Mit Robert und Denise

Man muss sich das so vorstellen: In einem Büo in der Schweiz sitzen der Architekt Rem Koolhaas, der Künstler Peter Fischli und der Kurator Hans-Ulrich Obrist um einen großen Tisch, auf welchem ein wilder Haufen kodakbunter Fotografien ausgebreitet liegt. Die Fotos stammen aus dem privaten Archiv von Robert Venturi und Denise Scott Brown und sind zum größten Teil unveröffentlicht. Das wird den überraschen, der den Kontext der Aufnahmen vor Augen hat. Sie alle sind das Resultat eines kleinen Forschungsprojektes vom Ende der Sechziger, aus welchem heraus und unter dem Titel „Learning form Las Vegas“ 1972 ein Büchlein in den USA veröffentlicht wurde. Von dieser Geografie aus entfaltete es mit annähernder Lichtgeschwindigkeit seine internationale Wirkung und beeinflusste nicht bloß den Architektur-, auch den Kunst-, auch den philosophischen Diskurs bis heute. Doch anstatt nun die Wirkung der kleinen Schrift auf Postmoderne und Kommunikationsstrategien im öffentlichen Raum zu reflektieren, hängen Blicke und Kommentare drei oben genannten Herren zunächst an etwas ganz anderem: Ein Foto – im hier vorliegenden Ausstellungskatalog ist es das letzte des Farbtafelteils – zeigt die beiden Protagonisten von der Rückbank aus vorne im Auto. Er steuert, sie hält die Kamera. Den Blick fest auf den Strip gerichtet legt er seinen rechten Arm über ihre – damals noch kopfstützenfreie – Lehne. Koolhaas: „Ich sehe hier nicht zwei Intellektuelle auf diesem Foto, sondern ein Liebespaar in einer romantischen Beziehung.“

So kann man, muss man vielleicht die Arbeit des „Las Vegas Studio“ „in a fresh way“ (Fischli) angehen, kann, wie es die Tischrunde macht, Beziehungen knüpfen zu Antonionis „Blow Up“ von 1966, Ed Ruschas persönlichen Erinnerungen und Reflexionen sowie zu eigenen Erfahrungen von Las Vegas. Das Männergespräch verläuft entlang der Bilder, die auf dem Tisch liegen, am Ende stehen Zweifel, ob die Venturi/Browns tatsächlich die Postmoderne beeinflussten oder vielleicht doch über die zweite und dritte Rezeptionsgeneration die Strategien des Bauens heute noch infiltrieren. Die Veröffentlichung der Bilder zum jetzigen Zeitpunkt scheint dafür zu sprechen.

Davor, und auch vor dem Hauptteil mit Bildern, die, formal gesehen, heute ein wenig blass erscheinen, wird das Projekt des „Las Vegas Studio“ noch einmal erzählt. Der Essay wirft einen Blick auf die Art und Weise, wie hier Architektur im Kontext beobachtet wurde (aus dem Auto heraus, eine Technik, die Alison Smithson in „AS in DS“ Jahre später ebenfalls nutzt) und in welcher Weise hier vielleicht zum ersten Mal eine Technik des Sehens gebraucht wurde, die sehr schnell in filmische Techniken am gleichen Sujet mündete.

Das eine jedenfalls zeigt die vorliegende Arbeit: Die Las Vegas Studie von 1972 ist mehr als nur ein historischer Meilenstein im Architekturdiskurs, sie von ihren Fragestellungen her betrachtet noch immer hochaktuell. Allein das Bildmaterial hinkt der Realität ziemlich hinterher, und es zu betrachten verführt eher zu der Stimmung, in welcher Rem Koolhaas und die Kollegen die Bilder auch als Familienalbum auffassten. Warum auch nicht!

Las Vegas Studio. Images From the Archive of Robert Venturi and Denise Scott Brown. Hrsg. v. Hilar Stadler und Martino Stierli mit Peter Fischli. Auch in deutscher Fassung. Scheidegger & Spiess, Zürich 2008, 196 S., 150 Farb- u. 22 sw-Abb.

29,90 €, ISBN 978-3-85881-717-4

Aktuell online besprochen

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Be. K.

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