Konstruktivistische Landmarke
Der Jübergturm im sauerländischen Hemer

 

Aus Anlass der Landesgartenschau NRW entstand im sauerländischen Städtchen Hemer der 24 Meter hohe Jüberturm. Weithin sichtbar steht er auf der Spitze des gleichnamigen Bergs. Zum Blickfang macht ihn aber vor allem sein ungewöhnliches Konstruktionsprinzip: Der kelchförmige „Stabschalen-Hyperboloid“ ist Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Architekten und Tragwerksplanern.

Hemer, ein Sauerlandstädtchen unweit von Hagen, nutzte den Zuschlag für die NRW-Landesgartenschau 2010 zur Neugestaltung weiträumiger ehemaliger Kasernengelände und Truppenübungsplätze, die die Bundeswehr nach Aufgabe des Standortes 2006 zurück gelassen hatte.

Herzstück des Gartenschaugeländes bildet der Hang des 304 m ­hohen Jübergs, des bewaldeten Hausbergs von Hemer. Seinen stadtseitigen Hang verwandelte man in einen Park, durch den eine „Himmelstreppe“ auf den Berg führt – ihr Endpunkt, so die Idee der Land­schaftsarchitekten (Geskes Hack Landschaftsarchitekten, Berlin) bildet ein Aussichtsturm. Zugleich markiert der weithin sichtbare Turm die Grenze zwischen der Stadt und der sie umgebenden Waldlandschaft. Nach Schwierigkeiten mit dem im Wettbewerb erstplatzierten Entwurf entschlossen sich die Auftraggeber zur Realisierung des zweitplatzierten Entwurfes, einer Holz-Stahl-Konstruktion der Architekten Birk und Heilmeyer sowie des Ingenieurbüros Knippers Helbig Beratende Ingenieure.  


Prinzip der eingespannten Röhre

Die beiden Stuttgarter Büros Birk unnd Heilmeyer Architekten und Knippers und Helbig Ingenieure realisierten auf dem Jüberg einen 23,5 m hohen Turm, dessen Form an einen riesenhaften Kelch erinnert. Doch die zweischalige Hülle des Bauwerks weist eine strenge, vertikale Lamellenstruktur auf. Sie besteht aus 240 geraden Brettschichtholzstäben aus sibirischer Lärche, die von 16 horizontalen Stahlringen zusammengehalten werden und die das Tragwerk des Turms bildet. Das vereinfachte statische System ist eine eingespannte Röhre deren Wandung aus einem Stabschalentragwerk besteht. Der stählerne Treppenaufgang im Inneren wird von der doppelten Schale getragen, innere Stützen gibt es nicht. Ausgehend von einem 6 m breiten Sockel wölbt sich der Turm konisch auf bis zur seiner 9 m breiten Aussichtsplattform. Das Tragwerk des Hyperbolids besteht aus zwei gegenläufig geneigten Stabscharen aus Brettschichtholz. Innere und äußere Stabschar bilden jeweils 20 Stabpakete zu je sechs Holzstäben. Jeder Stab hat einen quadratischen Querschnitt von 8 x 8 cm und ist über Schlitzbleche an den horizontalen Stahlringen befestigt, die im Abstand von 1,45 m übereinander zwischen der inneren und der äußeren Stabschale liegen.

50 000 Schrauben, Schlitzbleche und Stahlscheiben

Die fünf Treppenpodeste sind als Ringscheiben aus Stahl ausgebildet, die an ihrem äußeren Rand gelagert sind. Ihre Scheibenwirkung wird durch Speichen erzeugt, die biegesteif mit dem Innenring verbunden sind. Insgesamt fünf gewendelte Treppen spannen in vertikaler Richtung zwischen den Speichenrädern. Durch die Kopplung der Hölzer mit den horizontal angeordneten Stahlringen entsteht eine statisch effiziente Dreiecksstruktur, bei der lediglich das filigrane Holzstabwerk der Außenhülle trägt. Diese Lamellenschale trägt alle vertikalen und horizontalen Lasten ab. Mit abnehmender Zahl der Holzstäbe nimmt auch die Steifigkeit des Turm von unten nach oben ab.

Die Konstruktion ist unterhalb des Ringfundaments mit zehn Mikrobohrpfählen bis zu fünf Meter tief in den Untergrund verankert. Oberhalb der Basis halten rund 50 000 Schrauben und Stabdübel die stählernen und hölzernen Elemente des Turms zusammen.

