Mal wieder hinreisen
Es ist schon länger her, doch der Eindruck von „Italo Modern“ der Brüder Feiersinger ist ein nachhaltiger. Vielleicht waren wir alle anfangs verwundert über den Erfolg dieser Sammlung von norditalienischer Architektur, die vor Augen brachte, dass es da eine Menge an Gebautem bei den Nachbarn gibt, die wir vergessen, verdrängt oder übersehen hatten? Kleinode, Meis-terwerke von europäischem Rang und irgendwie immer auch: Das Lebendige, unglaublich Authentische, das vielen Bauten hier in diesem Land – aus gleicher Zeit – oftmals fehlt: zu akademisch, zu genormt, zu sehr unter dem Druck rein ökonomisch bestimmten Handelns.
So überrascht es nicht, schaut man im Zusammenhang mit dem hier vorliegenden Band über das Moderne in Neapel (1930–1960), dass sich die RezensentInnen wieder einmal hingerissen zeigen. Vielleicht von der Machart, der gradlinigen Grafik, den besonders besonders seienden Fotografien, auf denen manchmal die fokussierte Architektur kaum eine Rolle zu spielen scheint (Kontext). Ganz sicher aber sind wir alle von der Architektur selbst überrascht, die in einer Art Forschungsreise durch die Stadt ausfindig gemacht wurde und uns nun präsentiert wird. Vielleicht weniger, weil wir staunend auf das Gebaute schauen, als vielmehr deshalb, weil jeder der von Benoit Jallon und Umberto Napolitano, Partner des Büros LAN, Paris, ausgesuchten 18 Bauten derart super modern daherkommt, wie man es nicht erwartet hatte in der Stadt am Fuß des schlafenden Vulkans mit seinem todbringenden Potential.
Der Tod ist ein zentrales Thema in Neapel, auch der Verfall als direkte Folge von Korruption. Auf dieser Folie sind die Bauten, hier über Fotografie und neugezeichnete Pläne umfänglich präsentiert und Zeugen für das internationale Bauen nach der klassischen Moderne, fest im neapolitanischen Kontext verortet. Niedergang und Eleganz, Sanierungsstau und Widerborstigkeit, noble Interkontextualität und spekulativer Stillstand, alles das findet sich zwischen den beiden Buchdeckeln, über zahlreiche kleine Essays zu Stadt und Stadtgeschichten verbunden. Dass wir hier zudem Architektenbiografien neu- oder wiederentdecken, ist ebenfalls nicht zu unterschätzen; dass die am Ende angebotene Literatur sehr allgemein und fast nur themenübergreifend gelistet ist, überrascht dann doch: ein Forschungsprojekt ohne Quellenverzeichnis (teils in den Zitatnachweisen versteckt). Aber, basta, Neapel hat diese Bucharbeit verdient. Jetzt sollten wir wieder einmal hinreisen. Be. K.
48 €, ISBN 978-3-03860-218-7