunkt im Singapur Pavillon auf einer guten Verschattung und auf Verdunstungskühlung, wofür das dazu notwendige Wasser über eine solarbetriebene Entsalzungsanlage nach dem Prinzip der Umkehrosmose aus brackigem Grundwasser gewonnen wird. Das energetische Zusammenspiel der Photovoltaik (160 MWh im Ausstellungszeitraum) mit der Entsalzungsanlage verwandelt den Pavillon in ein völlig autarkes Netto-Null-Energiegebäude. Transsolar war verantwortlich für die Konzeption und Planung des inte­grierten Energie-, Klima- und Wasserkonzepts.Der innen wie auch außen intensiv begrünte Singapor-Pavillon wirkt als eine kühle Oase, u. a. mit Hilfe des von Transsolar entwickelten „Dry-Mist“ Systems, das Wasser vernebelt. In der durch einen Ventilator bewegten Luft werden Wassertröpfchen vollständig verdunstet, wodurch die Temperatur im Luftstrom um ca. 6 bis 10 °C sinkt, was von den Besuchern als sehr angenehm empfunden wird. Die sich dahinter verbergende ­Aussage ist profund, wie Matthias Schuler schlagwortartig artikuliert: „Für und mit uns ist Netto-Null-Design durch erneuerbare Energien möglich. Es stellt die Zukunft dar.“ Ob sich dahinter eine weitreichende Lösung für eine Stadt und Region wie Dubai ergibt, die für ihren Energiehunger berüchtigt ist, muss und wird sich zeigen.

Welches Potential in den sich hinter Namen wie „CoolPool“ und „Dry-Mist“ enthaltenen energietechnischen Innovationen verbirgt, offenbaren weitere aktuelle Projekte von Transsolar im Mittleren Osten. Zwei Abenteuer-Spielplätze des Nationalmuseums in Doha sind ein solcher Ort, wo – ähnlich wie bei den Projekten der Expo 2020 – allerdings schon seit dem vergangenen Jahr demonstriert wird, wie in einem Wüstenklima auch in Außenbereichen bei extremer Hitze erträglichere Temperaturen geschaffen werden können. Ohne ein ganzes Arsenal an Technik werden allein durch eine effiziente Verschattung, helle Materialien und den bereits vorgestellten „Dry-Mist“ Trockennebel atmosphärisch-zumutbare Bedingungen für die spielenden Kinder geschaffen. Wesentlich größer und anspruchsvoller ist die schon 2015 in Zusammenarbeit mit sbp schlaich bergermann und partner realisierte, 36 Hektar umfassende „Heart of Doha“ Innenstadterneuerung. Zentrales Element sind hier großflächige Verschattungskonstruktionen, die aus faltbaren Membranstreifen zwischen den Häusern und über den städtischen Barahat Al-Nouq Platz gespannt sind. Nachts wird das leichte und mobile Dach zum Einströmen kühler Luft geöffnet.

Den großen kommerziellen Durchbruch für die Vision einer nachhaltigen Zukunft auf der arabischen Halbinsel stellen diese Projekte noch nicht dar. Entsprechende Klimalösungen für konven­tionelle Bürogebäude, Einkaufsmalls oder Hotels und Freizeitanlagen zu entwickeln, steht jetzt an. Zumindest ein Anfang ist gemacht.

www.vonm.de, www.transsolar.com, www.knippershelbig.com, www.bw-expo2020dubai.com
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