Plusenergieschule, Detmold
Mit einem wegweisenden Low-Tech-Konzept realisierte das Detmolder Architekturbüro Pape oder Semke Sanierung, Erweiterung und Umbau eines Schulcampus zu einer Plusenergieschule im Passivhausstandard – im laufenden Betrieb und kostengünstiger als ein Neubau. Für die dachintegrierte Photovoltaik-Anlage wurde eine architektonische Lösung gefunden.
Der Berufsschulcampus des Felix-Fechenbach-Berufskollegs und der Dietrich-Bonhoeffer-Schule in Detmold bestand aus zehn Gebäuden, die in den Jahren zwischen 1950 und 1970 erbaut worden sind. Ihre Sanierung war überfällig, eine Abrissoption stand im Raum, wurde aber wegen der hohen Neubaukosten verworfen. Die Rettung brachte ein Konzept des Detmolder Architekturbüros Pape oder Semke, das nach einer energetischen Sanierung des Schulcampus mit 28 000 m² BGF eine lebenszyklusoptimierte Nutzung versprach – wirtschaftlich, ressourcenschonend und komfortverbessernd.
Das Konzept der Architekten wurde in partizipativen Planungsworkshops gemeinsam mit Fachplanern, Bauherren und Vertretern der Schule weiterentwickelt, um die Idee eines zukunftsfähigen Schulcampus sowohl von der Kosten- als auch von der Nutzerseite attraktiv zu gestalten. Vorausgegangen war eine eingehende Analyse der notwendigen Maßnahmen. Neben der eigentlichen Sanierung sollten drei Erweiterungsbauten sowie fünf Umbauten realisiert werden, u. a. für eine Lehrküche mit angeschlossenem Lehrrestaurant, die beide heute zu den modernsten ihrer Art in Deutschland zählen.
Überdurchschnittliche Ergebnisse zu durchschnittlichen Kosten
Dem Passivhausbeschluss des Landkreises Lippe folgend wurde Passivhaus Standard angestrebt. Architekt Harald Semke, selbst zertifizierter Passivhaus Planer, orientierte sich am EnerPHit-Konzept des Passivhaus Instituts für die Sanierung von Bestandsbauten. „Wenn Sie heute unter Passivhaus-Standard dämmen, ist das wirtschaftlicher Unsinn,“ sagt Semke. Das Ziel war die Verbesserung der Energieeffizienz um den Faktor 4, eine Erhöhung der Aufenthaltsqualität für Lehrer und Schüler sowie ein deutliches Plus in der Jahresenergiebilanz. Der Fokus lag darauf, Bestehendes zu erhalten und ressourcenschonend zu sanieren. Dafür waren intensive Bauteilvergleiche mit einer ausführlichen Ökobilanzierung der geplanten Maßnahmen notwendig. Die Gesamtoptimierung basierte auf vier Bausteinen: einer hocheffizienten Sanierung der Gebäudehülle, der strikten Reduktion grauer Energie, leis-tungsfähiger Erzeugung regenerativer Energie sowie der Sicherung des Restwärmebedarfs durch den Anschluss an das lokale Fernwärmenetz.
Die Sanierung des Detmolder Schulcampus gelang weit unter den durchschnittlichen Sanierungskosten für vergleichbare Projekte und war damit wirtschaftlicher als ein entsprechender Neubau. Das Projekt wurde aufgrund der Größe der Schule im laufenden Schulbetrieb in mehreren Bauabschnitten durchgeführt, die jeweils nahtlos ineinander übergingen. Nach Abschluss der als Bau- und Forschungsvorhaben durchgeführten Sanierung erfolgten die Außenanlagen und die innere Sanierung zur Gesamtfertigstellung des Vorhabens.
Die Ergebnisse, erst rechnerisch ermittelt und dann durch das Monitoring der vergangenen Jahre verifiziert, sprechen für sich: Die Lebenszykluskosten verringerten sich um 60 – 80 %. Statisch betrachtet ergeben sich rechnerisch bis End-of-Life (in 50 Jahren) Einsparungen von ca. 22,5 Mio. Euro, konservativ dynamisch betrachtet sogar 83,5 Mio. Euro. Der jährliche Heizenergiebedarf konnte um 95 % reduziert werden, der Endenergiebedarf für die Beleuchtung um 90 %, der für die Lüftungsanlage um 60 %. Gegenüber dem Bestand ergibt sich eine Reduktion des CO2-Äquivalents von 92 %. Der Energieausweis zeigt unter Anrechnung des erzeugten Solarstroms einen spezifischen Primärenergiebedarf von 4 kWh/m²a – nach DIN 18599 erreicht die Plusenergieschule mit -12 kWh/m²a
sogar einen negativen Primärenergiebedarf.