Konstruktion als Raumerlebnis

Der große Reiz des Entwurfs besteht darin, konstruktive Notwendigkeit mit dem Raumerlebnis des Besuchers zu verbinden: Auf dem Weg nach oben dünnt sich die hyperbolische Gitterschale entsprechend der Lastabnahme immer weiter aus – der erste Stab aus dem Stabpaket endet am ersten Podest, fünf führen weiter, dann vier, drei und schließlich reichen zwei der sechs Stäbe bis zur Turmspitze. Im ersten Abschnitt des Turms ist der Besucher noch „im dichten Wald“, wie es Architekt Stephan Birk ausdrückt je höher er emporsteigt, desto mehr lichtet sich das hölzerne Dickicht der Turmwand

Die frei bewitterte Holzkonstruktion versah man gemäß DIN 68 800 Teil 3 mit einem vorbeugenden chemischen Holzschutz. Alle Hirnholzflächen werden durch einfache Abdeckbleche geschützt. Bei der Ausbildung der Detailpunkte achteten die Planer darauf, stehendes Wasser zu vermeiden. Den Ingenieuren war klar, dass der frei auf der Bergspitze stehende Turm erheblichen Windkräften würde standhalten müssen. Jedoch ließ sich die mögliche Windlastannahme der gewählten Konstruktion mit Hilfe der bestehenden Normen nur sehr nährungsweise und konservativ berechnen. Um zu einer realistischen Einschätzung zu gelangen wurden die maßgeblichen Belastungen experimentell ermittelt.

Miniatur-Turm im Windtest

Zu diesem Zweck fertigte das Büro Wacker Ingenieure aus Birkenfeld ein starres Modell des Turms im Maßstab 1:40. Das Turmmodell beinhaltete neben der äußeren Holzstruktur auch sämtliche Podeste, Treppenläufe und Geländer. Man setzte es, auf einer Fünf-Komponenten-Kraftwaage stehend, mittleren und fluktuierenden Winddrücken aus. Die Windkraftmessungen wurden so durchgeführt, dass man die Reaktionskräfte exakt den einzelnen Turmabschnitten zuordnen und so eine ausreichend genaue Lastverteilung bestimmen konnte.

Neben den Windlasten untersuchten die Ingenieure die Anfälligkeit des Turms für Schwingungen, sei es durch Winddruck oder eine große Zahl von Besuchern auf dem Turm. Ausgehend von einer rechnerischen Windlast von ca. 150 km/h ermittelten die Ingenieure für die oberste Plattform eine rechnerische horizontale Auslenkung von maximal 60 mm. Mit Blick auf die rund 24 m Gesamthöhe des Turms ergibt sich so eine Verformung von ca. l/400 ; ihre Eigenfrequenzen liegen außerhalb des durch Windböen anregbaren Frequenzbereichs.

Montage binnen sechs Wochen

Allerdings war zu erwarten, dass die filigrane Konstruktion besonders im oberen Bereich auf Anregungen durch größere Besucherströme reagiert. Sobald mehrere Treppennutzer zugleich die Turmstufen erklimmen, entsteht ein Gleichtakteffekt, der durch die Überlagerung zahlreicher an sich geringer horizontaler Impulse zu einer signifikanten Anregung um circa zwei Hertz führt. Die Konstruktion weist horizontale Eigenfrequenzen nahe dieser Frequenz auf. Dadurch entstehen wahrnehmbare Horizontalschwingungen, deren Amplituden jedoch kleiner sind als unter Windlasten. Aufgrund der sehr hohen Systemdämpfung des mit Stabdübeln gefügten Holztragwerks klingen diese periodischen Auslenkungen aber rasch wieder ab ohne aufzuschaukeln. Daher konnte auf zusätzliche schwingungsdämpfende Maßnahmen verzichtet werden.

Obwohl die Architekten erst neun Monate vor Beginn der Gartenschau den Auftrag erhielten, wurde der Turm rechtzeitig fertig. Seine Montage erfolgte binnen sechs Wochen. Dieser „äußerst sportliche“ Zeitplan sei nur durch die perfekte Zusammenarbeit mit den Ingenieuren von Knippers Helbig und der ausführenden Firma zu halten gewesen, sagt Architekt Stephan Birk. Hinzu kam ein hoher Vorfertigungsgrad: Bei den Stahlbauteilen wurde die maximale Transportgröße ausgereizt ebenso wie bei den Stabpaketen, die in einer Länge von bis zu 25 m montiert wurden.

Auf dem Jüberg von Hemer ist ein äußerst elegantes Bauwerk entstanden, bei dem die Strenge der Form mit dem weichen, organischen Werkstoff Holz kontrastiert. Obwohl kerzengerade, scheinen sich die Holzstäbe weich um den Turm zu legen -ein visueller Effekt, der wohl auf die gegenläufig geneigte Anordnung der Stabreihen zurückzuführen ist. Wo Tragwerksplaner und Architekten dergestalt auf Augenhöhe zusammen arbeiten, kehrt die Schönheit konstruktiven Raffinements zurück in die Architektur. Frank Peter Jäger, Berlin

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