Mehr als nur ein Häuslebauer
Titus Bernhard Architekten, Augsburg

„Die Morphologie der Fassade zum Berliner Schloss steht nicht nur für unser Entwurfskonzept sondern auch für die Interessenslage des Büros, das sich in einer „Zeitreise“ mit dem Wandel von prozesshaften, morphologischen Konzepten befindet“. Titus Bernhard

Ein Vollblutarchitekt wie der berühmte Film „Fountainhead“ ist Titus Bernhard, der keine Widerstände und Auseinandersetzungen scheut, um sich leidenschaftlich wie beherzt für eine bessere Architektur einzusetzen. Wie der Kinoheld, der dem realen Vorbild Frank Lloyd Wright nachempfunden war, gilt Bernhard manchen nur als ein medial versiertes „Enfant terrible“, während andere in ihm einen der wenigen selbstlosen Streiter für mehr Baukultur in diesem unserem Lande sehen wollen. Wie auch immer, Titus Bernhard, der Architekt ist jemand, der groß und international denkt, der in kein einziges Bild passen mag. Wo andere in Kategorien wie Region und Institutionen denken und handeln, geht er gleich zum Ganzen über, zum Raum und Körper als Spiegel von Persönlichkeit und Gesellschaft.

Im Kleinen das Große und im Großen wie­derum das Kleine zu entdecken, dies ist wohl Titus Bernhards größtes Talent. Weshalb ihn gerade ein kleines Wohnhaus, das auf einer Grundfläche von nur neun auf neun Metern entstand, weltweit bekannt machte. In mehr als 300 Publikationen und 67 Ländern wurde über sein Haus „9 x 9“ in Stadtbergen bei Augsburg seit 2003 berichtet, wobei die Leidensgeschichte dieses Hauses nicht selten noch mehr Beachtung als dessen Architektur fand. Denn für einen privaten Bauherrn hatte dort Titus Bernhard eine recht freie Interpretation der lokalen Gestaltungssatzung gewagt, die eine unvergleichliche Lawine an Protesten, Einsprüchen und Entgegnungen auslöste.

Eine „mineralische“ Fassade und Ziegeldach forderte die Gestaltungsatzung. Bernhard entwickelte darauf aber einen „steinernen“ Körper, dessen an ein Walmdachhaus angelehnte Form und dessen Hülle von 365 Gabionen voller Bruchsteinen, wie man sie bis dahin nur von Autobahnschutzwänden gekannt hatte, einen Sturm der Entrüstung, aber auch der Zustimmung auslöste. „Gesunder Volksgeist“ und der Anspruch auf die Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensbereiches trafen hier unversöhnlich aufeinander. Der Streit einer bayrischen Kleinstadt gegen einen Bauherrn und seinen Architekten legte offen, wie gering hierzulande in vielen Orten die Akzeptanz von neuer Architektur ist. Zumal der Bauherr Claus Kaelber eigens über den Streit ein Buch publizierte und der Architekt die Kontroverse zu einer Aedes-Ausstellung in Berlin nutzte, die den kompletten Schriftverkehr des Hauses überregional öffentlich machte.

Bis heute ist das Haus nur geduldet, das 2004 sogar im Deutschen Pavillon der Architekturbiennale von Venedig präsentiert wurde. Demonstriert es doch souverän, wie engen räumlichen Grenzen erstaunliche architektonische Freiheiten abgewonnen werden können. Mit wenigen präzisen Schnitten verwandelte Bernhard den vermeintlich hermetisch abgeschlossenen Monolith in vier Ebenen überraschend offener Raumereignisse, die außen und innen untrennbar miteinander verweben. Nicht Provokation um der Provokation willen, sondern ein auf Bauherr und Ort maßgeschneidertes Gehäuse ging es dem Architekten in Stadtbergen. Was auch der Rechtsanwalt des Bauherrn rasch erkannte und sich das Haus K in St. Quirin am Tegernsee bauen ließ, das mit seiner reduzierten Satteldachkubatur und Holzschindelnkleid das am Ort Vorgefundene völlig unaufgeregt und dennoch nicht weniger kontrovers angezweifelt in eine neue Wohnarchitektur transformierte.

