Kraftwerk AMV4, Kopenhagen/DK
Kopenhagen ist eine vergleichsweise flache Großstadt, in der größere Gebäude durchaus ins Auge fallen. So auch der neue Kraftwerksblock „AMV4“ im Hafen, der selbst vom Zentrum aus noch gut sichtbar ist. Gottlieb Paludan Architects und das Lichtplanungsbüro Speirs Major haben den Industriebau mit einem Vorhang aus unzähligen Holzstämmen versehen, der bei Dunkelheit mit Licht eindrucksvoll
inszeniert wird – und so eine neue Landmarke im Stadt-gefüge schafft.
Bis zum Jahr 2025 will Kopenhagen bei der Energieversorgung CO₂-neutral sein. Die Chancen für dieses ehrgeizige Vorhaben stehen gut, denn mittlerweile sind fast 99 % der Haushalte dort an das Fernwärmenetz angeschlossen, das seit einigen Jahren konsequent umgebaut wird. Neben der Effizienzsteigerung der Anlagen ist vor allem der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien ein zentraler Hebel der Transformation. Eines der wichtigsten Heizkraftwerke befindet sich auf der der Stadt vorgelagerten Insel Amager, auf der sich neben einigen Stadtteilen auch der Flughafen Kastrup sowie Bereiche des Hafens und Industrieflächen befinden. Im Kraftwerk Amagerværket des Energieversorgers Hofor wurde in vier Blöcken einst elektrische Energie erzeugt und das verbrauchte Kühlwasser zum Betrieb eines Fernwärmenetzes genutzt. Heute steht die Produktion von Fernwärme im Mittelpunkt, denn für die Stromproduktion werden zunehmend Windkraft und Photovoltaik genutzt. Im nun neu errichteten Kraftwerksblock 4, dem „AMV4“, werden ausschließlich Holzspäne als Brennstoff verwendet.
Narrativ der Energieproduktion
Diese wichtige energetische Vorgeschichte bildete die inhaltliche Arbeitsgrundlage für Gottlieb Paludan Architects, deren Aufgabe es beim 2015 ausgeschriebenen Architekturwettbewerb war, eine Fassade für das Kraftwerksgebäude zu finden, dessen Dimension bereits durch die Anlage selbst vordefiniert war. Das Ziel ihres Entwurfs war eine Weiterführung des Narrativs der Energieproduktion mit Holz und die Schaffung eines prägenden Orts, der sich zurückhaltend in den städtebaulichen Kontext fügt. „Die Stadt entwickelt sich immer weiter und die Wohngebäude rücken immer näher an die Infrastruktureinrichtungen heran“, erläutert Jesper Raven von Gottlieb Paludan Architects. „Wir alle tragen deshalb die Verantwortung dafür, dass diese Welten bestmöglich zusammenfinden.“ Für ihn war es also folgerichtig, eine identitätsstiftende Fassade zu finden, die nicht nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu sehen ist, sondern auch die Dunkelheit nutzt, um die Geschichte der Energieproduktion in Kopenhagen zu erzählen. Deshalb holte sein Team von Beginn an das Lichtplanungsbüro Speirs Major ins Boot, um gemeinsam eine Fassade zu entwickeln, die – so der Wunsch des Bauherrn – sich der Stadt mit rücksichtsvoller und gleichzeitig kommunikativer Architektur nähert.
Bäume als Fassadenmaterial
Die Verwendung von Bäumen als Ausdruck der Funktionen im Gebäudeinneren und damit der Bedeutung von Holz für die Stadt war von Anfang an wichtiger Teil des Konzepts. Die Grundidee des Entwurfs basiert auf dem Einsatz von Baumstämmen an allen vier Fassadenseiten, wodurch die Konturen des Industriebaus aufgelöst werden und das Bauwerk eine zusätzliche, nuancierte Textur erhält. Verstärkt wird dieser Effekt noch an der Hauptfassade zur Innenstadt, wo die Baumstämme in mehreren Reihen mit einer Tiefe von 6 m angeordnet sind. Am gesamten Bauwerk sind so rund 8 500 Baumstämme mit einer Gesamtlänge von ca. 48 km vorgehängt. Das verwendete Eukalyptus-Holz (Eucalyptus coloeziana) aus einem FSC-zertifizierten Anbau in Südafrika verrottet und splittert nicht, sodass es sich gut für den Einsatz hier am Hafen eignet.
Bewusstsein für Energieproduktion
Üblicherweise sind Häfen und Kraftwerke geschützte Bereiche, die nicht betreten werden können. Nicht so im Amagerværket, wo der Zugang zum neuen Block 4 sogar ausdrücklich erwünscht ist: Vom Vorplatz aus führt eine lange Treppe entlang der Hauptfassade durch den stilisierten Wald, in den das Tageslicht hineinfällt und so das authentische Gefühl von Sonnenlicht im Wald erzeugt. Bei Dunkelheit wird die Treppe von im Geländer versteckten Lichtbändern beleuchtet. Auf dem Weg nach oben erhält man durch große Fenster einen Blick in die Kraftwerksanlagen, wodurch ein Bewusstsein für die Energieproduktion entwickelt werden soll.
