Interview mit Prof. Dr. Dr. E.h. Werner Sobek
„Nachhaltiges Bauen darf nichts mit Entsagung zu tun haben“
www.wernersobek.de

Herr Sobek, Sie haben F87 - das Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität geplant. Dies ging aus einem Wettbewerb hervor, den das BMVBS ausgeschrieben hatte. Was ist das Besondere an Ihrem Gebäudeentwurf?

Das F87 ist ein temporäres Gebäude, das als Wohnhaus wie auch als Schaufenster zu funktionieren hat. Das macht den Entwurf schwierig. Die Schaufensterfunktion erfordert leichte Zugänglichkeit, Einblicke, bedeutet: Fremde Menschen sind unmittelbar an meinem Haus. Die private Seite erfordert Unzugänglichkeit für Dritte, Ruhe und Beschau­lichkeit für die Bewohner.

Die Tatsache, dass das Haus nur drei Jahre an seinem Standort stehen wird bedeutet, dass wir exzellente Recyclingqualitäten erarbei­ten mussten. Ich bin froh sagen zu können, dass F87 zu 100 % rezyk­lierbar ist. Das Gebäude hat zudem keinen Keller und keine Fundamente im traditionellen Sinn. Alles ist nur auf den Boden aufgelegt. Aufgrund der temporären Ausrichtung des Projekts wollten wir keine geothermische Anlage einbauen, weil man die viele Meter tief reichen­den Leitungen am Ende des Projektes nur mit großem Aufwand wieder aus der Erde herausnehmen kann.

Welche Auswirkungen hätte es gehabt, wenn Sie Geothermie hätten einsetzen können?

Wir hätten die Effektivität ein wenig steigern können. Das wäre keine prinzipielle, aber eine graduelle Verbesserung der so oder so schon exzellenten Energiebilanz gewesen.


Gerade ist eine Familie in das Effizienzhaus eingezogen, welche Ergebnisse und Erkenntnisse erwarten Sie aus dem Praxistest?

Ich denke, es ist sehr wichtig, was jetzt dort passieren wird. Wir haben das ganze Haus mit einem Monitoringsystem durchzogen, das heißt wir messen beispielsweise an Wänden, Decken oder Bodenkonstruktionen in sehr engen Abständen die Temperaturverteilungen über die Dicke der Bauteile. Wir messen Außenklimata, Innenklimata und Verbräuche.

Die Familie, die ja in gewisser Weise eine „Testfamilie“ ist, wird uns wichtige Erkenntnisse darüber geben, wie sich eine Familie, wenn ihr keine Einschränkungen auferlegt werden, natürlicherweise in so einem Haus in ihrem Lebensalltag entwickelt.

 

Es geht dabei auch ums Wohlfühlen, richtig?

Natürlich. Das ist das allererste. Architektur ist, um es mit Ernst Bloch zu sagen, nichts anderes als der Versuch der Produktion menschlicher Heimat. Das ist für mich die oberste Prämisse. Wohlfühlen, was natürlich gesundheitliche Aspekte beinhaltet, aber auch Leistungsfähigkeit und einfach glücklich sein. Keine Entsagungsarchitektur, in keiner Weise. Nachhaltiges Bauen darf nichts mit Entsagung zu tun haben! Die Menschen möchten das nicht haben und das ist auch nicht notwendig.

 

Sie erwähnten bereits, das Effizienzhaus Plus ist so gebaut, dass es nach der Nutzungsphase restlos zurückbebaut und recycelt werden kann. Welche Anforderungen ergaben sich daraus für Planung und Ausführung?

Eine ganze Reihe von Komplexitäten, beispielsweise darf man keine Werkstoffverbunde mehr einplanen, die am „End of Life“ nicht mehr voneinander lösbar sind. Alle wieder zu lösenden Verbindungen müssen später leicht erkennbar und leicht zugänglich sein. Die Typenvielzahl der Verbindungsmittel ist zu reduzieren. Nur so ist kostengünstiges Recycling möglich.

F 87 hat einen relativ komplizierten Fußboden- bzw. Deckenaufbau. Trotzdem ist kein einziges Bauteil mit dem anderen verklebt. Die Materialien liegen vielmehr nahezu überall auf- bzw. übereinander. Das bedeutet natürlich für den Herstellungsprozess vollkommen neue Wege, aber auch für den Planungsprozess, denn er muss erstens den entsprechenden Herstellungsprozess ermöglichen und zweitens in der Dokumentation der Planung nicht nur Längen, Breiten und Höhen dokumentieren. Es ist, wie beispielsweise in Singapore immer mehr üblich, auch ein „Design for Disassembly“ zu machen. Die Planunterlagen müssen Angaben darüber enthalten, welcher Baustoff vorliegt, wer ihn geliefert, wer ihn eingebaut hat und wie er zu recyceln ist.