Seit 1995, dem Jahr seiner Bürogründung im beschaulichen Augsburg, hat Titus Bernhard ein gutes Dutzend Einfamilienhäuser, mehrere Mehrfamilienhäuser, Umbauten und Sonderbauten verwirklichen können. Der der­zeitige Stadionneubau für den 2.Bundesligaverein FC Augsburg ist mit Abstand sein größtes Bauprojekt. Ein Kind des bayrischen Schwabens ist der 1963 geborene Architekt, der dennoch nahezu sein halbes Leben im deutschen Norden zubrachte. In Kiel ging er zur Schule und an der TU Braunschweig studierte er bis 1991 Architektur. Doch mehr noch als die rational-technische Braunschweiger Schule prägten ihn zwei längere Auslandsaufenthalte.

In New York, im Büro von Richard Meier arbeitete er am Ulmer Stadthaus und dem Münchner Siemensquartier. Dort lernte er ein anderes Verständnis von Architektur kennen, das sich an Meiers „Essentials“ orientierte, an Tektur, Struktur, Licht, Masse und Leere (solid-void). Eine Erfahrung, die ihn nachhaltig prägen sollte, wie Architektur in und aus Begriffen gefasst und entwickelt werden kann. Erst bei Meier und danach am Politecnico di Milano bei Giorgio Grassi wurde Bernhard vor allem auch klar, wie essentiell die Auseinandersetzung mit den Bauten der Vergangenheit ist, die einen Architekten typologisch oder assoziativ zu neuen Transformationen führen können. An der stark rationalistischen Hochschule erlernte dann der junge Architekt mit das Begreifen von Typologien und städtebaulichen Kontext.

Seine Braunschweiger Diplomarbeit „Kunst Kommerz Köln“ setzte sich im Zentrum der Stadt mit einer neuartigen Verbindung von Museum und Geschäften auseinander. Das Projekt fasste eindrucksvoll alle seine Erfahrungen zusammen, weshalb es sogar 1992 in der Bauwelt publiziert wurde. 1995, nach Jahren der Mitarbeiterschaft wagte Titus Bernhard in seiner Heimatstadt den Sprung in die Selbstständigkeit. Ein sozialer Mehrfamilienwohnungsbau in Augsburg (DBZ4/2000) und keineswegs ein Einfamilienhaus war danach interessanterweise eines seiner ersten Werke. Klar strukturiert und organisiert gelang ihm das Gebäude, bei dem er erstmals lernte wie eng in vielen Bereichen die Grenzen architektonischer Gestaltung sind.

Unschwer lassen sich bei seinen ersten Gebäuden der Einfluss Richard Meiers erkennen. Um einfache rechtwinklige Geometrien, Zirkulation, Räume ganz unterschiedlicher Ausdehnung und Orientierung drehen sich Bernhards frühe Bauten, die ganz ähnlich des Meisters auf präzise Schnitte und Öffnungen der Volumen an überraschenden Stellen setzen. Am Deutlichsten wird dies bei dem Projekt „S/M/L“ in Burgrieden bei Laupheim (DBZ10/2002), wo am Ortsrand für ein Bruderpaar – einen Industriedesigner und Versicherungskaufmann - zwei massive Wohnkuben und ein gläsernes Bürohaus über einem gemeinsamen Plateaukörper entstanden, in dem noch ihre private Automobilsammlung Platz fand. Anlage, Kubatur und eine reduzierte, auf graphische Wirkungen hin ausgewählte Materialität zeigen noch deutlich den Einfluss von Richard Meier.

Nach einem guten halben Dutzend Einfamilienhäusern, begann jedoch mit dem Haus „9 x 9“ und dem Haus L in extremer Hanglage in Landsberg/Lech eine Neupositionierung von Titus Bernhard hin zu freieren Geometrien und substraktiven Volumina. Komplexität, Ambivalenzen und prozessuale Entwurfsprozesse treten nun immer häufiger an die Stelle klar definierter orthogonaler Geometrien. 2003 gewann Titus Bernhard den Wettbewerb für ein Rathaus-, Kultur- und Festsaal-Ensemble in Bernried am Starnberger See, das über eine substraktive Transformation an die Höfestruktur des früheren Haufendorfes anknüpft. Winkelförmig auf einem Plateau positioniert und mit Holz verkleidet, verfolgt er dort die Idee einer Akropolis im Baumhain mit sich selbstähnlichen Einzelgebäuden.

