Lernorte mit Zentrum
und Ausstrahlung

DBZ Heptpartnerinnen Maria Hirnsperger und Angie Müller-Puch

Der Entwurf von Lernorten ist nicht nur in Bezug auf die Architektur und Pädagogik, sondern auch in sozialer, politischer und kultureller Hinsicht ein herausfordernder Prozess. Er kann auf sozialer und kulturverbindender Ebene eine wichtige Rolle spielen. Voraussetzung dafür ist, die Bildungsstätte nicht allein als Platz zum Lernen und Reproduzieren von Wissen, sondern auch als Ort für Kreativität zu verstehen.

Das Schaffen von Raum zur Vermittlung von Wissen hat im Büro Behnisch eine lange Tradition. Bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren entstanden mit den Schulgebäuden in Schwäbisch Gmünd und der Vogelsangschule die ersten Bildungsbauten von Günter Behnisch. Eine Zeit, die nicht durch ideologische, sondern durch pädagogische Konzepte geprägt war. Man wollte liberale, offene, der Gesellschaft zugewandte Orte schaffen.

In den späten 1960er-Jahren trat dann Ideologie in den Vordergrund, alles sollte planbar, veränderbar und vorausbestimmbar sein. Das Resultat waren Schulen, die ihre Inspiration weniger im Bereich des Gesellschaftlichen fanden, sondern bei denen mit Begriffen wie Effizienz, Anpassung und Auslastung argumentiert wurden.

In dieser Zeit entstand der Entwurf für die Schule „In den Berglen“. Ein sehr wichtiges Projekt, da sich hier die Einstellung verfestigte, immer die Nutzerinnen und Nutzer in den Mittelpunkt zu stellen und Schule als einen Ort der Kommunikation und Gemeinschaft zu sehen.

Günter Behnisch sagt dazu: „Die Schule ‚In den Berglen‘ folgt anderen Vorstellungen: Die Flächen der üblicherweise langen und langweiligen Klassenflure haben wir zu einer Halle zusammengefasst. Und die Klassenräume scharen sich um diese Halle. Wir meinten, es würde der Schulgemeinschaft helfen, wenn jeder Schüler und jeder Lehrer die gesamte Schule überschauen und erleben kann, wenn er seinen Raum verlässt.“

Seit einigen Jahren erleben wir im Schulbau wieder eine generelle Kehrtwende und einen starken Trend zu neuen, teilweise experimentellen Schulformen. Das Lernen soll von den Kindern selbst geleitet, der Frontalunterricht minimiert und das Arbeiten an Projekten gestärkt werden.

Das ist im Besonderen wichtig, da Schule durch die oft ganztägige Betreuung immer mehr Platz im Leben der Kinder einnimmt.

In diesem Prozess spielt der Raum und somit die Architektur eine wichtige Rolle. Er wird, um es in den Worten von Loris Malaguzzi (Reggio) zu sagen, zum dritten Pädagogen.[1] Selbst wenn wir unsere  Umgebung nicht verstehen, sie uns nicht explizit beeinflusst oder ihre Besonderheit nicht ins Auge fällt, wirkt sie schon ab einem sehr jungen Alter auf uns ein. Wie jede Sprache ist auch physischer Raum mitverantwortlich, in welcher Art und Weise unser Denken geformt wird. Die Menschen leben in einer reziproken Verbindung mit ihrer Umwelt, beide sind aktiv und formen einander im Laufe der Zeit.

Aber auch heute besteht die Gefahr, dass sich aus eigentlich innovativen Lösungen starre Planungsprinzipien ableiten. So kann das derzeit vorherrschende Clusterprinzip genauso zum Dogma werden wie vormals die Gangschule mit ihren wilhelminischen Klassenräumen.

Gerade in einer Zeit der Veränderung ist es problematisch, eine Lösung über alles zu stülpen. Selbst wenn diese im ersten Moment richtig erscheint, kann sie sich durch unerwartete gesellschaftliche Veränderungen als falsch oder zumindest in nicht allen Fällen als ideal herausstellen.

