Zur Bewusstseinserweiterung anstiften
Im Gespräch mit den Kuratoren des deutschen Pavillons auf der 15. Architekturbiennale

Der deutsche Pavillon in den venezianischen Giardini ist für alle Kuratoren und leitende Kommissare eine Herausforderung; räumlich, gestalterisch, historisch politisch. Zur 15. Architekturbiennale versprach das Kuratorenteam – Anna Scheuermann, Oliver Elser und Peter Cachola Schmal – ein politisches Statement. Vorgefunden haben wir einen luftigen Ort, der so belebt war wie lange nicht. Ob das an der Ausstellung zum Thema „Making Heimat. Germany, Arrival Country“ liegt oder an den weiten, physischen Öffnungen, darüber sprachen wir mit den dreien vor Ort.
Gratulation dazu, dass ihr auf der 15. Architekturbiennale den deutschen Beitrag kuratiert. Hattet ihr euch schon einmal beworben?

Peter Cachola Schmal (PCS): Tatsächlich hatten wir uns schon einmal beworben, das war 2010. Durchgesetzt hat sich damals die Ausstellung „Sehnsucht“. Wir hatten da ein Thema, das offensichtlich gerade nicht so gefragt war. Leider konnten wir das auch nicht im DAM realisieren. Wir wollten damals die Großväter der ökologischen Architektur präsentieren. Aber nach dem Beitrag „Updating Germany“ [„100 Projekte für eine bessere Zukunft“, 2008] wollte man wohl etwas ganz anderes bringen.

Oliver Elser (OE): Man hatte wohl auch genug von der Nachhaltigkeitsdebatte!

Also strategisch gedacht und auf „more practice“ gesetzt?

OE: Unser Thema ist eindeutig eine Reaktion auf die politische Situation im letzten Jahr seit dem Sommer. Wir haben hier gar nicht strategisch entscheiden können, dafür gibt es viel zu viele Unwägbarkeiten. Natürlich sind Flucht und Migration hochaktuelle Themen, die uns noch viele Jahre beschäftigen werden und aus diesem Grund der Langfristigkeit resultierte unsere Themenwahl.

PCS: Man darf nicht vergessen, wir haben im Juni unser Konzept abgegeben und erst im September war die erste, im Oktober die endgültige Jurysitzung. Wir wollten eigentlich über Immigration reden und weniger über Flüchtlinge. Das Flüchtlingsthema kam dann aufgrund der aktuellen Lage ganz selbstverständlich hinzu.

Was das Konzept auch ein wenig unscharf macht. Geht es hier um den Notfall der Flucht oder wird über Immigration nachgedacht?

PCS: Diese beiden Aspekte kann man in der Ausstellung verbinden, man kann sie aber auch getrennt betrachten. Die Dokumentation von Flüchtlingsbauten soll zeigen, was Deutschland aktuell dazu macht. Ich glaube, wir sind die einzigen in Europa, die dazu Vorschläge im großen Stil umsetzen. Die zweite Frage, die wir hier ebenfalls verhandeln, ist das länger gehende Thema, das erst viele Jahre später akut wird: Wie sieht es mit der Integration der neuen Einwanderer aus? Wir gehen davon aus, dass viele der aktuellen Flüchtlinge auf lange Sicht zu Einwanderern werden.

Hat die langjährige Ausstellungspraxis, die ihr ja alle habt, euch hier in Venedig geholfen?

PCS: Selbstverständlich. Diese Erfahrung hat uns geholfen in der Akquise von Autoren, Fotografen, Rechten, Partnern, Fachleuten, Auftragnehmern, Herstellern, Grafikern, Handwerkern und so weiter. An diesen Ort [zeigt auf dem Pavillon; Be. K.] und das in kürzester Zeit!

AS: Ohne die Inhalte dabei aus den Augen zu verlieren! Und das ist, glaube ich, das Entscheidende: Alles musste parallel geschehen, das Logistische und das Inhaltliche von Anfang an bis zum Schluss.

PCS: Auch das Fundraising ...

AS: Ja, bei all diesen und vielen weiteres Details hat uns definitiv die Erfahrung geholfen.

Stichwort Fundraising: Musstet ihr zum Budget, dass der Bund bereitstellt, noch zusätzlich Geld heranschaffen?

PCS: Zu den 450 000 € netto mussten wir noch einiges dazu generieren, weil wir doch etwas mehr machten.

War das eine Ad-hoc-Aktion oder war von vornherein klar, dass das Budget nicht reicht?

PCS: Es war klar, dass das Budget nicht reichen konnte. Viele Kommissare hatten uns gewarnt, dass Venedig teurer ist, als man sich das überhaupt vorstellen mag. So mancher hat hier draufgezahlt!

Wie waren die Aufgaben im Team verteilt?

OE: Wir sind ein kuratorisches Team, in dem alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam getroffen wurden.

Schön, es gab also keinen Streit. Aber bringt nicht jeder einzelne eine besondere Kompetenz ins Team?

