Ich habe von Musik keine Ahnung
Ein Gespräch mit Peter Haimerl, München
Im 2 000-Seelen-Ort Blaibach, mitten im Bayrischen Wald, wurde Mitte September ein Konzerthaus eröffnet. Kein Musikantenstadl, ein zeitgenössischer Musikraum für 200 Zuhörer mit offenbar überdurchschnittlicher Akustik. Wie kam es zu dem Coup und wie kommen die Blaibacher mit der Hochkultur zwischen Metzgerei und Gemischtwaren klar? Wir trafen uns mit dem Architekten Peter Haimerl in der Hektik der letzten 1 000 Handgriffe zwischen Freiwilligen, Handwerkern und Baumaschinen vor Ort. Das Gespräch aber führten wir zwei Tage später.
Peter Haimerl, sind Sie noch mit allem fertig geworden?
Alles wunderbar. Ein toller Erfolg.
Ein Konzerthaus mitten im Bayrischen Wald … Gibt es eine kleine Geschichte dazu von Ihnen?
Warum im Bayrischen Wald kann ich Ihnen leicht sagen. Früher galt diese Region als ländliches Gebiet mit Land- und Forstwirtschaft, mittlerweile gibt hier alles, was auch urbanere Gebiete haben – außer der Hochkultur vor Ort. Ein langjähriger Bewohner von Blaibach hat es auf den Punkt gebracht: Als Lehrer fühlte er sich nicht so recht dem Ort zugehörig. Aber mit dem Bau des Konzerthauses kann er sich viel eher mit Blaibach identifizieren.
Ist die Freude des Lehrers auch die des Landwirts?
Das Problem ist ja wohl, dass es die ländlich geprägte Bevölkerung kaum mehr gibt. Es gibt in Blaibach und in den Dörfern ringsum nur wenige Arbeiter und Landwirte, stattdessen hauptsächlich Angestellte. Unsere Granitfassade bezieht sich auf die Tradition der Steinhauer.
Aber ja, es gab und gibt noch Vorbehalte gegen das Konzerthaus. Die Gründe liegen aber weniger in der Architektur. Kurz bevor der Bau entschieden wurde, wurde das Freibad geschlossen und natürlich haben die Freibadbefürworter gleich gesagt: „Unser Freibad macht ihr zu und das ganze Geld wird in den Konzertsaal gesteckt!“
Wie finanziert sich das Konzerthaus?
Träger ist die Gemeinde. Der Bau wurde zu 60 % aus Mitteln der Städtebauförderung finanziert, es gab Geld vom Kulturfond und von Sponsoren. Der international bekannte Bariton Thomas Bauer betreibt das Gebäude.
Weg vom Geld, hin zum Auftrag: Müssen Sie Ihre Heimat als Architekt in die Jetztzeit bringen?
Ja. Ganz klar, das ist der Punkt. Hinzu kommt, dass man ein solches Projekt in Oberbayern [der Wahlheimat von Peter Haimerl; Be. K.] gar nicht verwirklichen könnte.
Warum nicht?
Weil dort die Strukturen viel zu verkrustet und die Menschen mit Kultur zu gesättigt sind. Im Bayrischen Wald sind viele Strukturen erst gar nicht gesetzt. Grundsätzlich ist die Bevölkerung im Bayrischen Wald sehr aufgeschlossen gegenüber der Gegenwartsarchitektur
Das überrascht! Der Hinterwälder – verzeihen Sie – ist also der modernen Architektur aufgeschlossener als der metropolitane Bürger?
Der metropolitane Bürger weiß genau, was gut und richtig ist – denkt er. Der Bayrische Wald, immer schon Grenzgebiet, musste aufgeschlossen sein zwischen den Welten, zwischen Ost und West. Das sieht man schon an der vielfältigen Hauslandschaft. Zudem hat der Blaibacher Gemeinderat erkannt, dass hier dringend gehandelt werden musste.
Das Konzerthaus ist in Blaibach ja nicht das erste Projekt?
Wir haben ja schon viel früher angefangen: Mit einem Ferienhaus, einem alten Hof. Das Projekt „Birg mich, Cilli!“ hat wahnsinnig in der Presse eingeschlagen. Bald schon hatte mich das Landesamt für Denkmalpflege angerufen und gesagt, dass das doch eine fantastische Methode sei, wie man alte Bauernhäuser sanieren könnte. Die haben mir einen Studienauftrag gegeben für ein Projekt im Bayrischen Wald. Das hat mich auf die Idee gebracht, moderne Architektur mit Denkmalpflege in Zusammenhang zu setzen. Und so alte Häuser in meiner Heimat zu retten. Auf der Suche nach alten Häusern bin ich dann nach Blaibach gekommen. Hier habe ich ein altes Bauernhaus gefunden. Und über eine Kollegin von Ihnen habe ich erfahren, dass es gerade einen Wettbewerb gibt, in dem Ideen entwickelt werden, wie man verlassene Ortskerne revitalisieren könnte [„Ort schafft Mitte“, ein Modellvorhaben der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr; Be. K.]. Ich habe für die Gemeinde Blaibach diesen Wettbewerb kostenlos mit der Auflage realisiert, dass im Falle des Erfolges ich das Objekt betreuen würde. Unser Konzept hat gewonnen, wir haben das Bürgerhaus umgebaut, das alte Waldlerhaus mit neuem Betonkern saniert und noch einen dritten Teil. Natürlich darf das kein theoretischer Städtebau werden, die Menschen müssen mitziehen, müssen wollen, dass wir mit modernen Mitteln ihr Rathaus in die Mitte zurückholen.
