Lichte Dächer für Barmbek Basch
Überdachung Busanlage, U-/S-Bahnhof Hamburg-Barmbek
Hamburgs öffentlicher Nahverkehr boomt und zeigt es auch architektonisch: mit mutigen Konstruktionen für ein neues Busterminal dort, wo man bis vor kurzem noch vom Hinterhof des ÖPNV sprechen musste.
Die Aufgabe:
Der öffentliche Nahverkehr ist im Aufwind – die Infrastruktur muss mitwachsen
Doch Hamburgs allgemeines Wachstum tut auch dem ehemaligen Arbeiterstadtteil Barmbek gut. Der liegt zentral, besitzt eine gute Verkehrsinfrastruktur, (noch) bezahlbaren Wohnraum und liegt in Nähe zum Stadtpark. Deswegen ist der Stadtteil inzwischen zum Geheimtipp geworden, die Gentrifizierung hat begonnen. Er wird immer beliebter und legt das alte ruppige Vorkriegsimage als „Barmbek Basch“langsam ab; ein Hinweis darauf war, dass junge Männer hier schon mal ihre Mädchen mit den Fäusten gegen die feineren Hanseaten verteidigten.
Der alte Busbahnhof (an der Nordseite des S-Bahnhofes) hatte vor der Revitalisierung den Charme eines Balkanbusterminals, auch wenn es hier in Hamburg weniger gefährlich ist. Die Busumsteigeanlage Barmbek wurde 1965 in Betrieb genommen und wird täglich von etwa 60 000 Fahrgästen genutzt. Insgesamt fahren über 2 000 Busse täglich (neun Bus- und drei Nachtbuslinien) die Anlage an. Mit durchschnittlich 60 000 Fahrgästen pro Werktag ist „S/U“ Barmbek der drittgrößte Umsteigebahnhof der Hansestadt (nach Hauptbahnhof und Altona). Der hundertjährige Hochbahnring besitzt hier seinen eigentlichen Ausgangs- und Bestimmungsort. Gleich nebenan ragt eines der kühnsten deutschen Stahlfachviadukte für die U-Bahn nach Wandsbek-Gartenstadt in den Hamburger Himmel. Barmbek-Nord ist bekannt durch seinen Backsteinwohnungsbau der 1920er-Jahre und gewann an Bedeutung, nachdem durch den Krieg der eigentliche Stadtteilschwerpunkt mit riesigen Warenhäusern in Barmbek-Uhlenhorst zerstört worden war. Allerdings ist mittlerweile die Nachkriegsbebauung hier in die Jahre gekommen und die ehemaligen Kaufhäuser sind inzwischen nicht mehr konkurrenzfähig und wurden deswegen aufgegeben. Die Umbaumaßnahmen der HHA können als wichtiger Katalysator für notwendige Stadteilentwicklungen verstanden werden. Bis Ende 2011 wurden im Süden des Bahnhofs ein 55 m langes Dach sowie ein zweites von 115 m Länge realisiert. Auf der Nordseite kommen im Endausbau bis 2015 weitere 265 lfm Bussteigüberdachung dazu.
Die Dachkonstruktion:
Aufbruchssignal für Barmbek, aber nur ein Teil des Ganzen
Die Umbaumaßnahmen waren kompliziert und umfassend – mit Eingriffen in den bestehenden Bahnhofs in Hochlage und seinen Backstein-Außenmauern. Die beiden Nordsüd-Passagen wurden ausgebaut und zum urbanen Bindeglied zwischen dem nördlichen Einkaufsareal an der Fühlsbüttler Straße (hier werden demnächst umfangreiche neue Bauprojekte begonnen) und dem zum Kulturcampus angewachsenen „Museum der Arbeit“ mit der 14 m hohen TRUDE (Abk. für Tief Runter Unter Die Elbe), die für den Schildvortrieb für den 4. Elbtunnel eingesetzt wurde. Architektonisch fällt zunächst einmal die neue Klinkerwand auf der Südseite des Bahnhofs auf, die eine Aufnahme der Verhältnisse auf der Nordseite ist. Diese beiden Wände werden zum Anker für die neuen Bussteigdächer. Überragend im doppelten Sinne sind diese Dachkonstruktionen aus Stahltragwerk und Folienkissen.