Einmal mehr musste der impulsive wie sensible Architekt leidvoll erfahren, wie schwer es ist für den öffentlichen Bauherren zu arbeiten, wie sprunghaft er häufig seine Wünsche ändert ohne dafür zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Während des ersten Bauabschnitts, der Fertigstellung des Rathaus-Gebäudes machte man dort die Entdeckung, dass ein alter Keller weitaus besser erhalten war als vermutet, worauf die Gemeinde darauf bestand ihn wiederherzustellen und das dafür erheblich erforderliche Geld bei dem Bau des neuen Fest-und Kultursaalgebäudes einzusparen. Das ohnehin schon enge Budget erlaubt eine solche gravierende Änderung jedoch nicht, zumal auch das ganze städtebauliche Konzept auf die Idee eines Ensembles aufbaut, das genügend Masse besitzt, um einen neuen städtischen Platz einfassen zu können. Völlig nachvollziehbar verweigert sich Bernhard der gewünschten Amputation und besteht auf die Verwirklichung eines Ensembles, für das er sich über einen architektonischen Wettbewerb und Beauftragung verantwortlich sieht, während der öffentliche Bauherr wie so oft in Architektur eine beliebig reduzierbare Verfügungsmasse sieht, die sich frei disponierbar allein nach finanziellen Abwägungen richten soll. Wenn es der Politik in diesem Lande mit der Förderung von Baukultur wirklich ernst ist, dann müssen ihre Institutionen endlich auch anerkennen, dass Architektur ein Kulturgut ist, das es auch um öffentlichen Raum und nicht allein kurzfristige Budgetfragen geht. Der sonst sehr charmante und entgegen kommende Titus Bernhard kann dann sehr unnachgiebig werden. Gerade bei einer solchen wichtigen Aufgabe, wie der einer Stadt ein neues öffentliches Zentrum zu schenken, kann keine halbe Lösungen geben. Hätten die Stadtherren der Vergangenheit so gehandelt wie heute viele Politiker, so wären kaum die Rathäuser, Museen und Bibliotheken entstanden, um die uns viele ausländische Besucher beneiden.

Während in Bernried noch eine Lösung aussteht, hat Bernhard in München und Ertingen längst schon zwei weitere Wohnhäuser geschaffen, deren Architektur erstaunlich erweiterte konzeptuelle Ansätze verfolgen. Mit dem Haus L entstand für den württembergischen Unternehmer Lock nahe seines Unternehmens eine Art von variabler Raum-Matrix, die sich nahezu körper- und fassadenlos völlig in die Landschaft integriert und der Unwirtlichkeit seines zersiedelten Umfeldes verweigert. Gleich einem Baukasten wurden hier die einzelnen Raumprogramme des Bauherren in eine Struktur variabler Ausdehnung überführt, die sich wahlweise dem Himmel oder der Landschaft gegenüber öffnet. Zur Landschaft hin offene Patiohöfe schneiden sich in die Struktur ein, ermöglichen einen kleinen Kosmos an räumlichen Erlebnissen größter Introversion und Selbstexponierung, die sich im Nebeneinander und der Gegenüberstellung der aus einem Volumen gestanzten Gebäudetrakte ergeben. Die überdimensionalen, um das Haus greifenden, mobilen Verschattungselemente aus Metall sind wirklich das einzig körperlich fassbare Detail die­ses Hauses. Einerseits visualisieren sie das technische Know-How des Hausherrn, andererseits gleichen ihre biomorphen Strukturen natürlichen Formen unter der extremen Vergrößerung eines Mikroskops.

