Oscar Niemeyer Sphere
Wenn ein berühmter Architekt ein hohes Alter erreicht hat, möchte so mancher Bauherr noch schnell etwas Gebautes von ihm. Das letzte Werk, die Summe möglicherweise all dessen, was zuvor entworfen und realisiert wurde. Oder wenn nicht die Kirche, das Headquarter oder die Villa, dann doch wenigstens das Folly, das ein Andenken an einen Großen sichert. An das eigene auch.
Zu letzterem hatte sich der Geschäftsführer der Kirow-Werke entschieden. Er wollte auf seinem Werksgelände in Leipzig-Plagwitz einen Großen der Zunft: Oscar Niemeyer. Der damals schon 104-Jährige sagte ihm einen Entwurf zu, den er vor seinem Tod 2012 auch lieferte: Café/Bar und Lounge in einer aufgeschnittenen Betonkugel hoch über dem Kopfsteinpflaster auf dem Gelände der Kirow-Werke.
Die sogennante „Oscar Niemeyer Sphere“ wird vom Harald Kern Architekturatelier, Leipzig, in Partnerschaft mit Jair Valera, Rio de Janeiro, realisiert. Valera war seit Mitte der 1970er-Jahre Freund und rechte Hand Niemeyers in dessen Studio und somit bestens vertraut mit der Entwurfshaltung des Jahrhundertarchitekten.
Die Betonkugel, deren zwei große Öffnungen über geodätisch angelegte Stahlrahmen/Glas-Kugelsegmente geschlossen werden, misst 12 m im Durchmesser und besteht aus Weißbeton (Sichtbetonklasse SB 4). Die Betonhaut der Kugel ist durchgehend 200 mm dick und hat eine Innendämmung. Die Kugel selbst kragt an einem roten Stahlbetonschaft in zirka 8 m Höhe in den Straßenraum. Die Sphere beherbergt drei Geschosse: ein unteres Facility-Geschoss, das im Wesentlichen der Unterbringung von Haustechnik dient, eine mittlere Café-/Bar-Ebene (ca. 45 m²) und die Lounge (ca. 91 m²), deren Fußboden sich auf Höhe der Äquator-Ebene der Kugel befindet. Der Service wird von einer gefliesten Trennwand versteckt, auf der eine Oscar-Niemeyer-Zeichnung zu sehen sein wird.
Entwickelt wurde die Kugel in 3D (Entwurf bis Schalung inklusive SHK), der Betonbauer hielt 2D-Pläne in der Hand. Die Firma ist dieselbe, die auch die Meisterhäuser in Dessau für BFM Architekten umgesetzt hat (DBZ 09|2014).
Verzögerungen im Bauablauf gab es insbesondere wegen der Herstellung der Glaselemente, an welcher zwei Firmen gescheitert sind. Mittlerweile ist ein Stahlbauer gefunden, der sich die Fertigung zutraut und in Modellbauten nachweisen konnte. Auf zu großen Wärmeeintrag reagiert die Firma Merck mit der von ihr entwickelten Flüssigkristall-Technologie Liquid Crystal Windows (LCW). Dabei werden Kristalle elektrisch so ausgerichtet, dass die Glasflächen von transparent zu opak geschaltet werden können. Zudem erlaubt die Technik des LCW, dass man den Farbton wechseln kann, von einem sehr transparenten leichtem Grau bis hin zu beinahe Schwarz.
Mit der Realisierung des Folly wurde Ende April 2017 begonnen, die Inbetriebnahme soll in diesen Monaten erfolgen. Platz bietet die Sphere für etwa 50 Gäste, man kann sich denken, dass das sehr eng werden wird! Be. K.