Labor für visionäre Architektur
Das Architekturbüro Lava, Stuttgart/Sydney

Die Zeiten, in denen sich junge angesagte Architekturbüros auf spektakuläre Freiformen verließen, sind vorbei. Der Grund dafür ist einfach: Noch lange nicht, vielleicht auch nie, wird es möglich sein, den digitalen Entwurf schnell, preisgünstig und 1:1 in die Realität umzusetzen.

In der Innenraumgestaltung, im Möbeldesign, im Messebau, auch in einigen realisierten Bauten werden die Formvisionen der Avantgarde schon Wirklichkeit. Im großen Maßstab sind nur sehr wenige Projekte tatsächlich realisiert. Wer sich als Architekt allein auf das Fassadendesign beschränkt und sich auch nicht zu schade ist, dies zu einer Marke auszubauen, wird wohl nicht in die Architekturgeschichte eingehen.

Lava will mehr und geht daher einen
anderen Weg. Fest verankert in der Hochschullandschaft, in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten und Unternehmen der High-Tech-Branche, wird der parametrische Entwurf mit den Begriffen Nachhaltigkeit, Umwelttechnik und Energieeffizienz verbunden. Das eine befruchtet das andere. Da „grüne Architektur“ heute fast selbstverständlich ist wird die Form nachvollziehbar und glaubhaft aus der Funktion entwickelt. Es wirkt daher nicht aufgesetzt, wenn sich Lava in einer Kampagne der Umweltschutzorganisation WWF für geschützte Tierarten einsetzt. Wann sagt ein Architekt in einer offiziellen Mitteilung schon einmal Dinge, wie: „ Der majestätische Tiger muss vor dem Aussterben bewahrt werden“. So jedenfalls das Statement von Tobias Walliser zu dem Projekt „Origami Tigers“, das in Zusammenarbeit mit der Umweltstiftung WWF entstand. Die Tiger-Skulpturen bestehen aus Aluminium und Barrisol und sind zu hundert Prozent wiederverwertbar. Zuletzt waren die sieben Meter langen und zweieinhalb Meter hohen Skulpturen in Berlin vor dem Hauptbahnhof zu sehen, davor in Sydney, Kuala Lumpur und Singapur. In ihrem Innern suggerieren LED-Leuchten einen Pulsschlag der Skulpturen.

Nachhaltigkeit und Umweltschutz – die von Lava entwickelten Origami Tiger verweisen nicht nur auf die vom Aussterben bedrohte Tierart. Lava hat keine Berührungsängste. Die digitalen Entwurfstechniken können genutzt werden für Bühnengestaltung, für Kunstobjekte oder eben auch für Demo-Projekte von Umweltorganisationen. Architektur und Umwelt verschmelzen in diesem Projekt sehr augenscheinlich.

Wer steckt hinter Lava ? Die drei Büropartner sind jung, aber bereits sehr erfahren. Mit Großbauten bei etablierten Büros konnten sie beweisen, dass sie ihre „visionäre Architektur“ auch umsetzen können. Das als „Watercube“ bekannte Schwimmstadion in Peking ist durch die Olympiade weltbekannt geworden. Es erhielt, neben vielen anderen Preisen, 2004 den „Atmosphere Award“ auf der Biennale in Venedig. Verantwortlich für den Entwurf war Chris Bosse, einer der Direktoren von Lava. Zu dieser Zeit war er noch als Architekt bei PTW Architects in Sydney tätig. Nun ist er für Lava Asia Pacific verantwortlich und leitet das Büro in Sydney. Chris Bosse erhielt 2008 vom RIBA (Royal Institute of British Architects) eine Auszeichnung als „Emerging Architect“.

Nicht nur in Deutschland wurde das Mercedes-Benz Museum in Stuttgart bekannt und gewürdigt. Vor der Gründung von Lavawar Tobias Walliser zehn Jahre als assoziierter Architekt bei UN Studio in Amsterdam tätig und als Projektpartner für das Museum verantwortlich. Heute ist Tobias Walliser Professor für Innovative Bau- und Raumkonzepte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart.

Der dritte im Bunde, Alexander Rieck, forscht am renommierten Fraunhofer Institut über Arbeitsorganisation der Zukunft und über virtuelle Realität. Bevor er in die Forschung ging, arbeitete er für einige bekannte Architekten in Deutschland. Er schrieb eine Vielzahl an Veröffentlichungen zur innovativen Büroorganisation und über Bauprozesse der Zukunft. Mit Tobias Wallisser leitet er das Büro in Stuttgart.

