„Marmor des 20. Jahrhunderts“
Dipl.-Ing. Arch. BDA Jan Störmer zum Thema „Beton“
Mein Gott! Wie viele Bücher, Aufsätze, Kongresse haben sich schon mit dem Thema Beton befasst, jeder Mensch weiß, dass dieses einfache Gemisch aus gemahlenem Kalkstein, Ton und Sand mit Wasser gebunden Beton genannt wird. Schon die Römer kannten Beton für den Bau ihrer großen Infrastrukturbauten, aber es war nur ein Bindemittel. Was wir heute unter Beton verstehen, sollte man Stahlbeton nennen. Seitdem das Moniereisen von Joseph Monier 1867 erfunden wurde, hat sich der Markt für Beton weltweit ausgedehnt, der Baustoff ist in jedem Bauwerk in unterschiedlichsten Anwendungsbereichen zu finden. Die erheblichen Schwächen des Betons, die wir heute vor allem an Verkehrsbauten der 60er Jahre messen, liegen in der falschen Verwendung von Kiesen, die alkalische Stoffe absondern und so den Beton und die Armierung angreifen.
Unterschiedliche und immer neu entwickelte Beton-Rezepturen machen den Beton zu einem der vielseitigsten Baustoffe für Bauingenieure, Architekten oder Künstler.
Man kann Beton lieben oder hassen, richtig angewendet erlebt man ihn als Marmor des 20. Jahrhunderts. So predigte es uns im Studium in den 1970er Jahren Professor Schneider-Essleben. Als Student hatte ich das Glück, am Flughafen Köln-Bonn die Planungen und Bauarbeiten an dem sternförmigen Abfertigungsgebäude mit zu verfolgen, noch heute freue ich mich über die Schönheit, die sich in den Oberflächen und in der Präzision der Details zeigt. Das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart von Ben van Berkel zusammen mit Werner Sobek hat die ästhetischen Möglichkeiten des Betons voll ausgeschöpft. Die Fassade erinnert zwar an Karosseriebau, aber betritt man das Gebäude, kommt der Besucher in ein dynamisches Raumsystem aus doppelt gekrümmten Sichtbetonwänden, in riesige Dimensionen mit ineinander verschlungenen Ebenen, als würde der Beton immer noch fließen. Dieses Bauvorhaben repräsentiert einen abstrakten, fast philosophischen Gedanken, und der Beton gibt die Freiheit dazu.
Der Respekt vor dem erlebbaren Material Beton beginnt da, wo Architekten ihn benutzen, um spektakuläre Bauformen zu realisieren, wie es Frank Lloyd Wright in New York mit dem Jahrhundertbauwerk Guggenheim Museum gelungen ist. Auch wenn der Beton gestrichen ist, verliert er nicht seine Kraft. Im krassen architektonischen Gegensatz, aber nicht weniger der Kunst dienend, ist das 55 Jahre später von Peter Zumthor entstandene „Kunsthaus Bregenz“. Jeder, der in dem Beton-Glaskubus war, wird sagen, es ist ein perfekter Betonbau. Denn obgleich Fassaden und die abgehängten Licht-Decken in den Ausstellungsebenen aus Glas sind, bestimmen die Betonwände, die Treppen und Böden das Museum.
Es sind nicht allein die bekannten Solitärbauten weltweit aufzuzählen, es sind vor allem auch die vielen kleinen Wohnhäuser, Industriebauten, Museen oder Friedhofkapellen von vielen Architekten, die ihre Gestaltungsphilosophie mit Beton am besten beantwortet haben wollen; viele von denen bleiben unbekannt, einige werden seit Jahrzehnten durch den Deutschen Betonpreis gekürt. Rüdiger Kramm
und Tilman Schalk haben viele dieser Betonbauten in dem sehr schönen Buch „Sichtbeton, Betrachtungen. Ausgewählte Architektur in Deutschland“ (2007) zusammen getragen.
Designer und Innenarchitekten haben schon länger den robusten Scharm von Betonoberflächen entdeckt. So gibt es sexy Glasfaserbeton-Badewannen oder Waschbecken, Tresen und Bänke in Bars aus Beton. Über alle ästhetische Betrachtungen hinaus schneidet Beton beim Thema Nachhaltigkeit heute sehr positiv bei den Kriterien Rohstoffgewinnung, Herstellung, Verarbeitung und Recycling ab. Fazit: Beton ist zum Verlieben. Zum Hassen nur für die, die die Fehler der Vergangenheit darin sehen.
Der Architekt
1942 in Berlin geboren, 1960 Ingenieurschule in Bremen. Studienaufenthalte in den Niederlanden an der technischen Hochschule Delft, Büropraktika und Studienreisen in den USA, Gaststudent an der AA in London. 1969 Diplom an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. 1970 Gründung der Hamburg Design GmbH für Architektur, Industrie und Graphik Design, 1972 Gründung der Hamburger Architektengruppe me di um (mit drei Partnern). 1990 Gründung der Büros in London und Hamburg unter dem gemeinschaftlichen Namen Alsop & Störmer Architects (bis 2000). Ab 2001 Jan Störmer Architekten, 2009 wird das Büro umbenannt in Störmer Murphy and Partners.
www.stoermer-partner.de