Fließende Architektur
Pavillon der EXPO Zaragoza 2008, Saragossa/E

Auf dem EXPO-Gelände in Saragossa lädt eine wahrhaftig „fließende“ Architektur die Besucher in der Sommerhitze zu einem erfrischenden Informationsstand ein. Die Wände des Pavillons sind aus „digitalem Wasser“ hergestellt. Ungewohnt ist nicht nur das „Baumaterial“ an sich, sondern auch die Effekte. Das kühle Nass ist nicht nur ein haptisches Medium, sondern transportiert Botschaften.

„Der Digital Water Pavillon“ enthält über 3 000 digital gesteuerte Magnetventile, zwölf Hydraulikkolben, einige Dutzend Öl- und Wasserpumpen, ein Kameraüberwachungssystem, eine ganze Menge Kontroll-­Software und viele andere Komponenten“, erklären die Architekten Carlo Ratti und Walter Nicolino. So technisch und kompliziert das klingen mag, den Besuchern auf der EXPO Zaragoza 2008 bescherte die Gebäudemaschine ein großes Vergnügen und manch einem eine frische Abkühlung. Die Architekten des Turiner Büros „CarloRattiAssociati – Walter Nicolino & Carlo Ratti“ nahmen das Leitthema der EXPO „Wasser“ auf und übersetzten den Begriff der fließenden Architektur nahezu wörtlich. Weiter verknüpften sie den Pavillon inhaltlich mit dem Ansatz der Milla Digital, einem Stadtentwicklungsprogramm, das die nordspanische Stadt Saragossa als Standort für Technologie und Wissen stärken soll. Entstanden ist ein Pavillon mit Wänden aus Wasser. Das Wasser fällt dabei nicht einfach von oben wie ein fließen­der Vorhang herunter. Die ausgeklügelte Technologie zeichnet Muster und Buchstaben in den Wasserfall, so dass das feuchte Medium nicht nur taktile Reize ausübt, sondern auch visuelle Botschaften übermittelt.

Wände aus „digitalem Wasser“

Wasser galt seit jeher als ein beliebtes Gestaltungsmittel für den öffentlichen, städtischen Raum. „Seit Jahrhunderten haben Architekten das Wasser durch Kanäle, Rohre, Düsen, Ventile und Pumpen geformt und geleitet“, erklären die Architekten. Die Technologie des „digitalen Wassers“ schreibe diese Tradition auf das digitale Zeitalter fort. Die Wasserwände bestehen aus Computer kontrollierten Magnetventilen, die alle vier Zentimeter an einem Rohr angebracht sind. Die Muster und Buchstaben entstehen durch das Öffnen und Schließen der Ventile bei einer hohen Frequenz von mindestens 100 Hertz – vom Prinzip wie bei einem Tintenstrahldrucker „scrollt“ der „Print“ aus Luft und Wasser kontinuierlich nach unten. Dabei lässt sich das Wasser in seinen Bewegungen auch schon mal auf eine musikalische Hinterlegung ein, und nicht nur Kinder haben einen großen Spaß daran, trockenen Hemdes durch die Wand zu gleiten. „Die Ventile können so programmiert werden, dass sie unterschiedliche Formen annehmen, dass sie Muster, Bilder und Texte zeigen, und dass sie dynamisch auf den Input durch Sensoren antworten“, erklären die Architekten. „Eine Fähigkeit, die den Architekten ermöglicht, viele traditionelle Ideen über die architektonische Form herauszufordern.“ Türen etwa bräuchten nicht mehr an bestimmten Positionen festgelegt zu sein, sondern wenn der Besucher auf eine Wand zugehe, könne sie sich sensorgesteuert öffnen und wieder nahtlos schließen.

Der Pavillon hier kann auf die unterschiedlichen Besucherströme reagieren, sich auf bestimmte Momente des Tages oder auf die Wetterbedingungen einstellen oder sich an die Erfordernisse eines Veranstaltungsprogramms anpassen.

