Mitten im LebenProjekt KÖ 15 in Lübeck
Mitten im UNESCO-Weltkulturerbe, zwischen namhaften Kulturinstitutionen, schufen Schümann Sunder-Plassmann Architekten aus Lübeck aus einer Schule neuen Wohnraum für alle Generationen – ohne (soziale) Barrieren.
Bis ins 13. Jahrhundert reichen die Spuren des Hauses Königstraße 15 in der historischen Lübecker Altstadt. In direkter Nähe befinden sich namhafte Kulturinstitutionen wie das Willy-Brandt-Haus oder das Günther-Grass-Haus. Der Sitz der „Gemeinnützigen“, eines historischen gemeinnützigen Vereins in Lübeck, der sich für die Kulturförderung in der Stadt einsetzt, liegt nebenan. Auch das Museum Behn-/Dräger-Haus und der Kunstverein Lübeck in der Overbeck-Gesellschaft, die Kunst des 19. Jahrhunderts, moderne und zeitgenössische Kunst zeigen, sind Teil des kulturellen Ensembles. Mitten drin liegt das Haus Nr. 15, das ursprünglich als Wohn- und Patrizierhaus diente, in seiner Geschichte mehrmals durch Um- und Anbauten radikal verändert worden ist und schließlich von 1829 bis 2007 als Ausbildungsstätte und Schule genutzt wurde.
Zurück zum Wohnen in der Stadt
Zuletzt war die Anton-Schilling-Schule hier zu Hause, eine Förderschule für schwerhörige Kinder. Nach ihrem Umzug in einen anderen Stadtteil schrieb die Hansestadt Lübeck 2008 ein EU-weites Verfahren für den Verkauf und die Umnutzung aus. „Die Ausschreibung bestand aus zwei DIN A4-Seiten. Die Bieter hatten gerade einmal vier Wochen Zeit, um ein Nutzungskonzept mit kompletter Finanzierungszusage der Bank und Kaufangebot zu erstellen“, beschreibt Architekt Kai Schümann von Schümann Sunder-Plassmann Architekten das Verfahren. „Es gab mehrere Interessenten. Unser Kaufangebot war das höchste, sodass wir den Zuschlag erhielten; und wir hatten ein plausibles Konzept – nicht nur für die Umnutzung zum Mehrgenerationenwohnen in Verbindung mit einem Museumscafé als Integrationsbetrieb sondern auch mit unserem Vorschlag für eine Anbindung an die Bürgergärten der benachbarten Kulturinstitutionen mit einem öffentlichen Weg über das Grundstück.“
Umnutzung und Einbindung in die Stadt
Wie anfangs erwähnt, wurde der Gebäudekomplex im Lauf der Geschichte mehrmals umgebaut und erweitert. Er besteht heute aus drei Teilen, dem Haupthaus an der Königstraße und einem Seitenflügel, beide aus dem 14. bis 19. Jahrhundert. Ein weiterer Seitenflügel wurde erst in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts als Turn- und Gymnastikhalle ergänzt. Die beiden ersten Gebäudeteile stehen seit 1967 unter Denkmalschutz. Um die Struktur der ehemaligen Klassenräume zu erhalten, liegen heute in den Obergeschossen im Haupthaus sechs Ein- bis Zweizimmerappartements, bei denen die Küchen und Bäder wie Einbaumöbel frei eingestellt sind. Im ersten Seitenflügel bewahrten die Architekten die Klassenraumstruktur und schufen zwei großzügige familien- und altersgerechte Mehrzimmerwohnungen. In der ehemaligen Turnhalle im hinteren Seitenflügel befindet sich jetzt eine loftartige Maisonettewohnung. Besonders ist die neue Nutzung im Erdgeschoss des Haupthauses in vielerlei Hinsicht. Heute gibt es in der ehemaligen Diele ein öffentliches Café mit Außensitzen an der Königsstraße und im Garten. In einem Seitenraum neben der Diele zeugt die einzig übrig gebliebene Stuckdecke aus dem Jahr 1743 von den prachtvollen Tagen als Patrizierhaus. Den Ausgang und die Fassade zum Garten schmücken eine verglaste Tür und Blockkastenfenster mit kleinen bunten Glasquadraten, die nach historischem Vorbild wieder hergestellt worden sind. Sie sind zugleich Blickfang im Café, das von Mali betrieben wird, einer gemeinnützigen Institutition, die die Integration körperlich behinderter Menschen in den Alltag fördert. Hier fallen soziale Barrieren und mitten in der Altstadt begegnen sich alle: Bewohner, Besucher, Mitbürger und Mitarbeiter. Auch wenn die Bewohner an der Königstraße neben dem Caféeingang über einen eigenen Zugang verfügen, müssen sie am Ende durch das Café zur repräsentativen Rokokotreppe gehen, um zu ihren Wohnungen zu gelangen.
