Perfekt für eine Promenade
Die Wiederherstellung des Neuen
Museums in Berlin ist ein Glücksfall

Willkür wurde seiner Arbeit attestiert und nicht wenige raunten oder schrieben es in fetten Buchstaben: Chipperfield hat versagt. Dabei hatte es das Lager der um die Baukultur (des 19. Jahrhunderts) Besorgten schon vorher gewusst: Der Mann beschert uns einen willkürlich sortierten, für eine Begehung gesicherten Trümmerhaufen. Und mancher forderte bereits dazu auf, die Arbeit des Briten am Neuen Museum auf der Museumsinsel Berlin schnellst möglich zu revidieren.

Das wird nicht so kommen, schließlich zeigte sich sogar der Bundesbauminister bei der Schlüsselübergabe Anfang März beeindruckt; was doppelt bemerkenswert erscheint, hatten sich Chipperfield und Tiefensee in den Jury-Debatten zur Schlossrekonstruktion nicht eben harmonisch zu einander verhalten. Chip­perfield dazu: „Es war wie eine Verhandlung bei den Vereinten Nationen.“ Und dort wird gerne auch mal verbal geprügelt.

Nach der Generalsanierung des Alten Museums (Hilmer & Sattler und Albrecht, München / Berlin), des Bode-Museums (Heinz
Tesar, Wien / Christoph Fischer, Berlin) und der Alten Nationalgalerie (HG Merz, Stuttgart), wird mit der Wiedereröffnung des Neuen Museums im Oktober dieses Jahres ein Großteil des seit 1999 unter Unesco-Welterbe-Schutz gestellten Museenensembles wieder erlebbar sein. Es fehlen dann noch das Pergamonmuseum (O. M. Ungers Nachfolger) sowie die James Simon Galerie (Chipperfield, Berlin), einziger Neubau des Ensembles und künftiges Hauptportal der ehemaligen preußischen „Freistätte der Kunst und Wissenschaften“.

200 Mio. € hat die Wiederherstellung des Stüler-Entwurfs gekostet, zehn Prozent weniger, als geplant. Immerhin 50 Jahre stand das 1855 eröffnete und in den Kriegsjahren 1943-45 schwer beschädigte Museum schutzlos Wind und Wetter ausgesetzt, und jeder, der die schmucklose Ruine in den Achtziger Jahren und auch später noch besuchte, konnte sich nicht vorstellen, diese so wiedererstanden zu sehen, wie sie jetzt vor aller Augen steht. Saal für Saal hat sich Chipperfield vorgenom­men, und seine Maxime – wie die des beratenden Büros Julian Harrap Architects, London – lautete, nicht mehr zu schaffen, als materiell vorhanden ist. Die imposan­ten Ziegelwände im Ägyptischen oder Griechischen Hof wurden aus alten Steinen wiedererichtet, Fassadenschmuck, Fußböden, Einbaumöbel etc. aus Archiven, Depots oder Privatbesitz zusammengesammelt; und so, wie sie die Jahre überstanden hatten, an ihre ursprünglichen Orte zurückgeführt.

Sämtliche Spuren des Verfalls aber auch des Kriegsvandalismus – die Museumsinsel sollte in den letzten Monaten des Krieges noch als Festung gegen die anrückende Rote Armee ausgebaut werden – hat Chipperfield sichtbar gelassen, meist wurden die Oberflächen lediglich gesäubert.

Die Totalverluste des Nordwestflügels mit dem Historischen Saal, dem Griechischen Saal, dem Blauen Saal, dem Apollosaal und dem Grünen Saal zusammen mit dem Ägyptischen Hof sowie dem Südkuppelsaal mit dem Übergang zum Alten Museum wurden als reine Architektur, also als kaum gestalteter Raum in den wuchernden Organismus des Stüler-Baus eingefügt. Insbesondere diese Räume werden beweisen, dass sie in der Abfolge beziehungsweise Nachbarschaft
zum Bestand die heutigen Ansprüche an museale Funktionen hervorragend werden leisten können. Denn das erscheint beim Durchschreiten des Museums deutlich: Über alle Schönheit im Detail, über alles Staunen der von den damaligen Ingenieuren Carl Wilhelm Hoffmann, August Borsig und Carl Boetticher geleisteten konstruktiven Vielfalt sind die meisten historischen Räume dämmrig und ihre kunstvolle Ausgestaltung wird die Ausstellungskonzeption schwierig machen.

Bewunderung wird Chipperfield für seine Neuinterpretation des Ägyptischen Hofes ernten, hier stellte er in den zweiten Lichthof einen Tisch (Museumsebene 2) auf zehn gebäudehoch ragende, schlanke Stützen und konstrastiert damit sehr effektvoll die teils noch vorhandenen Wandmalereien. Widerspruch hingegen erntet er bereits für seine Behandlung der zentralen Treppenhalle, die vor der Bombadierung noch Wandbilder Wilhelm von Kaulbachs zeigte. Hier verwandelte er die ursprünglich filigranen Geländer so-wie die putzmodulierten Treppenlaibungen
in massive Betonflächen (Weißzement mit sächsischem Marmor), deren Fugenbild Span­plattenverkleidung suggeriert. Vielleicht sind diese starken Akzente zu grob gesetzt, der spurenreiche Raum allerdings, in welchem sie sich behaupten müssen, wie auch die Funk­tion dieses zentralen Erschließungsraumes, der in Zukunft Besuchermassen zu transportieren hat, verlangen nach kräftiger, robuster Form (schmiedeeiserne Filigrangeländer wären hier fehl am Platz).

Der Bau steht, er ist bereit für die Ausstellungen, die da kommen sollen. Erst dann aber wird er beweisen können, dass er als Gefäß funktioniert. Denn als Architektur für die Architektur ist er jetzt schon perfekt, perfekt für eine Promenade durch deutsche Geschichte, durch deutsche Kultur. Nofretete (im Nordkuppelsaal) oder Helios-Statue (Südkuppelsaal) sind sicherlich Glanzpunkte der Sammlung, die erlebbaren Zeitschichten jüngerer deutscher Geschichte sind es aber auch. Wer will, kann sich ihnen aussetzen, Chipperfield sei Dank. Be. K.

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