Partikel-Therapie-Zentrum, Marburg

Licht im Labyrinth
Partikel-Therapie-Zentrum, Marburg

Im Partikel-Therapie-Zentrum in Marburg sollen schwer zugängliche Tumore künftig zielsicher bestrahlt werden. Das fußballfeldgroße Gebäude besteht zu zwei Dritteln aus Prozesstechnik und meterdicken Betonwänden. Wie gut, dass die Patienten davon nichts mitbekommen werden: hammeskrause architekten überblendeten die räumliche Enge und die einschüchternde Gerätemedizin mit einem geschickten Licht- und Farbkonzept.

Den Krebs zu besiegen, ist eines der größ­-ten Forschungsziele der Medizin. Große Hoffnungen setzen die Ärzte dabei auf die Partikeltherapie: Die Bestrahlung mit Protonen und schweren Kohlenstoffionen zerstört Tumorzellen punktgenau und schont das um­liegende gesunde Gewebe. So lassen sich auch schwer zugängliche Tumore behandeln. Zehn Prozent der Patienten, die mit einer konventionellen Strahlentherapie nicht weiter kommen, könnten von der Partikel-Therapie profitieren. Weltweit gibt es nur eine Handvoll Kliniken, die mit dieser Technologie ausgestattet sind. Als 2006 die Rhön-Klinikum AG das Universitätsklinikum Gießen und Marburg übernahm, verpflichtete sie sich zum Bau eines Partikel-Therapie-Zentrums.

Der Neubau von hammeskrause architekten steht auf einer Anhöhe oberhalb der Uniklinik in einem kleinen Laubwald. Das fußballfeldgroße Gebäude mit einer Grundfläche von 70 x 100 m besteht zu zwei Dritteln aus Prozesstechnik: Ein ringförmiger Teilchen­beschleuniger treibt die aus Wasser- und Kohlenstoffionen erzeugten Atome mit Hilfe starker Elektromagneten auf 80 % der Lichtgeschwindigkeit. Von dort aus wird der Strahl in einen von vier Behandlungsräumen geleitet, die abgeschirmt hinter meterdicken Betonwänden liegen. Ein Serverpark im Obergeschoss regelt die imposante Anlage.

Der Eingang als Willkommensgeste

Von all dieser einschüchternden Technik – den armdicken Kabelsträngen, den bunkerartigen Abschirmwänden, den gewaltigen Lüftungskanälen und Entrauchungsglocken – bekommen die Patienten nichts mit. Das Gebäude empfängt sie mit einer fast übergroßen Geste der Offenheit: Ein flacher, 1-geschossiger Riegel mit dem Haupteingang und den Büros der Forscher überblendet die sich dahinter bis zu 22 m hoch auftürmenden Technikbauten. Die Längsseite entlang der Zufahrt ist fast vollständig verglast und soll die Schwellenangst vor der Behandlung und dem Betreten des Krankenhauses mindern. Zwar sind die Krebskranken nicht stationär im Partikel-Therapie-Zentrum untergebracht, werden aber fast täglich über einen Zeitraum von sieben Wochen bestrahlt, damit sich die Tumorzellen nicht regenerieren können. „Die Patienten sind schon genug mit ihren Ängsten und Sorgen beschäftigt. Wir haben die oft als bedrückend empfundene technische Ausstattung deshalb so weit wie möglich aus ihrem Blickfeld entfernt“, sagt Architekt Nils Krause.

Ein trichterförmiger Sichtbetonrahmen umfasst die Glasfront, überdeckt die dahinterliegenden Technikräume und zieht den Besucher in das Gebäude. Über einen Betonsteg mit Sitzwürfeln und einer Holzbank betritt er das lichte Foyer. Eine in sonnigem Gelb gestrichene Wand führt in den Raum. Gegenüber nimmt ein bandartig geschwungenes Holzmöbel die Empfangstheke auf und schlängelt sich als Sitz-, Liege- und Spiellandschaft an den Wänden entlang. Die schmalen Holzstreifen sind zum Teil hellblau und gelb lackiert, in Kniehöhe lassen sich Schubladen aufziehen, um Kinderspielzeug zu verstauen. Zwölf kreisrunde Lichtkanonen mit bis zu 2,4 m Durchmesser filtern Tageslicht auf die locker im Foyer verteilten Sitzinseln. Für die Lichtkuppeln auf dem Dach entwarfen die Architekten filigrane Sonnenschutzblenden aus Metall, die bei seitlichem Licht feine Schattenmuster auf den Boden zeichnen.

Eine wie ein Paravent gefaltete Rückwand schirmt die Garderoben ab. Nach der Umkleide werden die Patienten in sogenannten Immobilisierungsräumen auf den Eingriff vorbereitet: Für die Bestrahlung ist eine präzise Fixierung notwendig. Daher werden sie im Stehen millimetergenau auf einer Vakuummatratze gelagert, in die Horizontale gekippt und dann auf einem Wagen in die sogenannten „Caves“, die Bestrahlungsräume, gefahren. Da der Patient beim Transport auf dem Rücken liegt, tauchen Oberlichter und sorgsam ausgewählte Leuchten den Weg durch Flure und Vorbereitungsräume in warmes Licht.
„Je mehr sich die Räume aus therapeutischen Gründen verengen, desto stärker haben wir die Atmosphäre mit Licht, Farben und einer offenen Möblierung freundlich und weit gestaltet“, sagt Nils Krause. Die Architektur soll die Bedrängnis möglichst gut lindern, die dem Patienten während der Bestrahlung in den massiven, hermetisch abgeschlossenen Betonbunkern wiederfährt.