Sind die Menschen in der Lage, Häuser dieser Art überhaupt zu bedienen?

Ja, weil die Technik letztlich überhaupt nicht komplex ist, weil sie immer einfacher zu verstehen ist. Gebäude wie F87 oder andere von uns geplanten Häuser sind in Bezug auf Planung und Bau komplexer als der Standard. Für die Benutzer aber wird es immer einfacher, diese Häuser mit allen ihren Vorteilen zu benutzen. Da die Bedienung immer einfacher und immer selbstverständlicher wird, bin ich überzeugt, dass es in den kommenden fünf Jahren zu drastischen Vereinfachungen im Bereich der Hausautomation für jedermann kommen wird.

 

Vor gut 11 Jahren wurde ihr eigenes Haus, R128, ausführlich veröffentlicht. Ist es nicht erschreckend, dass die Neubauten in ihrer Entwicklung und ihrem Energieverbrauch nicht viel weiter sind als Ihr Haus damals schon?

Das erschreckt mich auch. R128 war das erste „Aktivhaus“. Wir haben mit ihm die Passivhaustechnologie, die ja ihre Verdienste hatte, die es aber weiter zu entwickeln galt – wobei ich diese Weiterentwicklungen bedauerlicherweise nicht sehe – dieser Passivhaustechnologie haben wir das Aktivhaus entgegengesetzt und mit R128 sicherlich einen Meilenstein errichtet. Ich bin ein bisschen traurig darüber, dass seither relativ wenig an weiteren Impulsen gekommen ist.

 

Also gibt es relativ viele Parallelen zwischen R128 und F87?

Die gibt es. R128 wurde bereits nach dem Triple Zero© - Prinzip entwickelt: kein Energieverbrauch, keine Emissionen, kein Müll. Aber wir sind mit F87, dem Effizienzhaus Plus, im Bereich der Energiegewinnung natürlich sehr viel weiter als mit R128. Mein Wohnhaus R128 ist ein Selbstversorger, das heißt, es erzeugt 100% der benötigten Energie. Bei F87 erzeugen wir 170 %. Die 70 % Überschuss verwenden wir, um die beiden Elektroautos und das Elektrobike der Familie zu versorgen. Natürlich immer noch mit der Notwendigkeit von Zwischenpuffern – entweder in Batterien oder auch durch Einspeisen in das ­öffentliche Netz und einer späteren, zeitversetzten Entnahme aus diesem. Hier sind wir übrigens an einem wichtigen Punkt angelangt: Ich bin der festen Überzeugung, dass es keinen Sinn macht – außer bei Demonstrationsvorhaben und wissenschaftlichen Vorhaben – die energetische Autarkie eines Hauses via seiner Gebäudegrenze zu definieren. Es macht viel mehr Sinn, bei der Notwendigkeit einer Speicherung, einer Abgabe von Überschussenergie oder einem Abdecken von Unterversorgungen im Bereich der Energie über Mikro- und Makronetzwerke zu arbeiten. Das Makronetzwerk wäre das der herkömmlichen Stromversorger, das Mikronetzwerk könnte sein: mein Haus + mein Auto. Es könnte aber auch sein: mein Haus + mehrere Häuser + mehrere Autos – die alle miteinander kommunizieren.

 

Hat sich Ihr Alltag in einem transparenten Nullenergiehaus verändert oder Ihre Lebensqualität verbessert?

Natürlich fühlt man sich besser, wenn man weiß, dass man die Umwelt nicht belastet. Meine Wohnqualität hat sich durch das Leben im Glashaus R128 dramatisch zum Positiven hin verändert. Ich könnte heute gar nicht mehr anders leben. Die Einbettung in die umgebende Natur, in die Witterung, in die Jahreszeiten sind Qualitäten, auf die ich nicht mehr verzichten möchte.

Das liegt sicher an der Lage von R128, auf einem Hanggrundstück mit Blick über Stuttgart, innerstädtisch sieht das etwas anders aus.

Ich postuliere ja auch nicht die hundertprozentige Transparenz, sondern eine angemessene Transparenz. Aber alle Leute, die einmal in Häusern wie R128 gewohnt haben sagen, sie können jetzt gar nicht mehr anders wohnen.

 

Eine letzte Frage, würden Sie Ihr Haus gegen das Effizienzhaus Plus eintauschen?

Das Gewissen wäre wahrscheinlich noch besser, aber die Transparenz, die ich bei R128 habe, würde ich nicht missen wollen. Würde ich nach Berlin umziehen müssen, dann würde ich sofort in das Plus­energiehaus einziehen. Wenn ich in Stuttgart verbleibe, bleibe ich in R128. Aber in drei Jahren, wenn das Haus in Berlin abgebaut werden wird, ist ja quasi „ein Haus übrig“. Wer möchte, der kann dann den Finger heben und sagen: Bauen Sie es mir doch in meinen Garten.

Herr Prof. Sobek, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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