Ganz anders ist das Haus M für einen leidenschaftlichen Kunstsammler in München-Grünewald, das seine ausgeprägte Hangsituation für eine Komposition geschichteter und sequentierter Volumina nutzte, die höchst sensuell Körper, Raum und Licht zu einem untrennbaren Ereignis verdichten. Schwere, mit Bruchstein verkleidete Volumina wechseln sich dort mit abstrakt in Weiß gehaltenen Wandflächen und gewagt anmutenden gläsernen Fugen ab. Einmal mehr begnügte sich hier Titus Bernhard nicht mit der Gestaltung von Hüllen, sondern definierte verschiedene Territorien ganz eigenen Charakters, eine Qualität, die seine privaten Bauherren beson­ders zu schätzen wissen.

Mit Niveausprüngen, künstlichen Plateaus oder topographischen Einschnitten erarbeitet er sich in der Verlorenheit heutiger Stadt- und Landschaftsräume immer wieder überraschend wahrzunehmende Außenräume, die seinen komplexen inneren Raumgefügen Fokus und Widerstand bieten. Multiperspektivische Interaktion von Raum und Körper, nicht virtuelle Simulation ist seine Intention, die er in der zunehmenden Flüchtigkeit der Gegenwart die Physis des menschlichen wie baulichen Körpers im Raum wieder erfahrbar macht. Weniger eine eindeutige Handschrift als wieder erkennbare Strategien verfolgen seine genuin architektonischen Konzeptionen. Still, höchst reflektiert und reflexiv ist dabei Titus Bernhards Architektur, die ihre Herkunft aus dem späten Modernismus nicht leugnet, doch längst schon auf dem Weg zu einer neuen Architektur kom­plexerer Sinneserfahrungen ist. Wozu auch seine beiden langjährigen Projektpartner Stefan Krippl und Szabolcs Soti beitragen, die längst zu gleichberechtigten Entwerfern herangereift sind.

Diesem Umstand Rechnung trägt teilweise bereits das bislang größte Projekt Bernhards, das neue Fußballstadion des Zweitligisten FC Augsburg, welches in der Stadion-Planungsgesellschaft Bernhard & Kögl entsteht. Vor den Toren der Stadt, im Niemandsland heutiger Verkehrsschneisen und Gewerbegebiete haben sie das 30 000 Plätze-Stadion als eine Art von Insel konzipiert, die räumlich und visuell neue Wege beschreitet. Ungewöhnlich kompakt sowie angenehm intim innen und außen eher einem abgerundeten Monolithen als einem Stadionrund ähnlich, wird es eine auskragendes, farbig hinterleuchtetes Aluminiumstabwerk erhalten, die das Gebäude zu einem raumgreifenden Vexierkörper verwandeln werden. Wenn es im Sommer dieses Jahr eröffnet wird, werden seine Besucher einen überaus kompakten Raumkörper mit überraschenden Raumspalten erleben.

Ein Vexierkörper ganz anderer Art hatte das eingespielte Architektenteam für Berlins Mitte geplant. Im Wettbewerb für das Humboldt-Forum waren sie nicht bereit, einfach historische Kulissen wieder aufleben zu lassen. Deren Herstellung erschien ihnen genauso abwegig wie deren spätere Heile-Welt-Anmutung für einen Ort vielfach gebrochener Geschichte. Was sie entwarfen, waren mutige, großzügige Ausstellungsräume für den neuen Zweck des Hauses, die sich hinter Fassaden morphologischer Verwandlung erstrecken sollten. Einmal mehr stützten sich die Architekten auf das Prinzip der Selbstähnlichkeit, auf partielle Variationen gegebener Strukturen wie der barocken Fenster-Module, deren Elemente sie allmählich substrahieren und durch zweidimensionale Abstraktionen ersetzen wollten. Recodiert wäre daraus ein herausfordernd transitorisches Gebäude zwischen allen Zeiten hervorgegangen, wo nun hingegen ein im klassizistischen Gestus erstarrtes Implantat entstehen wird. Öffnung und Dialog, die Kombination schwerer mit leichten Elementen, die massive Wand und ihre visuelle Auflösung, dies sind immer wieder die wesentlichen Ziele von Titus Bernhards Architekten, die Komplexität nicht auf simple Einfachheit und Einfalt reduzieren mögen. Dazu bedarf es mutiger Bauherren als Pendant, die Verständnis für den Architekten und seine Architektur haben.

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