Das erste „Mega Projekt“ von Lava ist ein Multifunktions-Gebäudekomplex in Masdar City in Abu Dhabi. Lava konnte den Wettbewerb für sich entscheiden und wird in der „Vorzeige-Öko-City“ den zentralen Platz gestalten. Ziel war es, das Beste der alten europäischen Stadt, den zentralen Platz, in die Wüste zu transformieren. Dichte, Frequenz und Urbanität sollen das Herz der Stadt bestimmen, dabei aber auf Lebensqualität und moderne Formen nicht verzichtet werden. Nachhaltigkeit soll nicht mit fehlendem Komfort verbunden werden.

Um den zentralen Platz von Masdar City herum entsteht ein Fünf Sterne Hotel, ein Hotel für Langzeitgäste, ein Konferenzzentrum, Ladenflächen, Unterhaltungs- und Wellnesszentren. Die den zentralen Platz umgebenden Fassaden erinnern an Felsenstrukturen, an Gesteinsschichten, die langsam erodiert sind. Wie ein Canyon inmitten der Wüste ist der Platz von ihnen umschlossen.

Der Höhepunkt des Stadtzentrums und letztlich gestaltgebend sind jedoch die überdimensionalen und faltbaren Sonnenschirme, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Die Architekten nennen sie die „Blütenblätter des Himmels“. Sie verschatten 85 Prozent der gesamten Platzfläche. Sie passen sich der Sonneneinstrahlung an und schaffen ein „wohlfühliges“ Mikroklima. Tagsüber nutzen sie die Energie der Sonne durch über 6 000 m2 Photovoltaikzellen auf der Oberseite der Schirme. Hier wird sich nicht nur das Leben in den Abendstunden abspielen. Die riesigen Sonnenschirme werden tagsüber geöffnet, um die Hitze fernzuhalten und abends, um den Platz zu kühlen. Tagsüber wird der Platz zudem über den Fußboden aktiv gekühlt. Der Energiebedarf wird wiederum vollauf von Photovoltaikzellen auf den Dächern gedeckt.

Das Klimakonzept zielt darauf ab, auf dem Platz die von den Nutzern wahrgenommene Temperatur auf 32 Grad zu begrenzen. Neben der Lufttemperatur wird die tatsächlich wahrgenommene Temperatur von der Luftfeuchte, den Strahlungstemperaturen der Oberflächen rund um den Platz, Windgeschwindigkeit, Kleidung und Aktivität beeinflusst. Dies galt es im Gesamtkonzept zu berücksichtigen.

Die wärmegedämmten Fassaden sind mit moderner Gebäudetechnik kombiniert und können die Luft und Wärme optimal aufnehmen oder abweisen. Das Gesamtkonzept umfasst unterirdische Wasserspeicher, Gemüse- und Früchteanbau auf den Dächern, 100% Recycling, effiziente Wassernutzung und – aufbereitung. Dies ist einzeln für sich nicht spektakulär und auch an anderen Stellen erprobt. Nur in der Ganzheitlichkeit, mit extrem kurzer Entwicklungszeit ist dies ein Novum. Lava baut ein lebendiges Stadtzentrum - in der Wüste - möglichst von Null auf Hundert.

Aktuell arbeitet Lava an der Modernisierung der Jugendherberge in Berchtesgaden. Deren Umbau soll exemplarisch zeigen, wie das Konzept der Jugendherbergen zeitgenössisch zum Ausdruck gebracht werden kann. Ausgangspunkt ist ein klares, einfaches und lokal geprägtes Angebot. Lava stellt hier im „Kleinen“ die gleichen Fragen wie in Masdar City: Was ist Luxus? Was verschafft uns echte und authentische Erlebnisse? In Berchtesgaden werden die kasernenartigen Matratzenlager verbannt. Eine Neuordnung der Räume und natürliche Materialien schaffen das gewünschte Ausflugserlebnis. Moderne Gebäude- und Bürotechnik, Integration von Photovoltaik, Null- oder Plusenergiehäuser waren in den 1960er und 1970er Jahren noch nicht in dem Maße bekannt, wie heute. Damalige Klimaanlagen sind heute nicht nur materialtechnische Ungetüme, sie sind auch hochgradig ineffizient und teuer. Was also tun mit den Hochgeschossern dieser Zeit? Jede Stadt mittlerer Größe hat heute eine Sparkasse, ein Rathaus oder Geschäftshaus der 70er und 80er im Angebot, meist mitten im Zentrum. Der verzweifelte Kampf der Städte in der Abwägung von Abriss, Neubau, Erhaltung, Kosten und Denkmalschutz hat gerade erst begonnen. Dabei ist die Grund­substanz oft noch gut und auch die Raumaufteilung wäre in die heutige Zeit übertragbar.