Bereits im Jahr 2004 hatten die Stadt Hamburg und die Hamburger Hochbahn AG einen eingeladenen Wettbewerb ausgelobt, den ein Planungsteam unter der Federführung des Architekturbüros „ap plan mory osterwalder vielmo“ für sich entscheiden konnte. Die Ingenieure der formTL gmbh aus Radolfzell planten das auffällige Tragwerk der langgestreckten V-förmigen Lichtdächer. „Die neuen Dächer der Busanlage bestehen aus mehreren hintereinander stehenden, eingespannten Stützen aus dickwandigen Rohrprofilen, die Knotenpunkte Stützen/ Stützenarme aus Gussteilen“, heißt es in der Baubeschreibung, „sie gründen mit speziellen Fußpunkten eingespannt auf Betonpfählen. Die 15 m langen und 8,5 m breiten Flügel verfügen über einen Rinnenträger in der Mitte, zwei Randträger und im Abstand von 2,5 m dazwischen über geschweißte Flügelträger, die ein Subraster ergeben“. Die Felder zwischen den unterschiedlich steil geneigten Flügelträgern wurden mit Folienkissen ausgefüllt, die Kissen anschließend aufgepumpt. Bei Bedarf strömt wenig getrocknete Luft nach, so dass der notwendige Druck konstant gehalten wird. Die weißen Folienkissen wurden mit Ethylen-Tetrafluorethylen (ETFE), einer weichmacherfreien, extrem beständigen Kunststofffolie ausgerüstet, die nur 600 g/m² wiegt. Das transluzente Material lässt 40 % des sichtbaren Lichtspektrums passieren und wirft tagsüber einen angenehmen Schatten. Die in die Randträger der Stahlkonstruktion integrierten Leuchtstoffröhren sind nicht sichtbar, sorgen nachts für eine unerwartet sanfte Helligkeit. Die Leuchten sind entweder direkt oder über Klappen von außen zugänglich. Die Stahlkonstruktion ist in einem Silber-Glimmerton beschichtet, die Folie wurde in neutralem weiß ausgeführt. Diese Farbkonzeption unterstützt die visuelle Leichtigkeit der neuen Dachanlage und erzeugt die erwünschte helle, freundliche Atmosphäre im Bahnhofsumfeld. Alle Medienleitungen aus Edelstahl werden verdeckt im Tragwerk geführt. Die Dächer in ihrer Filigranität und dem spielerischen Materialumgang sind das richtig gesetzte Zeichen für den Abschied vom Barmbek-Basch. Und die 6,7 Mio. Euro sind eine gute Investition in Architekturqualität. Allerdings war das nicht alles: der Bahnhof Süd/ Schalterhallen (Hochbahn AG) kostet etwa. 5,9 Mio. Euro, der Anteil für Bahnhof Nord/ Schalterhallen (DB AG) ca. 7,6 Mio.Euro.
Ausblick: Wie sieht die Umsteigeanlage der Zukunft wirklich aus?
Am 9. Dezember 2012 ging die Busanlage in Betrieb und die Pendler können nach der Umbauphase wieder störungsfrei von der Nordseite des Bahnhofs bequem, barrierefrei zu den S-und U-Bahnen gelangen. Die Eingangshalle Wiesendamm auf Höhe des Outdoor-Kaufhauses Globetrotter wird bis zum Jahr 2015 modernisiert, bzw. der Durchstich nach Norden zur Barmbeker Einkaufszone vorgenommen. Das ausgesparte Teilstück der Dachkonstruktion am S-Bahn-Zugang der Nordseite soll im Anschluss an die Modernisierungsarbeiten der Deutschen Bahn Ende 2015 montiert werden.
Es ist eine schöne Geste, die Wartezeit der Buspassagiere durch Architektur zu verschönern und natürlich auch vor Winden und Wettern zu schützen. Ein neuer koordinierter öffentlicher Nahverkehr des frühen 21. Jahrhunderts sollte aber weitergehen: Ein erster Schritt ist die Integration einer Station für das in Hamburg inzwischen stark angenommene „Stadtrad“. Folgen könnten mehr systematische Parkplätze für das Hamburger Carsharingsystem „Car To Go“ oder der Ausbau zum„digitalen“ Knotenpunkt, in dem die Passagiere ihre individuelle Stadtreise über alle öffentlichen Verkehrsträger optimal konfigurieren können.