Liebe Leserinnen und Leser,
in Florenz, in dieser wunderbaren und tatsächlich auch wundervollen Stadt am Arno, steht eine Kirche aus dem 13. Jahrhundert, entworfen von Mönchen, berühmt wegen ihrer Westfassade. Dem eigentlich schlichten wie wohlproportionierten Kirchenbau ließ die Familie Rucellai – Gott und sich selbst natürlich zu Ehren – eine perfekte Renaissance-Fassade vorbauen. Die hatte kein geringerer als Leon Battista Alberti entworfen (wie er auch schon Fassadenarchitekt beim Wohnhaus der Rucellais war). Mit dieser Alberti-Fassade wurde die Basilika Santa Maria Novella vielleicht nicht das erste, aber sicherlich das prominenteste Beispiel für eine Architektur, wie wir sie heute in sogenannten „Fassadenwettbewerben“ zunehmend häufiger erleben. Die Einheit des Innen/Außen verliert mit solcher Zweiteilung der entwerferischen Arbeit nicht selten den Boden, auf dem zu stehen die ProfessorInnen seit mindestens 100 Jahren von ihren SchülerInnen fordern: Das Gesicht eines Hauses habe sein Inneres nach außen zu kehren.
Schaut man nun auf die Gebäudehüllen dieser Tage, kann man sich fragen, inwieweit wir noch vom Gesicht eines Hauses sprechen können und wir nicht eher von Gebäudehüllentechnik sprechen sollten. Fassaden heute müssen nämlich – neben aller guten Miene – etwas
leisten. Und so war unser Fokus für die Auswahl der in diesem Heft gezeigten Arbeiten auch eher einer, der das Besondere in der Gestaltung zwar wahrnehmen wollte, in der Suche nach geeigneten Kandidaten aber immer auch eine Suche nach dem Mehrwert war, dem Leistungsspektrum bezüglich Energie, Klima oder auch Nachhaltigkeit bezüglich Konstruktion und Material.
Derart aufgeladen mit Erwartungen und Zweifeln daran, aus den vielen gelungenen Beispielen die wesentlichen, gar richtungsweisenden Projekte zu kondensieren, reisten wir zu unserem Heftpartner Ralf Rache, Rache Engineering Aachen. Das Gespräch war lebhaft und ergiebig (s. S. 24ff.); zwei Aspekte daraus haben sich mir eingebrannt: Einmal ist das Normen- und Verordnungswerk für Fassaden ein schier unübersehbares; dann soll – so unser Heftpartner – die Zukunft der Glasfassade die mit elektrisch schaltbarem Glas sein: weniger Ressourcen, besseres Recycling, aktiver oder passiver Sonnenschutz wird überflüssig. Doch Projekte mit schaltbaren Gläsern sind gerade erst dabei, in die Fläche zu gehen, noch bremsen Normen und der lange Weg der Zulassung in Einzelfall zumindest hier in Deutschland den Schwung dieser Technologie. Dafür aber konnten wir grüne Fassaden (S. 32ff.) als weitere Zukunftsgesichter ausmachen und vielleicht gehen wir in den kommenden Jahren den Weg zwischen High-tech und Natur?! Und manchmal zurück zum Alberti, dessen Anspruch das Erreichen absoluter Schönheit in der Realisierung geometrischer Form war, eine Sache, die als dritte möglicherweise und in Zukunft noch dazukommt. Die Fassade, soviel ist sicher, bleibt mehr als eine Hülle, sie ist aber auch kein Stück weniger.
Mit herzlichem Gruß,
Ihr
Benedikt Kraft