Wieso nicht eine zeitgemäße Hightechhülle über den vermeindlichen Schandfleck ziehen ? Dass dies nicht nur Spinnerei ist, hat Lava in einem konkreten Beispiel, dem UTS Tower in Sydney durchgespielt. Unter dem Motto „Re-Skin. More with less“ wurde – in der Simulation – eine transparente Leichtfassade aus einem Textilgewebe um das Gebäude gelegt. Der Kern des Hauses wird erhalten. Die Hülle erzeugt durch eingebaute Photovoltaikzellen Energie, sie sammelt Regenwasser und kann die Verteilung des natürlichen Lichtes im Gebäudeinnern positiv verbessern. In das Gewebe können LED-Streifen wie in einer Medienfassade eingesetzt werden, z.B. für dynamische Animationen.

Was sich anhört wie Science Fiction könnte angesichts der Masse an Bauaufgaben, die in den nächsten Jahren beim Umbau der „70er-Kolosse“ auf uns zukommen, tatsächlich inte­ressant werden. Schon heute ist die Halbwert­zeit von Fassaden moderner Büroarchitektur erheblich herabgesetzt. Hatte früher eine massive Steinfassade eine Lebensdauer von oft Hunderten von Jahren, so scheinen die vorgeklebten Sandsteinplatten der 90erJahre schon heute altmodisch. Da scheint es durchaus plausibel, die Schnelllebigkeit unserer Zeit mit der „Lava-Fassade“ quasi zum Programm zu machen. Dies setzte voraus, dass sie zu 100 % recyclebar ist und in der Summe wirtschaftlicher.

Der Umgang mit Freiformen kann in den von LAVA realisierten Projekten der Innenraumgestaltung studiert werden. Bereits im November 2008 wurde in Duisburg der Prototyp „Future Hotel Showcase“ als Teil des Fraunhofer Projektes Inhaus2 fertiggestellt. Die Verbindung von Medien-, Licht- und Klima­technik, die ganz auf das menschliche Wohlbefinden ausgerichtet ist, ist sehr weitgehend. Es ist aber insbesondere der intuitive Umgang mit Freiformen, der begeistert. Fließende und weiche Übergänge werden durch wenige Kanten akzentuiert, ein Entwurf wie aus einem Guss. Der Traum einer jungen Architektengeneration, die parametrischen Planungen möglichst direkt – file to factory – in die Produktion geben zu können, kommt hier der Wirklichkeit näher.

File to Factory – im Kleinen ist dies bereits Realität. So auch bei der Architonic Lounge, die Lava zur Messe imm cologne in 2008 fertig stellt. Die Sitzmodule wurden direkt vom digitalen Datenmodell mit computer-gesteuerten Fräsen aus elastischem Schaum heraus­geschält. Vorbild für die offen in den Raum gestellten Freiformblöcke war eine arktische Gletscherlandschaft. Sie werden überdacht von leichten Schirmmembranen.

Ähnlich raumgreifend war das Bühnendesign, das Lava für die australischen MTV Music Awards 2009 entworfen hatte. Die Bühnenskulptur wurde digital erzeugt und aus ultraleichtem Stoff produziert.

Box oder Blob, diese Parole war zu einfach. Mittlerweile sind die jungen Architekturbüros mit der digitalen Entwurfssoftware so vertraut, dass sich die neue Formensprache nicht nur auf die Außenhülle bezieht. Der sogenannte Parametrismus bezieht das ganze Gebäude ein. Er ist nicht nur auf einzelne Bauteile bezogen oder auf die Hülle. Das ist jedenfalls der Anspruch. Das Problem ist jedoch der Maßstab. Die Bauindustrie ist auf eine großformatige Umsetzung nicht eingestellt. Die Kosten sind zu hoch.

Laboratory for Visionary Architecture – ein solch ausgefallener Name zeigt viel Mut. Und tatsächlich hat der Spruch „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ noch immer seine Berechtigung. Der erste Blick auf die Hauptprotagonisten, deren Werdegang und die bisher fertig gestellten Projekte macht aber bereits deutlich, dass Lava bereits jetzt zu den Top 5 der interessanten jungen Büros gehört, die Zukunftstechnologien mit moderner Formensprache verbinden. Dr. Holger Rescher, Bonn

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