Geht nicht, gibt’s nicht
Nach dieser Maxime machte Harald Semke auch das Unmögliche möglich und entwickelte mit seinem Team neuartige und hocheffiziente Konstruktionen für die Fassadensanierung und das Dach. Für die Dämmung der Gebäudehülle wurden modulare Fassadenelemente in Holztafelbauweise mit wärmebrückenoptimierten Holzstegträgern vorgefertigt, die vor die Bestandsfassade gesetzt und deren Zwischenräume nach der Montage mit Zellulosedämmung verfüllt wurden. Auf diese Weise konnte gegenüber einer WDVS-Dämmung 90 % an grauer Energie eingespart werden. Die Holzelemente wurden mittels digitaler 3D-Scans entwickelt und passgenau produziert. Mit dieser Methode konnten sogar die stark gegliederten, heterogenen Bestandswände wirtschaftlich und wärmebrückenfrei mit einer neuen Fassade bekleidet werden. Durch die Vorfertigung reduzierten sich Bauzeit und Montage drastisch, die Montagegeschwindigkeit erreichte bis zu 1 000 m²/Woche. Auch die drei Erweiterungsbauten wurden mit vorgefertigten Holztafelelementen erstellt. Die Fassaden bekamen eine Schlussbeschichtung aus Kratzputz, der keine Folgebeschichtung benötigt.
Für die Energiegewinnung sorgt eines der größten Indach-PV Projekte Deutschlands. Mit 2 770 m² Solarpanels und einer Leistung von 364 kWp erzeugt das Dach 270 000 kWh Strom. Der Bedarf der Schulen liegt bei 122 000 kWh, der Rest wird in das Detmolder Netz eingespeist. Da Schulen ihren Verbrauchspeak tagsüber haben, ergibt sich für den Eigenstrom ein hoher Eigennutzungsgrad von mehr als 88 %. Die dachintegrierte PV-Anlage reduziert den Primärenergiebedarf um 85 %.
Mit Blick auf das Solarkataster des Kreises Lippe wurden die Ost/West-orientierten Dächer vollflächig mit Solarpanels bestückt. Das Solardach ersetzt eine konventionelle Dachhaut. Ein Unterdach aus Blech oder Ziegeln war aus wirtschaftlichen und baubiologischen Gründen gar nicht gewollt. Die leicht geschuppte Anordnung der Solarpanels hat eine ästhetische Anmutung, die Gestaltung erinnert an moderne, großformatige Flachdachziegel – die Konstruktion jedoch ist reine Technik, ist pure Energieerzeugung. Die Module selbst bilden die wasserführende Schicht und haben die gleiche Dichtfunktion wie ein Ziegeldach, die Qualitätsdichtungen aus EPDM erfüllen sogar höhere Dichtwerte. Als Unterdach reichten die bauphysikalisch sinnvollen Weichfaserplatten. Nach den Kosten gefragt, sagt Semke, „Wir haben das, was ein Ziegeldach kostet, eingespart“. Die Panels auf den Solardächern sind qualitativ hochwertig, aber Standard-Module; so können im Notfall leicht einzelne Module ausgetauscht werden. Sonderformate wurden nicht angefertigt, stattdessen wurde mit Dummies aus Glas mit aufkopierter Modulstruktur gearbeitet. „Auf den ersten Blick ist das homogen, auf den zweiten erkennt der Kundige jedoch den feinen Unterschied. Wir wollten keine Fake-Lösung, sondern eine ehrliche Konstruktion, die einen ästhetischen Anspruch erfüllt,“ ergänzt Semke.
Klima macht Schule
Architekturqualität ist Harald Semke sehr wichtig. Und er definiert sie so: „Im Angesicht der Klimakrise müssen CO2-Bilanz, Energieverbrauch und Nutzerinteressen Synergien eingehen und ihren Ausdruck in der architektonischen Gestaltung finden. Architektur muss eine Verstehbarkeit erzeugen, insbesondere im Schulbaukontext.“ Und so wird die Energiebilanz der Gebäude auch in der Schule kommuniziert. Die Schüler können auf einem Monitor ablesen, wieviel Strom erzeugt und verbraucht wird, welche CO2-Bilanz die Schule hat, wie die Gesamtbilanz aussieht – alles schülergerecht aufbereitet und in eine verständliche Form transformiert. Lernen mit Energie!⇥
Baudaten
Objekt: Felix-Fechenbach Berufskolleg und Dietrich-Bonhoeffer Berufskolleg, Detmold
Typologie: Schule
Bauherr: Kreis Lippe, Eigenbetrieb Schulen
Architekt: pape oder semke Architekturbüro, www.papeodersemke.de
Team: Harald Semke, Monika Marasz, Dirk Wolf, Volkmar Schulz, Wielrun Griemert u.a.