Schimmern im Wald
Für die Zeit nach Einbruch der Dunkelheit haben Gottlieb Paludan Architects und Speirs Major der Geschichte der Energieproduktion ein weiteres Narrativ hinzugefügt. Jetzt wird mittels einer ausgeklügelten Fassadenbeleuchtung ein immerwährendes Schimmern auf die Baumstämme gezaubert. Die Licht- und Schattenmuster in ständig wechselnder Geschwindigkeit, Schärfe und Intensität enthüllen sanft die Tiefe und die Textur der Holzfassade. Der Vorhang aus Baumstämmen verliert seine Festigkeit und verwandelt sich in ein Lichtspiel, ein – so Jesper Raven – „geheimnisvolles Gewebe, wie das Rauschen des Meeres oder das Wogen eines Getreidefeldes“. Um diesen Effekt zu erzeugen, waren hunderte Tests notwendig, von Modellen im Studio bis hin zu Teilmodellen im Maßstab 1 : 1 vor Ort. Ergebnis der aufwendigen Untersuchungen war die Positionierung von insgesamt 49 koffergroßen Projektoren auf 8 m hohen Montagepfosten, die in einem Abstand von 25 m von der Fassade angeordnet sind (gesamte Leistungsaufnahme: 7 kW). Die Geräte enthalten eine Kombination aus Filtern, Linsen, Gobos sowie motorisierten Animationsscheiben und sind zudem für den Einsatz im Außenbereich mit dem salzhaltigen Wind des Hafens geeignet. „Der Effekt“, erklärt Keith Bradshaw von Speirs Major, „wird durch die Rotation innerhalb der Projektoren erzeugt, bei der zwei Elemente sich in entgegengesetzter Richtung bewegen. Durch die sorgfältige Einstellung des Fokus und eine leichte, bernsteinfarbene Tönung entsteht die Illusion eines von der Natur inspirierten Lichts, das sich nie wiederholt.“
Weniger Kunstlicht
Um ein möglichst subtiles Schimmern zu erzeugen, war es gleichzeitig notwendig, für eine dunkle Umgebung zu sorgen. Also wurde zusätzlich eine Verdunkelungsstrategie erarbeitet, die den Bereich des gesamten Kraftwerks betrifft. Die dadurch verringerte Lichtverschmutzung kommt der Stadt und dem Umfeld des Øresund dauerhaft zugute. „Wir haben sehr darauf geachtet, die Fassade nicht zu stark zu beleuchten, sowohl was die Intensität als auch was die Lichtstreuung betrifft. Jede einzelne Leuchte erfüllt eine äußerst präzise Aufgabe, sodass auch die Anzahl der Leuchten genau bemessen ist. Die Ausstrahlungswinkel sind sorgfältig eingestellt und das Licht wird nur minimal über die Fassade gestreut“, berichten Keith Bradshaw und Jesper Raven. So ist es den beiden mit ihrem Entwurf für Amagerværket 4 gelungen, die heutige Nutzung von Holz und das Holz als uralten Brennstoff zur Erzeugung von Wärme in eine einzige außergewöhnliche und poetische Lichterzählung zu übersetzen. Thomas Geuder, Stuttgart
Projektdaten
Objekt: Amager Power Plant unit 4 (AMV4)
Standort: Vindmøllevej, Kopenhagen/DK
Eigentümer/Nutzer: HOFOR (Kopenhagener Elektrizitätswerk)
Architektur: Gottlieb Paludan Architects, Kopenhagen/DK, www.gottliebpaludan.com
Lichtplanung: SPEIRS MAJOR LIGThING ARCHITECTURE, London/GB, www.smlightingarchitecture.com
Technische Beratung und Ausführung: Stouenborg, Taastrup/DK, www.stouenborg.dk
Landschaftsarchitektur: LYTT Architecture, Aarhus/DK, www.lytt.dk
Elektroplanung: MOE, Kopenhagen/DK,
www.moe.global
Bauzeit: 2016-2021
Hersteller
Beleuchtung: LightGraphix Ltd., www.lightgraphix.co.uk; Stoane Lighting, www.stoanelighitng.com;
Vexica Technology, www.vexica.com; iGuzzini Illuminazione S.p.A., www.iguzzini.com; Selux GmbH, www.selux.com
Die Übersetzung des Themas der nachhaltigen Energiegewinnung in eine lebendige Fassadendarstellung, die sich in der Helligkeitsintensität subtil in den nächtlichen Hafenkontext integriert, aber gleichzeitig durch die ständige Veränderung eine starke Aussagekraft hat, birgt das Potenzial, ein neues Wahrzeichen zu werden. Die Dreidimensionalität der Fassade, die sich aufdrängende Assoziation mit einem von Sonnenlicht durchfluteten Wald schaffen die Verbindung zwischen dem Rohstoff Holz und der Notwendigkeit einer nachhaltigeren Energiegewinnung in der heutigen Gesellschaft.«
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