Wandpuzzle in Gelb und Orange

Wie effektvoll diese „Gegenmaßnahmen“ sind, zeigt sich im Verteilerflur, der zu den vier Bestrahlungsräumen führt: Über ein Fensterband und ein Halbtonnengewölbe sickert weiches Tageslicht in den Raum. Hinter zwei brusthohen Tresen kann der leitende Arzt das Geschehen an Monitoren verfolgen. Die mehrfach gefaltete Rückwand mit den Zugängen zu den Caves ist mit reversiblen Vorsatzschalen aus Metall verkleidet, die Kabel, Leitungen und die bis zu 4 m dicken Betonwände verbergen. Insgesamt 2342 pulverbeschichtete Metalltafeln in 20 verschiedenen Farbtönen wurden verbaut – überwiegend Gelb- und Orangetöne, die ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit in die dichter werdenden Räume bringen. Um den Patiententransport zu vereinfachen, blieben die Zugänge zu den Caves türlos. Über ein schneckenförmiges Labyrinth wird der Patient in den Behandlungsraum gerollt. Damit er ohne aufwändige Umparkmanöver gleich in der richtigen Position liegt, folgt die komplexe Raumgeometrie exakt der Richtung des Partikelstrahls. Eine Magnetschleife im Boden sorgt für eine anstoßfreie Fahrt. Alle Bewegungen sollen weich und fließend sein, keine Rempler den Kranken verunsichern.

Die farbigen Metallwände setzen sich im Labyrinth nahtlos fort. Damit der enge Gang nicht wie eine Zange wirkt, wurde nur eine Wand mit gelben Paneelen verkleidet, die andere blieb weiß. Eine Lichtleiste mit Up- und Downlights in Kopfhöhe begleitet den Weg des Patienten. Das Gelb an den Wänden wird immer heller, bis es sich schließlich im Behandlungsraum in Weiß auflöst, so dass der Raum etwas größer erscheint. Während der Bestrahlung liegt der Patient auf einem von einem robotergesteuerten Lagerungstisch. Um der bedrohlich wirkenden Apparatemedizin ihre Schärfe zu nehmen, tauchen Leuchtschienen zwischen Decke, Boden und Wand den Raum in atmosphärisches Licht. Die liegenden Formate der Metallplatten wirken beruhigend und erleichtern die Orientierung.

Strahlenfallen aus Beton

Um Patienten und Personal vor Strahlen zu schützen, bestehen alle Wände im Behandlungstrakt aus vier Meter dickem Abschirmbeton. Die Betondecken sind zwei Meter dick. Schließlich tritt in den vier Caves der Partikelstrahl aus, von dem die meiste Strahlung ausgeht. Die Wand-ecke im Bestrahlungsraum, auf die der Strahl auftrifft, ist als „Strahlenfalle“ ausgebildet: Dazu wurde ein Eisenkiesbeton der Druckfähigkeitsklasse C20/25 mit einer extrem hohen Rohdichte von mindestens 5,2 t/m³ verwendet – mehr als das Zweifache von Normalbeton. Die Eisenkies-Bauteile sind 1 bis 2,3 m dick und werden beiderseits von Wandungen aus Abschirmbeton ummantelt.

Dem Zement des Eisenkiesbetons wurden als Schwerzuschläge das Eisenerz Hämatit und drei Fraktionen eines Stahlgranulats in Körnungen von 0 bis 8 mm beigegeben. Durch die enorme Dichte des Materials verliert der Strahl beim Auftreffen auf die Wand einen Großteil seiner Strahlungsenergie, die restlichen, reflektierenden Strahlen laufen sich im Labyrinth tot. Als Schalung setzte die Baufirma ein Streckmetall mit millimetergroßen Öffnungen ein. So ließ sich während der Betonage kontrollieren, ob der Beton lunkerfrei und ohne Einschlüsse und Nester bleibt. Eine lückenlose Qualität war extrem wichtig, um in Kopf- wie Fußhöhe denselben Strahlenschutz sicherzustellen.

Was nun noch fehlt, sind die Patienten: Um wirtschaftlich zu sein, war geplant, dass das Partikel-Therapie-Zentrum jährlich bis zu 2 000 Krebskranke bestrahlt. Da sich diese Zahlen bislang nicht realisieren ließen, blieb das Gebäude vorerst der Forschung vorbehalten. Nun könnte es doch noch ein Happy-End geben: Derzeit laufen Gespräche zwischen der Rhön-Klinikum AG und der HIT Betriebs GmbH am Uniklinikum Heidelberg, um das Therapiezentrum gemeinsam in Kooperation zu betreiben. Es wäre ein Glücksfall für alle Beteiligten, vor allem aber für die Patienten, die auf die Bestrahlung dringend angewiesen sind.

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