Bauleitung: Harald Semke, Monika Marasz, Daniel van´t Hull
Bauzeit: 08.2010 – 08.2018
Fachplaner
Tragwerksplaner/Energieplaner: BCS Ingenieure GmbH, www.bcs-ingenieure.de
TGA-Planer: Ing.- Büro Schmitz, www.schmitz-ing.de
Fassadentechnik/Lichtplanung/Innenarchitektur: pape oder semke Architekturbüro,
www.papeodersemke.de
Akustikplaner: Schallschutzkontor Selzer, www.schallschutzkontor.de
Landschaftsarchitekt: Susanne Hoffjann, www.hoffjann-architekten.de
Brandschutzplaner: Dehne Kruse Brandschutzingenieure, www.kd-brandschutz.de
Solartechnik: GT Solar, https://gt-solar.de
Holzbauunternehmer: Brüggemann Holzbau GmbH & Co. KG, www.brueggeman-holzbau.de
Projektdaten
Grundstücksgröße: 36 764 m²
Nutzfläche gesamt: 11 943,73 m²
BGF: 15 815 m²; BRI: 31 684,6 m³
Baukosten, brutto (nach DIN 276)
KG 200: 520 000 €; KG 300: 8 536 232,07 €; KG 400: 4 348 039,19 €; KG 500: 1 535 722,89 €;
KG 600: 224 518,25 €; KG 700: 972 016,30 €
Gesamt: 15,6 Mio €
Energiekonzept
Dach: Zellulosedämmung, 30 cm in vorgefertigten Dachelementen für Sanierung und Erweiterung
Außenwand: Zellulosedämmung, 36 cm in vorgefertigten Wandelementen für Sanierung und Erweiterung
Fenster: tageslichtoptimierte, tiefe Holz-Alu-Fenster mit sehr geringem Anteil Aluminium (80 % Recycling-Aluminium) und ohne Kunststoffdämmmaterial, U-Wert von 0,72 W/(m²K),
Boden: Schaumglasschotterschotts für Arbeitsraumverfüllung für Wärmeseenutzung der Bodenplatten
Nutzung der durch Sanierung erhaltenen Altbaumassen und deren gebundener Energie sowie Massenspeichereffekte für passives Heizen und Kühlen; Nachtlüftung für sommerlichen Wärmeschutz; 95 % Reduktion Heizenergieverbrauch nach wissenschaftlichem Monitoring (weiterhin ca. 90 % Reduktion gebundene (Graue) Energie durch Auswahl ökologischer Baustoffe, holzsparende Holzbauweise, insgesamt CO2-Neutralität
Gebäudehülle
U-Wert Außenwand = 0,10 W/(m²K)
U-Wert Fassadenpaneel = 0,73 W/(m²K)
U-Wert Bodenplatte = 0,12 – 2,95 W/(m²K) (Erweiterungsbau bis Altbausohle mit nachgewiesenem Wärmesee)
U-Wert Dach = 0,11 W/(m²K)
Uw-Wert Fenster = 0,73 W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung = 0,50 W/(m²K)
Ug-total (mit Sonnenschutz) = 0,73 W/(m²K)
Luftwechselrate n50 = 1,11/h
Haustechnik
Vollflächige gebäudeintegrierte Solardächer ermöglichen Plusenergiebilanz und Erreichen des neuen Passivhausstandards für Sanierungen, EnerPHITplus, 378 kWp, Stromüberschuss von 42,5 MWh im ersten Betriebsjahr; hybrides Lüftungskonzept mit 85 % Wärmerückgewinnung; Wand- und Deckenheizung als Bauteilaktivierung in Holzbauweise; Fernwärmeanschluss mit Primärenergiefaktor 0 aufgrund des im Fernwärmenetz eingebundenen Restholzheizkraftwerks eines Holzwerkstoffherstellers
Hersteller:
BSH-Rippendecken: Lignotrend, www.lignotrend.de
Solarpanels: Kyocera, www.kyocerasolar.de
Fenster: Krebbers, https://krebbers.de
Begleitende Forschung
Das Modellvorhaben soll aufzeigen, wie man mit gut gewählten Mitteln Schulen mit Energiegewinn sanieren kann. Das Projekt wurde von Harald Semke mit verschiedenen Forschungsvorhaben begleitet, um die innovative Vorbildfunktion beispielhaft zu unterstützen und die Ergebnisse Planern und Institutionen dank eines ausführlichen Monitorings zugänglich machen zu können.
– Schlussbericht zum Bau- und Forschungsvor-
haben „Energieoptimiertes Bauen: Sanierung Detmolder Berufskollegs zur Plusenergieschule“, Förderkennzeichen 03ET1075E, veröffentlicht am 30.09.2016, Technische Informationsbiblio-
thek (TIB) – Hannover, Verfasser: Harald Semke
– Die Preisträger Schule 2030 – Lernen mit
Energie, Fraunhofer IRB Verlag, 2015
ISBN: 978-3-8167-9339-7
Auszeichnungen
BMWi-Preis: Schule 2030 – Lernen mit Energie (Innovatives Gesamtkonzept; Innovatives Beleuchtungskonzept)
Leuchtturm Plusenergieschule der Forschungsinitiative EnEFF:Schule
https://www.eneff-schule.de/index.php/Demonstrationsobjekte/Plusenergieschulen/sanierung-zur-plusenergieschule-berufskolleg-detmold.html
Demonstrationsvorhaben für zukunftsweisende Gebäudesanierung der Forschungsinitiative EnOB (Energieoptimiertes Bauen)
Best-Practice Beispiel der Bundesstiftung Baukultur
Best-Practice Beispiel und Frontrunner-Projekt der europaweiten Forschungsinitiative Renew School