Einfach und technisch

Die Gebäudestruktur des Pavillons an sich ist einfach. Im Erd- und Obergeschoss finden sich zwei Einbauten – ein Kubus informiert die Besucher über das städtebauliche Programm der „Digitale Mile“, der zweite Kubus bietet Touristeninformationen. Das Dach wird aus einer weit ausladenden Scheibe gebildet, die als ein großes Becken ausgebildet ist. Bei einem Gesamtaufbau von 400 mm nimmt sie etwa eine 50 mm starke Wasserschicht auf. Über Hubkolben kann das Dach in verschiedene Höhenpositionen gefahren werden, je nachdem wie
die Windbedingungen dies erfordern. Die beiden Kuben durchstoßen das Dach durch Öffnungen und stabilisieren es so in seiner Position. Ist der Pavillon geschlossen, fährt das Dach bis auf Bodenniveau und das Gebäude „verschwindet“ unter seiner Wasserfläche. Im Untergeschoss befinden sich ein Vortragsraum und die Nebenräume wie etwa der Sanitärbereich, die Technikräume und Wassertanks.

Auch wenn es sich bei dem Pavillon nicht um ein Gebäude im traditionellen Sinn handelt, spielten Überlegungen zu einer ökologisch verträglichen Ausrichtung eine wichtige Rolle. So herrscht in den Einbauten – die eigentlichen Gebäudeteile – auch bei hohen Temperaturen im Sommer eine angenehme Raumatmosphäre. Die Kühlung durch Verdunstung des Wassers ersetzt eine Klimaanlage. Das Wasser auf dem Dach ist nicht nur ein gestalterischer Clou, sondern als thermische Masse reguliert es die hohen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht. Das Dach selbst wirkt durch seinen Überstand als großer Sonnenschutz. Bei der Materialwahl legten die Planer Wert darauf, dass recyclebare Baustoffe eingesetzt wurden oder – wie etwa bei dem Stahl – bereits in wieder verwendeter Form einge­baut wurden. Das Wasser wird in einem Kreislauf aufbereitet, das verdunstete Wasser wird nachgeführt.

Architekten, Designer und Erfinder

„Vielleicht sehen wir uns als Erfinder, die mit dem Raum und neuen Technologien spielen, um das menschliche Erleben zu verbessern“, antworten die Planer auf die Frage, ob sie sich eher als Architekten oder als Designer definieren. Architektur und Design hängen für sie ununterbrochen zusammen, und sie führen ein Zitat des Schweizers Max Bill an, der als Architekt, Künstler und Designer tätig war und in Dessau am Bauhaus studierte: „vom Löffel bis zur Stadt“. „Das gilt auch für die digitale Architektur. Die digitale Ebene erlaubt es uns jedoch, diese Idee auszuweiten. Das traditionelle Design, das man als Interaktion zwischen Mensch und Maschine begreift, erfasst die gebaute Umwelt. Städte, Gebäude, digitale Netzwerke und Technologien stellen noch nie dagewesene Möglichkeiten dar.“ Das Experimentieren ist ein Hauptziel. In den Forschungsarbeiten am Massachusetts Institute of Technology (MIT), an dem Carlo Ratti als Direktor tätig ist, entstehen viele Ideen im SENSEable City Laboratory, die danach oft in den Projekten des Büros weiter ausgearbeitet und zur Realisierung geführt werden.

Mit dem Blick zurück auf die Anfänge der digitalen Entwicklung, führen die Architekten die ausgesprochene Aufregung an, was die Aussichten für die Formgebung in der Architektur angingen. „In den Neunzigern hat uns die digitale Technologie dazu geführt, über entfernte digitale Welten zu fantasieren“, führen sie aus. „Heute sind wir weiter: Die Zukunft der Architektur könnte von digital bereicherten Umgebungen handeln, in denen Bits und Atome nahtlos verschmelzen. Jedes Individuum antwortet auf seine Weise auf sein physisches Umfeld, beeinflusst es und verschmilzt mit einer sich beständig umformenden Architektur.“ Der Traum von der digitalen Architektur sei immer gewesen, reaktionsfähige und sich ständig umgestaltende Gebäude zu schaffen, die erscheinen und verschwinden könnten. Sicher klingt bei all dem noch etwas Zukunftsmusik durch, aber in Saragossa ist ein großer Schritt in die Richtung geschafft. Auf dem ehemaligen EXPO-Gelände werden am Abend nicht die Bürgersteige hochgeklappt, sondern der Pavillon verschwindet einfach von der Fläche, wenn er genug vom Reagieren hat. Christiane Niemann, Hamburg

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