Neuer Hof, alte Mischung
Hamburger Hof, Berlin
Berlin-Mitte, Spandauer Vorstadt – Anziehungspunkt für Touristen und bekannt für seine zahlreichen Hofstrukturen. Hier befindet sich der Hamburger Hof, das älteste Ensemble von Wohn- und Gewerbebauten im Quartier, 2009 bis 2010 vom Berliner Büro nps tchoban voss saniert und behutsam durch neue Baukörper ergänzt. In enger Abstimmung zwischen Bauherrn, Denkmalschutz und zukünftigen Mietern sollte nicht nur der Gebäudebestand, sondern auch der traditionelle Nutzungsmix erhalten werden.
Vor Ort fällt zunächst das klassizistische, 1828 erstmals erwähnte, 2-geschossige Vorderhaus auf. Niedriger als seine Nachbarn und näher an die Straße herangerückt, zeigt es deutlich seine Herkunft aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von den im Hof gelegenen, neu hinzugekommenen Baukörpern ist erst einmal nichts zu sehen.
Dies sei eine der Forderungen des Denkmalschutzes gewesen, wie Projektleiter Frederik-Sebastian Scholz beim Rundgang durch das Ensemble erläutert. Man habe intensive Diskussionen mit allen Beteiligten geführt, so Scholz weiter. Zum Beispiel hätten die Denkmalschützer am liebsten komplett auf Neubauten verzichtet und der Bauherr gern noch mehr Neubauvolumen realisiert. Die ersten Entwürfe hätten dies auch vorgesehen. Schließlich habe man sich auf einen Kompromiss verständigt. Auf zwei Bestandsgebäuden wurden neue Dachgeschosse aufgesetzt, an Stelle der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Dächer – in der alten Kubatur, jedoch in zeitgenössischer Formensprache. Ein neues Gebäude wurde als Ersatz für eine abgerissene Baracke genehmigt und lediglich ein 5-geschossiger Baukörper entstand komplett neu entlang der Brandwand zum Nachbargrundstück.
Vielfalt an Geometrien
Die Auseinandersetzungen haben sich gelohnt, vergleicht man ersten Entwurf und Realisierung. So kennzeichnet die neuen Baukörper eine angenehme Vielfalt an Geometrien, die so zunächst nicht vorgesehen war. Angefangen von den angeschnittenen Quadern der Dachgeschosse, über das pyramidenstumpfartige Quergebäude am Hofende bis zum Bauteil an der Brandwand, das einem auf dem Kopf stehenden L gleicht. Dessen fünftes Obergeschoss kragt weit in Richtung eines intimen, öffentlichen Parks aus, der inmitten der umgebenden Blockrandbebauung liegt. Obwohl mit diesem neuen Gebäude die Höhe des Bestandes deutlich überschritten wird, wirkt die Auskragung vor Ort wenig bedrückend, eher wie ein Vordach. Es entsteht dadurch ein kleiner, geschützter Platz am Übergang von Alt zu Neu. Positiv fällt auch der Erhalt des additiven Charakters des Hofensembles auf. Die neuen Gebäude halten Abstand zueinander und zum Bestand. Als zusätzlichen Effekt hat dies einen wohltuenden Durchblick vom Hofeingang bis zum Park zur Folge. Auch die Fassadengestaltung der Neubauten erfuhr im Laufe des Planungsprozesses eine positive Veränderung. An Stelle der zunächst komplett verglast geplanten Fassaden trat ein differenzierterer Aufbau mit einem Sockelgeschoss aus transluzentem, mit Gewebe hinterlegtem Profilbauglas und den Obergeschossen mit einer Aluminiumverkleidung und nahezu bündig eingesetzten Fenstern. Diese minimalistisch-kühle und dennoch haptisch und visuell attraktive Außenhaut erzeugt einen reizvollen Kontrast zur warmen Ausstrahlung der Backstein- und Putzfassaden mit ihren historischen Holzfenstern. Den positiven Gesamteindruck kann auch die nachträglich mit Lochblechen verkleidete Haustechnik auf einem der Dächer sowie die preisgünstig und daher einfacher ausgeführte Fensterfront zum Park nicht trüben.