OE: Das ging erstaunlich Hand in Hand. Wir kennen ja alle das Ausstellungsgeschäft aus dem DAM, haben hier schon immer in wechselnden Konstellationen die unterschiedlichsten Aufgaben übernommen.

AS: In der Kürze der Zeit hätten wir die Aufgaben auch gar nicht so –ich sage mal „überstrukturiert“ – aufteilen können. Hier war und ist bis heute alles gut im Fluss gewesen.

PCS: Die Biennale möchte möglichst wenige Ansprechpartner haben, das war bei uns Anne Keßler aus dem Ministerium und ich als Generalkommissar. Wir haben hier knapp siebzig Länder auf der einen Seite und wirklich nur sehr wenige Mitarbeiterinnen auf der Seite der Biennale. Den Hauptteil des Fundraising habe ich übernommen. Alles uns bekannte Partner, die hier mitmachen. Unbekannte in der Kürze der Zeit aufzutreiben – Weihnachten, Neujahr! – war schier unmöglich.

Nun sind wir hier ja auf einer Architekturschau von und mit Architekten. Sind die die richtigen Ansprechpartner in dem globalen Problem Flüchtlinge / Immigranten? Und warum findet man bei den ersten Vorschlägen so wenig bekannte Namen?

OE: Die Antwort muss ich aufteilen. Die Flüchtlingsunterbringung nimmt in der Ausstellung ja nur einen relativ kleinen Teil ein. Der Hauptteil der Ausstellung, nämlich die Frage nach den Voraussetzungen einer funktionierenden Arrival City, ist hier zwar nicht mit konkreten Bauprojekten hinterlegt, aber absolut mit Appellen, die, wie wir finden, Architekten durchaus aufnehmen sollten. Die architektonischen Prinzipien der Arrival City ... zum Beispiel, dass wir die besten Schulen in den schlechtesten Quartieren brauchen. Das ist vielleicht ein Aspekt, über den ein Architekt nicht entscheidet, aber das Bewusstsein dafür zu haben, dazu wollen wir hier Architekten anstiften.

Und um noch einmal auf die Flüchtlingsbauten zurück zu kommen: Es stimmt natürlich, wenn du sagst, dass hier eher unbekannte Namen dabei sind, nicht die der großen Büros. Was ein interessantes Phänomen ist.

PCS: Und um das möglicherweise zu erklären: Die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften wenden sich nicht an die zwanzig größten Büros Deutschlands. Sie wenden sich an die regionalen, eher kleinen Büros. Es muss schnell und pragmatisch gehen.

Ist die Öffnung des denkmalgeschützten deutschen Pavillons das politische Statement, das ihr im Vorfeld versprochen habt?

AS: Genau das ist es: Das Haus ist offen!

PCS: Das deutsche Haus ist offen.

OE: Ja, auf der baulichen Ebene ist das die starke Metapher, die – das sei hier deutlich gesagt – das Werk von Something Fantastic ist. Aber ich möchte das noch ergänzen: Zum einen denken wir, dass die Öffnung des Pavillons nicht nur ein reines Symbol ist. Sie ist auch eine Umwertung des Gebäudes, eine Spekulation darauf, was dieser Bau in veränderter Form sein könnte, ganz unabhängig vom Inhalt.

Natürlich ist es eine fantastische Verwandlung dieses Ortes, die ihre Realisierung einer günstigen Stunde verdankt, nämlich der Kongruenz zum Konzept, das wiederum kongruent zur politischen Situation ist. Dann ist auch die Art, wie es gemacht wurde entscheidend. Wir wollten hier nichts brechen, keine Symmetrien, keine Achsen stören. Diese selbstverständlichen Formen des Eingriffs kann man durchaus als eine rein gestalterische Arbeit ansehen.

AS: Und dann soll der Pavillon ganz schlicht ein schöner Ort des Aufenthalts sein. Zum Austauschen, Ausruhen, Aufladen ... Es gibt frei nutzbaren Strom und WLAN für alle!

Zum Schluss: Gibt es eine Empfehlung für diejenigen, die noch hierhin reisen werden? Außer eurem Pavillon!

PCS: Ich möchte allen Belgien ans Herz legen. Die Kuratoren und der Kommissar haben ein wunderbares Projekt realisiert, vielschichtig und spannend.

OE: Ich bin in den letzten Wochen und Monaten immer an einer riesigen Staubwolke vorbei gegangen, die aus dem Schweizer Pavillon kam. Da wurde mit unglaublichem Einsatz ein Projekt, ein Objekt gefertigt, das sich jeder unbedingt anschauen sollte. Für mich ist das ein sehr gelungener wie zugleich sehr seltsamer Ort, eine Mischung aus archaischer Raumerfahrung und Hightec-Produktionsweise.

Mit Oliver Elser, Anna Scheuermann und Peter Cachola Schmal (Foto v. l.) unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 25. Mai 2016 vor dem deutschen Pavillon in den Giardini in Venedig.

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