In die Mitte? Stand das Rathaus vorher abseits?
Die hatten kein Rathaus, die Blaibacher hatten in einer Mehrzweckhalle ein paar Zimmerchen, das war mehr als unsäglich! Das war der Auslöser für den Thomas Bauer [Gründer der „Kulturwald“-Initiative, wie Peter Haimerl biografisch mit dem Bayrischen Wald verbunden; Be. K.], sich auch hier im Ort zu engagieren.
Kommen wir zum Konzerthaus …
Das ist eine längere Geschichte: Zuerst wurde über das „Ort schafft Mitte”-Verfahren über Blaibach das Standardmodell gelegt mit Ärztehaus, Wohnungen etc. Das hat keinen interessiert, und ehrlich gesagt helfen Wohnungsbaukonzepte auch nicht gegen Abwanderung.
A propos Konzept: Ist die Kistenform des Musikhauses ein Konzept?
Wenn Sie ein Konzerthaus planen können Sie alles falsch machen, nur nicht die Akustik! Deswegen habe ich von Anfang an alle Entscheidungen der Akustik untergeordnet. Für uns war das gut, wir hatten ja auch nicht so viel Geld [1,6 Mio. € hat der Konzerthaus gekostet; Be. K.]. Dann mussten wir uns dem Maßstab und der Topografie des Ortes anpassen. Die Nebenräume wurden unter den neuen Dorfplatz geschoben und nur der Saal selbst blieb als Baumasse nach außen sichtbar. Der Ort Blaibach selbst besteht aus mehreren Ebenen. Da ist unten das Bauernhofplateau, dann kommt das Zwischenplateau mit dem Bürgerhaus und dem Schloss und oben ist das Kirchplateau.
Dieser Topografie angepasst haben wir die Schachtel gekippt, was ja auch die Sichtverhältnisse innen deutlich verbessert. Akustisch gesehen bleibt hier alles gleich hochwertig. Und ich habe einen Zugang von Dorfplatz oben und einen unten für den Behindertenzugang. Dadurch erhalte ich eine zweite Qualität und spare uns auch den Lift.
Die Fassaden sind mit Granitbruch vergossene Betonplatten?
Blaibach versteht sich als Steinhauerdorf, die haben hier alle vom Granitabbruch gelebt. Angeblich ist ein Großteil des Olympia-Stadions in Berlin aus Blaibach. Wir haben die Steine hier aus einem Blaibacher Steinbruch geholt … für mich ist das irgendwie auch wie ein Denkmal geworden.
Beton ist Ihr Material, oder?
Mit diesem Glasschaumbeton mache ich seit etwa 10 Jahren alles.
Bleiben da auch Variationen?
Bei allen Häusern, die wir in Blaibach machen, haben wir den gleichen Beton verwendet und überall zeigt er sich anders. Dieser Beton schaut sehr natürlich aus, wirkt nicht so glatt und sauber, nicht so kalt wie der häufig angewandte Sichtbeton. Für den Architekten ist dieser Beton auch deshalb sehr gut, weil man damit diese Lässigkeit erreicht, ohne kleinkarierte Details entwickeln zu müssen.
Wie bekommt man die Oberflächenstruktur des Betons im Konzertsaal hin? Zufall oder Ergebnis von Versuchen?
Ich mache grundsätzlich keine Versuche. Auch die 450 m² große Fassade haben wir ohne Versuche gebaut. Aber ich habe aus allen meinen Baustellen gelernt. Die Muster im Beton, die Sie im Konzertsaal sehen, sind eigentlich Schalungsfehler, ergeben aber eine reichhaltige Optik. Der Bauunternehmer und Teile der Gemeinde wollten mich dazu bringen, die Betonnester zu spachteln!
Geht es im Bayrischen Wald weiter? Oder auch mal in Berlin?
Ja, ich hoffe, dass es im Bayrischen Wald weitergeht. Hier ist Entwicklungspotential, hier sind Möglichkeitsräume. Mein Büro ist in München, Projekte möchte ich überall machen.
Letzte Frage: Haben Sie das Eröffnungskonzert genossen?
Ich habe von Musik keine Ahnung, ehrlich. Aber ich fand, dass es super geklungen hat! Und ich weiß, dass ich hier nicht der einzige war, der den Abend genossen hat.
Mit Peter Haimerl sprach DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 15. September per Telefon. Der Architekt wollte wenige Stunden vor Eröffnung des Konzerthauses noch selbst an den meisten Schrauben drehen.