Schallschutz für‘s Handwerk, neue Fluchtwege für Restaurants
Intensiv auseinandergesetzt haben sich die Architekten auch mit den spezifischen bautechnischen und -physikalischen Anforder-ungen der zukünftigen Nutzer. Einen Mietermix aus Handwerk, Kreativdienstleistern, Kulturbetrieb und Wohnungen stellte sich der Bauherr vor. Insbesondere sollte einer Tischlerei das Verbleiben am Standort ermöglicht werden. Dazu statteten die Planer eine der beiden historischen Backsteinremisen u. a. mit neuen Schallschutzfenstern, schallisolierten Entlüftungsgeräten und einem neuen schalldämpfenden Stahlbetondach aus.
Trotz dieser umfangreichen Umbauten musste die Tischlerei leider vor kurzem ausziehen. Der Bauherr wollte in den Werkstatträumen seine eigene Kunstgalerie einrichten, erläutert die Tischlerin auf Nachfrage. Daraus wurde jedoch nichts und so werden diese für eine lärmintensive Nutzung gut geeigneten Räume nunmehr als gewöhnliche Büros vermietet. Auf lange Sicht, so die Tischlerin weiter, hätte sie sich jedoch sowieso einen neuen Standort suchen müssen, da nach dem Umbau ihre ehemals ebenerdigen Werkstatträume ungünstig auf zwei Etagen verteilt gewesen seien und der Hof nur noch sehr eingeschränkt befahren werden durfte. Auch die aufwändigen Maßnahmen, um eine gastronomische Nutzung der Kellergeschosse zu ermöglichen, scheinen sich bisher nicht ausgezahlt zu haben. Unter einem großen Teil des Hofes befinden sich Räume, die schon vor dem Umbau für Konzerte und Partys genutzt wurden. Um diese weiterhin für Gastronomie nutzen zu können, installierten die Architekten nicht nur umfangreiche Technik für eine maschinelle Be- und Entlüftung, Klimatisierung und Rauchabzug. Zusätzlich veränderten sie auch die Erschließung komplett, um Lärmbelästigungen für die Anwohner zu vermeiden und die geforderten Fluchtwege nachzuweisen. Der Eingang befindet sich nicht wie früher in der Hofmitte, sondern im Durchgang zum Vorderhaus, durch dessen Fundamente ein neuer Zugang zum Hofkeller gebrochen wurde. Der zweite Zugang und Fluchtweg entstand neu mit dem Treppenhaus des Quergebäudes am Hofende. Dennoch stehen diese Räume im Moment leer. Gegen eine gastronomische Nutzung leisten vor allem die Anwohner in den Nachbargebäuden Widerstand, die Lärm durch Gäste befürchten.
Büros statt Wohnungen
Selbst die Wohnungen werden nur teilweise als solche vermietet. Im neuen Quergebäude am Park befinden sich zwar so wie vorgesehen kleine Boarding-Appartements. Die beiden großen Maisonette-Wohnungen werden jedoch als Büro bzw. Tonstudio genutzt.
Ausgerechnet das große Panoramafenster in Richtung Park stellten die Nutzer des Tonstudios mit Schallschutzelementen zu. Auf Nachfrage macht der Bauherr und heutige Vermieter den Zufall für die Mieterstruktur verantwortlich. Ein Grund für die Büronutzung in den Wohnungen liegt vermutlich auch in der höheren Miete, die im Vergleich der beiden Nutzungsarten erzielt werden kann.
Nunmehr drei Jahre nach Umbauende überzeugt der Hamburger Hof weiterhin durch seine kleinteilige Struktur und dasarchitektonische Zusammenspiel von Alt und Neu. Schade nur, dass Räume leer stehen, Potentiale, die die Gestaltung bietet, bisher zu wenig genutzt werden. Eine etwas buntere Nutzungsmischung, ein wenig mehr Leben im Hof wäre der beste Weg, um die Tradition des Ensembles auch in Zukunft fortzuschreiben.