Für unser Büro bedeutet das, Gebäude zu schaffen, die sich den Bedürfnissen und Wünschen anpassen und dabei dennoch identitätsstiftend bleiben.

Die Anna-Pröll-Schule in Gersthofen folgt dem Prinzip der Gemeinschaft. Die offenen Lerncluster formieren sich um ein zentrales Atrium, welches im Erdgeschoss in Form von Sitzstufen Platz für Versammlungen lässt. Dieser Gedanke setzt sich im Außenraum fort, wodurch ein Mittelpunkt für die Schulen und Kinder der Umgebung geschaffen wird.

Wichtig ist hier ein partizipativer Entwurfsprozess. Jeder Ort, jede Schulgemeinschaft hat ihre Besonderheit und individuellen Bedürfnisse. Lässt man sich zu Beginn auf einen Dialog mit allen Beteiligten ein, kann das Gebäude zum identitätsstiftenden Ort werden. Voraussetzung dafür ist ein ergebnis­offener Diskurs, bei dem die Vielzahl formulierter Wünsche und Aussagen unvoreingenommen und ergebnissoffen betrachtet werden. Zu Beginn einer neuen Aufgabe steht die intensive Analyse sämtlicher Faktoren wie Grundstück, städtebaulicher Kontext, Beschreibung des Raumprogramms, pädagogische Orientierung und funktionale Abhängigkeiten. Es kann interpretiert, experimentiert, untersucht, festgelegt und verworfen werden. Am Ende entsteht so ein gemeinsam geschaffenes Leitbild, das Zusammenhänge aufzeigt und das Projekt bis über die Fertigstellung hinausträgt.

Die gewählten Beispiele haben sich mit unterschiedlichen Ansätzen dem Thema Bildung genähert. Sie zeigen eindrucksvoll, wie die wechselzeitige Beziehung zwischen Schulgemeinschaft und Raum zu herausragenden Projekten führen kann.

Wenn wir uns etwas für die Zukunft wünschen dürften, wäre es die Öffnung der Schule hin zur Stadt, zur Gesellschaft und die „Einverleibung“ des urbanen Raums durch die Schülerinnen und Schüler. Gebäude, die nicht nur in pädagogischer und funktionaler, sondern auch in ökologischer Hinsicht zukunftsweisend sind. Sie können so zum Vorbild für zukünftige Generationen werden und die Angst vor neuen Entwicklungen beim Bauen nehmen. 

[1] Kathy Hall, Mary Horgan, Anna Ridgway, Rosaleen Murphy, Maura Cunneen, Denice Cunningham: Loris Malaguzzi and the Reggio Emilia Experience (Continuum Library of Educational Thought; 23), New York 2010.

Heftpartnerinnen

Maria Hirnsperger (links im Bild) hat Architektur an der Technischen Universität Wien studiert, wo sie ihr Diplom am Lehrstuhl Gebäudelehre und Entwerfen über das Thema Schulbau absolvierte. Bevor sie sich Behnisch Architekten anschloss, war sie im Salzburger Büro von Scheicher Architekten für Wettbewerbe zuständig. Heute ist sie Partnerin bei Behnisch Architekten und ist an zahlreichen prämierten Projekten beteiligt. Als gelernte Tischlerin ist sie insbesondere am Arbeiten mit Holz und dem Entwickeln von neuen Lösungsansätzen interessiert.

Angie Müller-Puch hat an der RWTH Aachen University und der Schweizer École Polytechnique Fédérale de Lausanne Architektur studiert. Sie ist Partnerin bei  Behnisch Architekten Atelier Weimar und hat zahlreiche Wettbewerbe wie das Smart Living Lab in Fribourg gewonnen oder Projekte wie die deutsch-französische Schule in Buc verantwortet. Zuvor arbeitete sie für kadawittfeldarchitektur, Aachen sowie Bez+Kock, Stuttgart. Angie Müller-Puch ist Mitglied der Strategiegruppe Klima l Energie l Nachhaltigkeit der Architektenkammer Baden-Württemberg. Seit 2012 hatte sie u.a. Lehraufträge an der RWTH Aachen und der Universität Stuttgart inne.

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