Sanierung im Denkmal und Barrierefreiheit
„Für uns bedeuten Denkmal und Barrierefreiheit keinen Widerspruch, genauso wie Denkmal und energetische Sanierung sich nicht ausschließen“, betont Architekt Kai Schümann. Dennoch gab es einige Hürden, die die Planer nehmen mussten. So verzögerte sich der Bau um anderthalb Jahre, weil sie auf hartnäckigen politischen Widerstand stießen in der Diskussion um den Einbau eines Fahrstuhls im denkmalgeschützten Haupthaus. Um die Wohnungen barrierefrei zu erschließen, ist ein Aufzug notwendig. Unter Schlichtung durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz einigte man sich schließlich mit der Lübecker Denkmalpflege – die historisch bedingt den Rang eines Landesdenkmalamtes hat –, auf einen Standort für den Aufzug, der diesen im Erdgeschoss nicht in Erscheinung treten lässt. Leider führt dieser Kompromiss in den Obergeschossen zu einer umständlicheren Erschließung auf Kosten von Wohnfläche. Sechs von zehn Wohnungen haben pflege- und altersgerechte Bäder. Aufgrund dessen wurde das Gebäude mit dem KfW-Kredit „Altersgerecht Umbauen“ gefördert. Im Café befindet sich ein barrierefreies WC unter der historischen Treppe in Abstimmung mit dem Denkmalschutz. Rampen überwinden die Höhenunterschiede in den Garten und zum Eingang. Weil die Rampe zum Caféeingang auf öffentlichem Grund liegt, verlangt die Stadt Lübeck eine Nutzungsgebühr.
Brandschutz im Denkmal war eine wesentliche Herausforderung. „Die Diskussionen mit der Lübecker Feuerwehr verliefen sehr konstruktiv“, betont Architekt Schümann. „Zum Beispiel konnten wir die beiden historischen Gußeisenstützen im Café erhalten, indem wir sie mit einem F60-Anstrich versahen und durch eine kleine Bohröffnung innen mit Zement vergossen haben.“ Geschickt in Wand und Decke integriert liegen Brandschutzrollos, für Besucher unsichtbar, in der Zone zwischen Cafétresen und Treppe. Immerhin ist der Weg durch das Café der erste Rettungsweg für die Bewohner. Weitere Rettungswege führen durch den historischen Gewölbekeller aus dem 14. Jahrhundert auf die Straße und über den Dachboden auf das Dach, sodass die Feuerwehr von außen anleitern kann.
Denkmal und Energie
Nach einer sorgfältigen Bestandsanalyse entschieden sich die Planer für verschiedene Dämmmaßnahmen an den Außenwänden. Die denkmalgeschützte Fassade zur Königstraße und die übrigen Außenwände im Haupthaus und ersten Seitenflügel erhielten eine mineralische Innendämmung, die mit Lehm verklebt und fertig verputzt wurde. Die nicht unter Denkmalschutz stehenden Außenwände des neueren Seitenflügels im Garten bekamen ein Wärmedämmverbundsystem. „Besonders hervorzuheben sind die Leistungen der Handwerker bei diesem Projekt, vor allem die des Lehmbauers und des Tischlers“, bemerkt Kai Schümann bei der Besichtigung. Alle Fenster wurden vom Tischler nach einer dänischen Bauweise genau für die Abmessungen der historischen Wandöffnungen gefertigt. Zur Hofseite sind es – für die Stadt Lübeck typische – Blockkastenfenster, an der Straßenfassade Doppelkastenfenster mit einer inneren Doppelverglasung und einer äußeren Einscheibenverglasung. Soweit wie möglich wurden im Innenausbau Dielen, Türen und Treppen wiederverwendet. Wandflächen- und Fußbodenheizungen in Verbindung mit dem Innendämmsystem und Lehmputzen sorgen für ein angenehmes Klima und Behaglichkeitsgefühl. Ein Blockheizkraftwerk im Keller deckt den Grundwärmebedarf. Seine Energie wird vor allem für das Café und dessen Küche genutzt. Die Lüftungsanlage der Gastronomieküche nutzt die Abluft zur Wärmerückgewinnung. Nach der Sanierung steht nun ein Effizienzhaus nach dem KfW-Programm 151 „Energieeffizientes Sanieren“ mit 74,2 kWh/m²a Endenergiebedarf und 54,2 kWh/m²a Primärenergiebedarf in der Lübecker Altstadt.
Entdeckt. Gestaltet. Wiederbelebt.
So lautete das Motto des KfW-Awards 2013, bei dem das Lübecker Umnutzungsprojekt einen Preis erhielt. Die Jury lobte die „vorbildliche Umnutzung, die in hohem Maße gesellschaftlichen Nutzen und Traditionstreue verkörpert.“ Auch wenn der Weg für alle am Bau Beteiligten nicht immer einfach war, beinhaltete er kreative Pausen. Während der achtzehnmonatigen Bauverzögerung (wegen des Fahrstuhls) nutzte die Künstlerin Ann-Carolin Zielonka das leer stehende Gebäude für ihre Ausstellung „Glückskind und Sorgenkleid“. Geblieben ist ein Licht-Objekt, eine kleine Krone aus einem orangefarbenen Kinderhemd. Sie hängt heute über der Eingangstür an der Königstraße quasi als Wegweiser und steht zugleich als Logo für das ausgezeichnete Projekt.
Susanne Kreykenbohm, Hannover